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Hafeneigentum in Europa

Erstellt am: 18.01.2023 | Stand des Wissens: 25.01.2023
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Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn

In Europa gibt es keine einheitlichen Strukturen bei der Hafenorganisation und -verwaltung. Es existiert ein breites Spektrum an Modellen. Häfen werden als Verwaltungseinheiten nationaler, regionaler oder kommunaler Körperschaften unter Leitung einer Hafenverwaltung (Port Authority) betrieben, die in der Regel in unterschiedlichem Maße verpflichtet ist, an anderem Ort getroffene politische Entscheidungen oder als Privatunternehmen rein wirtschaftliche Entscheidungen umzusetzen [Tij21]. Vorherrschend ist in Europa das Landlord-Modell mit öffentlich-rechtlicher Hafenverwaltung und privaten Betreibern, die deutlich mehr als drei Viertel des gesamten Hafenumschlags abwickeln [WisB19, S. 3]. Abbildung 1 gibt einen Überblick über die Verantwortlichkeiten für die Hafenverwaltung in europäischen Ländern.
Hafenorganisation.pngAbbildung 1: Hafenorganisation nach Verwaltungsebene und Träger des Hafenmanagements (Eigene Darstellung nach [Verh07; Tij21; ESPO16])
Das von der Europäischen Kommission im Dezember 2016 beschlossene und vom Rat im Januar 2017 angenommene Port Package III hat die Schaffung eines Rahmens für den Marktzugang für Hafendienste und die finanzielle Transparenz der Häfen zum Ziel. Aufgrund starker Proteste der Gewerkschaften im Vorfeld wurden jedoch Passagier- und Umschlagdienste, Baggerung und Lotsenwesen von den Organisationsauflagen ausgenommen. Die Regulierungen zur Transparenz betreffen diese Dienste jedoch genauso wie die übrigen Dienste wie beispielsweise Bebunkerung, Festmacherei, Müllentsorgung und Schleppereiwesen [ZDS17; MCfD16] .
Ziel der Hafenprivatisierung sind meist zwei Beweggründe: Zum einen soll die Effizienz verbessert werden und zum anderen sollen die finanziellen Belastungen der öffentlichen Hand reduziert werden.
Der Großteil (87 Prozent) der Hafenbehörden in Europa befindet sich in öffentlicher Hand. 7 Prozent sind halböffentlich und 6 Prozent vollständig privatisiert. Bei den öffentlichen Eignern liegen 59 Prozent der Hafenbehörden auf nationaler Ebene, 33 Prozent entfallen auf die jeweilige Kommune, 3 Prozent auf die entsprechende Region und 5 Prozent der Hafenbehörden haben mehrere öffentliche Eigentümer [ESPO16].
Vollständig privatisierte Seehäfen überwiegen lediglich in Großbritannien, wo bereits in den 1980er Jahren mit der Veräußerung kompletter Häfen an den privaten Sektor begonnen wurde [EUKom01t]. Die Hafenprivatisierung Großbritanniens wird nachfolgend in einem kurzen Fallbeispiel dargestellt.
In der britischen Hafenwirtschaft ist es ab 1981 zu der in Europa weitreichendsten Privatisierung gekommen. Heutzutage können britische Häfen in vier Gruppen eingeteilt werden [BaVa07]:
  • Nationalised Ports
  • Trust Ports
  • Municipal Ports
  • Private Company Ports
Nationalised Ports waren nach dem Zweiten Weltkrieg verstaatlicht und im Verlauf der Zeit von verschiedenen Regierungsbehörden verwaltet worden. Die nach den Privatisierungen in diesem Status verbleibenden Häfen sind wenig bedeutend.
Trust Ports sind im Besitz und unter Verwaltung einer unabhängigen Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie werden nicht als Teil des öffentlichen Sektors angesehen, da sie weder staatliches noch kommunales Eigentum sind, auch wenn sie von der Regierung beaufsichtigt werden . Alle Gewinne müssen reinvestiert werden. Es gibt etwa 90 Trust Ports, bei denen es sich meist um kleine und mittlere Häfen handelt. Die wichtigsten sind heute Dover und Milford Haven.
Municipal Ports werden in der Regel vom Hafenkomitee der betreffenden Stadtverwaltung betrieben. Der wichtigste Hafen dieser Art ist Portsmouth.
Private Company Ports befinden sich in Privateigentum und werden als kommerzielle Gesellschaften betrieben mit voller Verantwortung für die Herstellung und den Unterhalt der Hafeninfrastruktur und die Bereitstellung der erforderlichen Hafendienstleistungen. Die Suprastruktur wird von den Häfen oder ihren Pächtern bereitgestellt. Alle Leistungen müssen durch entsprechende Entgelte gedeckt werden, deren Höhe die Häfen selbst festlegen und veröffentlichen müssen. Private Company Ports bewältigen etwa zwei Drittel des gesamten britischen Hafenumschlags.
 
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Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Funktionen und Zukunftsperspektiven von Seehäfen im Kontext maritimer Lieferketten (Stand des Wissens: 18.01.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?50780
Literatur
[BaVa07] Baird, A., Valentine, V. Port Privatisation in the United Kingdom, veröffentlicht in Devolution, Port Governance and Port Performance, Elsevier / Oxford, 2007, ISBN/ISSN 978-0-7623-1197-2
[ESPO16] European Sea Ports Organisation (Hrsg.) Trends in Ports Governance 2016, 2016/06/02
[EUKom01t] o.A. European Commission Staff Working Paper on Public Financing and Charging Practices in the Community Sea Port Sector, 2001
[MCfD16] Mehr Container für Deutschland (Hrsg.) Port Package 3: Deutsche Hafenwirtschaft kritisiert EU-Beschluss, 2016/12/23
[Tij21] E: Tijan, , M. Jovic, , A. Panjako, , D. Zgaljic The Role of Port Authority in Port Governance and Port Community System Implementation, 2021
[Verh07] Verhoeven, Patrick Port management reform - Is there a role for the EU?, veröffentlicht in Port Development - A Key Factor to Sustainable Economy, Sofia, 16-17 November 2006, 2006/11/16
[WisB19] Wissenschaftlicher Beirat Internationales Verkehrswesen (Hrsg.) Chancen der Digitalisierung für die deutschen Seehäfen nutzen und Investitionen in die Infrastruktur optimieren
, Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn, 2019/01
[ZDS17] Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe e.V. (Hrsg.) Rat verabschiedet "Port Package III", 2017/01/23
Glossar
Suprastruktur
Gegenbegriff zu Infrastruktur. Die Suprastruktur umfasst alle Einrichtungen, die für Transport-, Umschlag- und Lager- sowie Beschaffungs- und Verarbeitungsprozesse innerhalb einer Verkehrsanlage, wie einem Seehafen, nötig sind. In einem Hafen gehören zur Suprastruktur beispielsweise Kräne, Lager- und Kühlhäuser sowie Bürokomplexe. Im Gegensatz zur Infrastruktur wird die Suprastruktur häufig nicht von der öffentlichen Hand finanziert, sondern von den Betreibergesellschaften beschafft, gewartet und entsorgt.
Körperschaft Eine Körperschaft ist ein Zusammenschluss, der als juristische Person eigene Rechtsfähigkeit besitzt und durch Organe vertreten wird. Es wird unterschieden in Körperschaften des Privatrechts und Körperschaften des öffentlichen Rechts. Eine Körperschaft unterliegt der Körperschaftssteuer.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?564679

Gedruckt am Sonntag, 28. April 2024 00:53:16