Geschwindigkeitsniveau (Verkehrsberuhigung im Stadtverkehr)
Erstellt am: 28.04.2004 | Stand des Wissens: 01.03.2019
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TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Die nach Straßenverkehrsordnung (StVO) innerorts übliche Geschwindigkeitsbegrenzung für den Kfz-Verkehr liegt bei 50 km/h. Durch verkehrsberuhigende Maßnahmen kann diese auf 30 km/h (Tempo-30-Zone), 20 km/h (Verkehrsberuhigter Geschäftsbereich), Schrittgeschwindigkeit (Verkehrsberuhigter Bereich) reduziert werden. Daraus resultieren überwiegend positive Effekte für die Verkehrssicherheit, insbesondere für Kinder, Fußgänger und Fahrradfahrer, die als Verkehrsteilnehmer am stärksten gefährdet sind. Sowohl die Anzahl der Unfälle als auch die Schwere der Verletzungen werden durch geringere Geschwindigkeiten des fließenden Verkehrs gesenkt [Welge96]. Hauptgrund dafür ist, dass sowohl der Bremsweg als auch die Zerstörungsenergie eines Fahrzeugs bei einem Unfall mit dem Quadrat der Geschwindigkeit abnehmen.
Analysen des Unfallgeschehens in flächenhaft beruhigten Bereichen [Blank93] ließen erkennen, dass die Verbesserungen der Verkehrssicherheit nicht nur in den verkehrsberuhigten Bereichen selbst wirken, sondern auch auf die angrenzenden Bereiche, also Wohngebiete ohne bzw. nur mit punktuellen verkehrsberuhigende Maßnahmen sowie Hauptverkehrsstraßen ausstrahlen. In den dokumentierten Untersuchungsgebieten konnte die Zahl der Unfälle mit Personenschäden im gesamten Untersuchungsgebiet um 19 % und im flächenhaft beruhigten Bereich um 51 % reduziert werden [Blank93]. Dabei wirkte sich die Erhöhung der Verkehrssicherheit an den Kreuzungen und Einmündungen (Knotenpunktunfälle) und auf den Streckenabschnitten (Unfälle auf der freien Strecke) vergleichbar aus.
Dabei können verkehrsberuhigende Maßnahmen, vor allem die Rechts-vor-Links-Regelung in Tempo-30-Zonen trotz Reduktion der Unfälle mit Personenschaden dazu führen, dass die Zahl der Bagatellunfälle nicht sinkt.
Weiterhin führt die Reduktion der Fahrzeuggeschwindigkeiten durch verkehrsberuhigende Maßnahmen zu einer Verringerung von Luftschadstoffemissionen. Jedoch begrenzt sich die Verringerung der Emissionen auf den leichten Rückgang von Stickoxid (NOX). Die Emissionen von Kohlenmonoxiden (CO) und Kohlenwasserstoffen (HC) sind nicht direkt von der Fahrzeuggeschwindigkeit abhängig, sondern vielmehr vom Fahrverlauf (Verkehrsfluss) [bast10b]. Fahrbahneinengungen und "Rechts-vor-Links-Regelungen" können die Abgasemissionen signifikant erhöhen [ADAC95]. Aus diesem Grund sollten zur Reduktion von Luftschadstoffen vielmehr eine Verstetigung des Geschwindigkeitsverlaufes über die Strecke (Reduktion der Anzahl der Brems- und Beschleunigungsvorgänge) angestrebt werden [bast10b]. Daraus folgt auch, dass Maßnahmen der Verkehrsberuhigung nicht als punktuelle, sondern vielmehr als flächendeckende Maßnahmen eingesetzt werden sollten.
In Abbilddung 1 sind die Wirkungen zweier Verkehrsberuhigungsmaßnahmen bezüglich unterschiedlicher Schadstoffausstöße gegenübergestellt. Sie verdeutlichen die Variationebreite der Effekte und wie wichtig die Verstetigung des Verkehrsflusses auf geringem Geschwindigkeitsniveau ist.

Die Lärmemissionen können prinzipiell durch Verkehrsberuhigung gesenkt werden. Hauptgrund hierfür ist, dass bei niedrigeren Fahrzeuggeschwindigkeiten die Roll- und Motorgeräusche abnehmen.
Empirische Untersuchungen [Retzk00] ergaben jedoch, dass aufgrund veränderter zulässiger Höchstgeschwindigkeiten die Lärmreduzierungen eher gering ausfallen. In Dortmund wurden bei Lärmmessungen in Tempo-30-Zonen gegenüber dem Vorher-Zustand nur "geringfügige Abnahmen" [Welge96] des Lärmpegels festgestellt. Messungen in Züricher Tempo-30-Zonen ergaben eine Reduzierung des Schallpegels um 3 Dezibel im Vergleich mit der Tempo-50-Regelung.
Im Zusammenhang mit baulichen Verkehrsberuhigungsmaßnahmen werden von Seiten der Anwohner häufig Aufpflasterungen vorgeschlagen, die aufgrund der Oberflächenbeschaffenheit sowie durch Brems- und Beschleunigungsvorgänge teilweise hohe Geräuschpegel entstehen lassen [Welge96].
Allerdings können die durch Verkehrsberuhigungsmaßnahmen erzielbaren Lärmreduzierungen dann merklich reduziert werden, wenn die Verkehrsbelastung und der Lkw-Anteil nennenswert verringert werden.
Ein Zielkonflikt, der sich durch Verkehrsberuhigende Maßnahmen ergeben kann, ist die Behinderung des Eintreffens der Einsatzkräfte (Rettungswagen, Feuerwehr und Polizei). Einerseits kann die Verlängerung der Anfahrt durch Umwege (z. B. durch Quer- oder Diagonalsperren) hervorgerufen werden, andererseits werden auch die Fahrzeuge der Notfalldienste durch Aufpflasterungen, Schwellen oder ähnliche bauliche Verkehrsberuhigungsmaßnahmen gezwungen, ihre Geschwindigkeit signifikant zu verringern [Leven03]. Anzumerken ist, dass gemessen an der gesamten Anfahrtsstrecke die Zeitverluste für Streckenlängen von weniger als 1-2 km in der Regel unter 1 bis 2 Minuten liegen dürften.
Für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) kann es durch geschwindigkeitsreduzierende Maßnahmen ebenfalls zu Fahrtzeitverlängerungen kommen. Grund hierfür sind neben der Reduzierung der Fahrzeuggeschwindigkeit vor allem die Vorfahrtsregelungen (insbesondere Rechts-Vor-Links). Nach Untersuchungen [Nick98] verlängert sich die Fahrtzeit durch die Einrichtung von Tempo-30-Zonen im Gegensatz zu einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 20 Sekunden pro Kilometer.
Daher ist in jedem Fall abzuwägen, in welchem Umfang durch die Einrichtung einer Zonen-Geschwindigkeitsbegrenzung Fahrzeitverlusten für den ÖPNV und die Notfalldienste auftreten können und ob diese durch entsprechende Maßnahmen kompensiert werden können [FGSV99]. Linien des ÖPNV sollten in der Regel auf dem Vorbehaltsstraßennetz geführt werden und die verkehrsberuhigten Bereiche tangieren [VÖV90].