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Stärkung des multimodalen Verkehrssystems

Erstellt am: 18.05.2015 | Stand des Wissens: 07.07.2023
Synthesebericht gehört zu:

Mit dem Motorisierten Individualverkehr (MIV) geht Ressourcenverbrauch einher und die Emission von Abgasen, die der Umwelt und der Gesundheit schaden. Von der Fahrleistung im MIV geht dabei eine besonders starke Belastung aus. Diese war, wie in Abbildung 1 deutlich wird, seit 2016 näherungsweise kostant, brach aber in den Jahren 2020 - 2021 stark ein.
446824_Fahrleistung_im_MIV_neu.pngAbbildung 1: Fahrleistungen im MIV (Pkw, Mopeds, Krafträder) in Milliarden-Kilometer für die Jahre 2004 bis 2021 (*vorläufige Werte; [vgl. BMDV22h, S. 152 f.])
Die Maßnahmen, die günstige Bedingungen für die Kombination mehrerer Verkehrsmittel schaffen, und Angebote, die dem Verkehrsteilnehmer einen Zugewinn an Autonomie und Flexibilität bieten, werden vor diesem Hintergrund dringend benötigt. Sie können einen wertvollen Beitrag zur Einhaltung der zunehmend strengen europäischen Emissionsgrenzwerte leisten [vgl. Fran04, S. 105].
Empfehlungen zur Förderung multi- und intermodaler Verkehre stellen unter anderem [vgl. BMP03 , S. 127] und [vgl. Interde10, S. 62] vor. Die folgende Liste zeigt ausgewählte Beispiele:

  • Erhalt respektive Bereitstellung eines attraktiven und bedarfsgerechten Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) Angebotes,
  • Förderung differenzierter Angebotsformen des Motorisierten Individualverkehrs (MIV) wie Carsharing und Pendlernetzwerke,
  • Maßnahmen zur Sicherung der Möglichkeiten einer Teilnahme (Realisierung) und Teilhabe (Potenzial) an Mobilität,
  • Schaffung von Anreizen zum häufigen Wechsel vom Pkw auf den ÖPNV (unter anderem Vermarktung von ÖPNV-Angeboten),
  • Verkehrsmanagement und Mobilitätsmanagement,
  • Optimierung der intermodalen Verknüpfung im Berufsverkehr,
  • Förderung integrierter Standortentscheidungen (zum Beispiel Wohnstandorte) sowie 
  • Aufklärung über die wahren Kosten der Verkehrsmittel und deren Internalisierung.
Die Stärkung des multimodalen Verkehrssystems wird in Deutschland in mehreren politischen Programmen als Ziel formuliert. Beispiele dafür sind die "Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie 2017" (MKS) , der "IVS-Aktionsplan Straße" [Bmvb12a] und das "Forschungsprogramm Stadtverkehr" (FoPS). Die Ergebnisse von zwei im Rahmen des FoPS durchgeführten Studien sollen im Folgenden kurz erläutert werden.
Die Studie "Bewertung von Multimodalitätsstrategien für Verkehrsunternehmen, -verbünde und Kommunen" [BMVI17s] hat Multimodalitätsstrategien von Kommunen sowie die Integration von Sharing-Dienstleistungen in den kommunal gesteuerten öffentlichen Personennahverkehr untersucht. Folgende Schlüsse werden in der Studie gezogen: Sharing-Dienstleistungen können durch infrastrukturelle Maßnahmen wie die Reservierung öffentlichen Parkraums und die Einrichtung von Mobilitätsstationen sowie durch regulierende Maßnahmen (zum Beispiel Parkraumbewirtschaftung) unterstützt werden [vgl. BMVI17s, S.240]. Weil Sharing-Angebote eine Konkurrenz für den ÖPNV darstellen können, "wird die Handlungsfähigkeit einer Kommune auf mittlere Sicht erhöht, wenn sie eine eigene Multimodalitätsstrategie entwickelt und in der Öffentlichkeit absichert" [BMVI17s, S.243]. Der kommunalen Öffentlichkeitsarbeit kommt eine besondere Bedeutung zu, weil sie Gelegenheiten zum Ausprobieren schaffen und ständige Nutzungsimpulse setzen kann [BMVI17s, S.245].
