Lärm durch aerodynamische Geräuschentwicklung bei Schienenfahrzeugen
Erstellt am: 27.06.2003 | Stand des Wissens: 16.05.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Während in den unteren Geschwindigkeitsbereichen Antriebs- und Rollgeräusche dominieren, wächst die Bedeutung der aerodynamischen Geräuschentwicklung mit zunehmender Geschwindigkeit an. Dementsprechend wichtig ist die Aeroakustik für den Hochgeschwindigkeitsverkehr (HGV) auf der Schiene. [Möhl11, S. 24 ff.] Hecht verweist aber darauf, dass aerodynamische Geräusche jedoch auch schon in unteren Geschwindigkeitsbereichen auffällig werden können, wenn schwerwiegende akustische Fehler gemacht werden. Er identifizierte verschiedene Fahrzeuge, die bereits ab 70 Kilometer pro Stunde aerodynamische Schwierigkeiten bereiten. "Sie kennen dies vielleicht von manchen Autos, wenn man das Schiebedach aufmacht. Ein sogenannter Helmholtz-Resonator für tiefe Frequenzen spricht hier bereits bei niedrigen Fahrgeschwindigkeiten an". [Hech02, S. 33]
Im HGV werden immer höhere Reisegeschwindigkeiten realisiert. Waren für die ICE-Generationen 1 und 2 gemäß Fahrplan noch 280 Kilometer pro Stunde das Limit, so werden auf der Strecke Köln - Frankfurt (Main) bereits planmäßig 300 Kilometer pro Stunde verwirklicht, wobei der eingesetzte ICE 3 sogar Spitzengeschwindigkeiten von 330 Kilometer pro Stunde erlaubt. Oberhalb von 300 Kilometer pro Stunde vergrößert sich der Einfluss der aeroakustischen Schallquellen deutlich gegenüber dem Rollgeräusch. Die abgestrahlte Schallleistung aerodynamischer Schallquellen nimmt ungefähr mit der sechsten Potenz der Fahrgeschwindigkeit, die des Rollgeräusches nur mit der dritten Potenz zu. [JaOn00, S. 208; ScHu98a, S. 544]
Besonders kritisch ist dabei die Schallabstrahlung des exponiert positionierten Stromabnehmers. Seine Position hoch oben am Zug hat zur Folge, dass eine Abschirmung durch die üblichen Schallschutzwände nur in den seltensten Fällen gegeben ist. Für sehr hohe Geschwindigkeiten kann in Abhängigkeit von der Zuglänge und der Anzahl der Stromabnehmer der Anteil des vom Stromabnehmer erzeugten Lärms überwiegen [ScHu98a, S. 544; UBA01g, S. 7] Zudem unterliegen die Stromabnehmer in Europa keinerlei akustischen Anforderungen den "Technical Specification for Interoperability".
In Japan wurde beispielsweise ein Stromabnehmer entwickelt, der gegenüber den europäischen um 25 Dezibel leiser ist. [Hech12, S. 10 f.] Im Herbst 2003 absolvierte der Deutsche Bahn AG Konzern Praxistests mit einem neuen, aktiv geregelten und akustisch optimierten Einholmstromabnehmer. Der gemeinsam mit Bombardier Transportation entwickelte Stromabnehmer "Actively controlled Single arm Pantograph" (ASP) konnte in Windkanalversuchen Lärmemissionssenkungen von bis zu zehn Dezibel realisieren. [Müll03b , S. 33]
Neben den beschriebenen kontinuierlich zu messenden aeroakustischen Geräuschen kann es bei Austritt eines mit Hochgeschwindigkeit fahrenden Zuges aus einem Tunnel zum Tunnelknall (englisch Sonic Boom) kommen. Durch das Komprimieren der Luft im Tunnel durch den fahrenden Zug entsteht eine Druckwelle, welche sich im Verlauf des Tunnels aufsteilt und am Tunnelausgang entlädt (Abbildung 1). Dabei wird ein kleiner Anteil als Mikrodruckwelle in die Umgebung abgestrahlt und erzeugt einen hörbaren Knall. Dieser Effekt kann besonders bei HGV-Neubaustrecken beobachtet werden, da er durch besonders lange Tunnel und kleine Tunnelquerschnitte sowie die Nutzung einer festen Fahrbahn gefördert wird. [Hiek10]
Abb. 1: Entstehung des Sonic Booms [Hiek10, S. 39]
Dem Sonic Boom kann jedoch zum Beispiel durch eine spezielle Konstruktion der Tunnelausgänge oder durch die Nutzung von Schallabsorbern vorgesorgt werden. So wurde bei dem Bau des im Dezember 2012 errichteten Katzenbergtunnels - dem längsten Zwei-Röhren-Tunnel der Bundesrepublik Deutschland - dem Sonic Boom konstruktiv entgegen gewirkt. Die Tunnelmünder wurden um mehr als 50 Prozent des lichten Querschnitts aufgeweitet und mit Schlitzen in der Decke beziehungsweise den Seitenwänden versehen. [Haid13a, S. 46 ff.]