Die Studie "Smart Station Die Haltestelle als Einstieg in die multimodale Mobilität" identifiziert neue Anforderungen an Haltestellen im ÖPNV. In der Studie wird das Konzept einer "Smart Station" vorgestellt. Durch eine Optimierung der Schnittstellen zwischen den einzelnen Komponenten (Mobilität, Services, Infrastruktur) bietet die "Smart Station" Zugang zu mehreren Mobilitätsoptionen und ermöglicht die Kombination von Modi auf einem Weg. Dabei werden Mobilitätsinformationen intelligent verknüpft und aufbereitet [vgl. FoPS15a, S. 15]. Das erfolgt über die Erfassung einer Vielzahl von Echtzeitdaten und einer durch standardisierte Protokolle erleichterten Kommunikation zwischen den Akteuren [vgl. FoPS15a, S. 45]. Es treten in Bezug auf die Datenverarbeitung mehrere Probleme auf. Von Kundenseite aus beeinflusst der Schutz persönlicher Daten die Nutzerakzeptanz. Von Anbieterseite aus stellen Daten und Kundeninformationen einen wichtigen Wettbewerbsvorteil dar. Somit verringert sich bei den beteiligten Unternehmen die Bereitschaft zur Kooperation. Darüber hinaus erschwert das Fehlen einheitlicher technischen Standards ganz entscheidend die Datenübermittlung [vgl. FoPS15a, S. 49.f]. Die Autoren weisen abschließend darauf hin, dass die Digitalisierung im Mobilitätssektor Grundvoraussetzung für die Umsetzung der "Smart Station"-Idee sind. Als Beispiele dafür werden ein leistungsfähiges Mobilfunknetz und eine funktionierende Technologie für das E-Ticketing genannt [vgl. FoPS15a, S. 54].
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Vernetzte Mobilität im Personenverkehr (Stand des Wissens: 07.06.2021)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?447113
Literatur
[Beck06] Beckmann, Klaus, Chlond, Bastian, Kuhnimhof, Tobias, et al. Multimodale Verkehrsmittelnutzer im Alltagsverkehr - Zukunftsperspektive für den ÖV?, veröffentlicht in Internationales Verkehrswesen, Ausgabe/Auflage 4, 2006
[BMBF14a] Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.) Die neue Hightech-Strategie
Innovationen für Deutschland, Berlin, 2014/08
[BMDV22h] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Verkehr in Zahlen 2022/2023, 2022/12/09
[BMP03] Von der Ruhren, S., Rindsfüser, G., Beckmann, K.J., Kuhimhof, T., Chlond, B., Zumkeller, D. Bestimmung multimodaler Personengruppen, Aachen/Karlsruhe, 2003
[BMVI14h] Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Verkehr in Zahlen 2014/15, Ausgabe/Auflage 43. Jahrgang, DVV Media Group GmbH / Hamburg, 2014, ISBN/ISSN 978-3-87154-493-4
[BMVI17q] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Verkehr in Zahlen 2017/2018, Ausgabe/Auflage 46. Jahrgang, 2017, ISBN/ISSN ISBN 978-3-87154-617-4
[BMVI17s] KCW GmbH, Öko-Institut e.V. Institut für angewandte Ökologie Bewertung von Multimodalitätsstrategien für Verkehrsunternehmen, -verbünde und Kommunen, 2017/09
[BMVI18q] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) MKS 2018: Energie auf Neuen Wegen - Aktuelles zur Weiterentwicklung der Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie der Bundesregierung, 2018/04
[BMVI22b] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Verkehr in Zahlen 2021/2022, 2021/9
[ChlKuh09] Chlond, B., Kuhnimhof, T. Fahrrad und ÖPNV versus MIV? Analysen zur Konkurrenz und Synergie von Verkehrsmitteln auf Grundlagen der Daten des Mobilitätspanels, Ausgabe/Auflage Tagungsband "Integrierte Nahmobilität", 12. SRL ÖPNV-Tagung 2009/2. MeetBike Konferenz, 12.-13. März 2009 in Dresden, 2009
[FoPS15/16] Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Referat G 11, Grundsatzfragen der Forschung, Entwicklung, Forschungsförderung Aufstellung des Forschungsprogramms zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden (FoPS 2015/2016), Bonn, 2014/06/12
[FoPS15a] Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Referat G 11, Grundsatzfragen der Forschung, Entwicklung, Forschungsförderung "Smart Station" - Die Haltestelle als Einstieg in die multimodale Mobilität, 2015
[Fran04] Franke, S. Die "neuen Multimodalen" - Bedingungen eines multimodalen Verkehrsverhaltens, veröffentlicht in Internationales Verkehrswesen, Ausgabe/Auflage Heft-Nr. 3, 2004/03
[Interde10] TU Dresden, Lehrstuhl Verkehrs- und Infrastrukturplanung, Prof. Dr.-Ing. G.-A. Ahrens, Ahrens, Gerd-Axel, Aurich, Tanja, Böhmer, Thomas, Klotzsch, Jeannette, Pitrone, Anne Interdependenzen zwischen Fahrrad- und ÖPNV-Nutzung. Analysen, Strategien und Maßnahmen einer integrierten Förderung in Städten, 2010
[IV08] Bamberg, S., Heller, J., Heipp, G., Nallinger, S. Multimodales Marketing für Münchner Neubürger, veröffentlicht in Internationales Verkehrswesen, Ausgabe/Auflage Heft 03/2008, Deutscher Verkehrs-Verlag GmbH/ Hamburg, 2008
Weiterführende Literatur
[VCÖ15] VCÖ - Verkehrsclub Österreich Multimodale Mobilität erfolgreich umsetzen, veröffentlicht in Mobilität mit Zukunft, VCÖ, Wien, 2015, ISBN/ISSN 3-901204-84-9
[BMVI20m] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Passauer Erklärung (Übersetzung), 2020/10/29
Glossar
Motorisierter Individualverkehr Als motorisierter Individualverkehr (MIV) wird die Nutzung von Pkw und Krafträdern im Personenverkehr bezeichnet. Der MIV, als eine Art des Individualverkehrs (IV), eignet sich besonders für größere Distanzen und alle Arten von Quelle-Ziel-Beziehungen, da dieser zeitlich als auch räumlich eine hohe Verfügbarkeit aufweist. Verkehrsmittel des MIV werden von einer einzelnen Person oder einem beschränkten Personenkreis eingesetzt. Der Nutzer ist bezüglich der Bestimmung von Fahrweg, Ziel und Zeit frei (örtliche, zeitliche Ungebundenheit des MIV).
ITS Intelligent Transportation Systems (ITS) ist der Oberbegriff für Transportsysteme, die Informations- und Kommunikationstechnologie zur Unterstützung des Betriebes einsetzen. ITS-Funktionen unterstützen den Fahrer eines Transportmittels, sie sind damit deutlich von automatischen Transportsystemen zu differenzieren, die auf einen fahrerlosen Betrieb abstellen. Die wichtigsten neuen und zum Teil noch in Entwicklung befindlichen Anwendungsfelder zielen auf (1) Verkehrs- und Transportmanagement (Verkehrsinformationen, Verkehrslenkung, Verkehrs- und Parkleitsysteme, automatische Unfallmeldungen, Meldesysteme zum Gefahrgutmonitoring); (2) Elektronische Systeme zur Gebührenerhebung; (3) Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel (dynamische Fahrgastinformationen, Reservierung, spezifische Informationssysteme für Fahrradfahrer und Fußgänger, Steuerung individueller öffentlicher Verkehrsmittel); (4) Systeme zur Unterstützung der Fahrzeugsicherheit (Kollisionsdetektoren, Sektorisierung von Verkehrswegen).
Carsharing
Der Begriff CarSharing stammt aus dem Englischen (car= Auto, to share= teilen) und kann sinngemäß mit der Bedeutung "Auto teilen" übersetzt werden. Er beschreibt die organisierte, gemeinschaftliche Nutzung von Kraftfahrzeugen, die meist von Unternehmen gegen Gebühr bereitgestellt werden.
Durch einen Rahmenvertrag oder eine Vereinsmitgliedschaft erhalten Kunden flexiblen Zugriff auf alle Kfz eines Anbieters. Die Fahrzeuge können über eine Webseite oder über eine Smartphone-App gebucht werden. Geöffnet werden sie in der Regel mit Hilfe von Chipkarten oder durch einen über die Smartphone-App vermittelten Zugangscode .
Bei dem System des stationsbasierten CarSharing stehen die Fahrzeuge auf reservierten Stellplätzen und werden nach der Nutzung auch wieder dorthin zurückgebracht. Ein anderes Modell ist das free-floating CarSharing. Hier stehen die Fahrzeuge in einem definierten Operationsgebiert verteilt. Sie können per Smartphone geortet werden und nach der Nutzung auf einem beliebigen Stellplatz innerhalb des Operationsgebiets zurückgegeben werden.
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?446824

Gedruckt am Dienstag, 19. März 2024 11:49:57