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Hafenorganisation in deutschen Seehäfen

Erstellt am: 18.01.2023 | Stand des Wissens: 25.01.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn

Für die Organisation von Häfen gibt es bislang vier wesentliche Managementmodelle. Diese unterscheiden sich im Verhältnis von öffentlicher Hand und privaten Betreibern, weisen also unterschiedliche Niveaus der Privatisierung auf. Üblicherweise werden die Managementmodelle unterteilt in:
  • Landlord Port (Vermieterhafen),
  • Public Service Port (öffentlicher Betreiberhafen),
  • Private Service Port (privater Betreiberhafen),
  • Tool Port (autonomer Hafen)) [WoBa21].
Unterscheidungsmerkmale dieser Modelle betreffen Aktivitäten, denen öffentliche oder private Verantwortlichkeit oder Mischformen zugeschrieben werden können (siehe Abbildung 1). Zu nennen sind hier zum einen die Hafenverwaltung, das Hafenmanagement und Hafendienstleistungen, wie etwa Lotsen- oder Schlepperdienste. Zum anderen sind Eigentumsverhältnisse unterschiedlich geregelt, speziell das Eigentum der Infrastruktur (einschließlich Hafenflächen) und das Eigentum der Suprastruktur (unter anderem Equipment wie Krane oder Flurförderzeuge).
Hafenmodell.pngAbbildung 1: Öffentliche und private Aufgaben im Hafenmanagement (Eigene Darstellung nach [WoBa21, S. 129])
Bei Landlord-Häfen wird eine Hafen- und Infrastrukturentwicklung entsprechend den Anforderungen der privaten Hafenindustrie und den Möglichkeiten der öffentlichen Hafenverwaltung angestrebt. Planung, Bau, Unterhaltung und Eigentum der Infrastruktur werden von der öffentlichen Hand durchgeführt, während private Betreiber die Infrastruktur pachten und in die Suprastruktur investieren. Bei Public Service Ports (Betreiberhafen) und Tool Ports ist die Hafenentwicklung an den Interessen und Möglichkeiten der öffentlichen Hand oder der jeweiligen Eigentümer ausgerichtet. Public Service Ports sind Häfen, die im Wesentlichen in der öffentlichen Hand liegen. Sie erbringt im Prinzip alle hafenbezogenen Dienstleistungen und ist Eigentümerin der Infrastruktur. Tool Ports ähneln sehr den Public Service Ports. Jedoch wird dort der Umschlag durch private Betreiber durchgeführt, wobei die Hafenbehörde Eigentümerin der Suprastruktur ist. Häufig ist ein Tool Port eine Übergangsform zwischen einem Public Service Port und einem Landlord Port [Rod12]. Private Service Ports sind vollständig auf private Interessen fokussiert [WisB19, S. 3]. Die Hafenbehörde ist vollständig privatisiert und nahezu alle Hafenfunktionen (außer etwa die Lotsendienste und Ausbaggerung) stehen unter privater Kontrolle. In der Regel behält die öffentliche Hand eine Regulierungsaufsicht [Rod12].
In Nordwesteuropa ist der Landlord-Hafen das am häufigsten anzutreffende Hafenmodell, aber auch Betreiberhäfen und private Häfen sind zu finden. Der Tool Port spielt nur eine untergeordnete Rolle. Es fehlen hier oft größere Unternehmen und deren Investitionsmöglichkeiten [HUB14, S.123].
[MaPoM19] untersuchen die Umstellung des Hafens von Chittagong in Bangladesch mit mehreren Terminals vom Tool-Port-Modell zum Landlord-Modell. Mit Hilfe eines Bertrand-Spielmodells wird eine Kosten-Nutzen-Analyse für Hafennutzer / Terminalbetreiber (oder Hafenbehörden) für verschiedene Szenarien durchgeführt. Die Analyse zeigt, dass die Hafenbehörde am meisten profitiert, wenn nur ein Terminal privatisiert wird, während die Nutzer am meisten profitieren, wenn alle Terminals privatisiert werden.
[Rod12] nennt als fünfte Variante den Corporatized Port . In diesem Fall ist der Betrieb des Hafens fast vollständig privatisiert, jedoch verbleibt das Eigentum in öffentlicher Hand. Dieses Managementmodell ist das einzige, bei dem Eigentum und Kontrolle getrennt sind. Dies reduziert den Druck auf das "öffentliche Wohl", dem die Hafenbehörde ausgesetzt ist, und den Druck auf den "Shareholder Value", dem private Häfen ausgesetzt sind.
In der Praxis ist eine klare Zuordnung zu den einzelnen Hafentypen nicht immer möglich. Durch die Umwandlung von Häfen aus öffentlichem Besitz in privatwirtschaftliche Unternehmen und die Entstehung komplexer Hafengebilde haben sich Mischformen herausgebildet. Des Weiteren sind unterschiedlichste Spezialhäfen zu finden, die sich auf bestimmte Landungsarten (beispielsweise Fähr- und RoRo-Häfen) oder bestimmte Gutarten (zum Beispiel Ölhäfen) konzentrieren. Vor allem bei den großen Seehäfen ist eine Entwicklung hin zu komplexen Universalhäfen mit einem Mix aus Merkmalen unterschiedlicher Hafentypen zu beobachten.
Außerdem lässt sich eine Ausdehnung der Tätigkeitsfelder von Hafenverwaltungen beobachten. Das räumliche Aktionsfeld wird auf die regionale, nationale und globale Ebene ausgeweitet. Zusätzlich übernehmen einige Hafenverwaltungen die Organisation von Transportketten als Aufgabe für die Stärkung des Standorts und werden neben ihren Kernaufgaben der Bereitstellung von Infrastruktur, der Verwaltung und Förderung auch unternehmerisch tätig [Ver10].
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Funktionen und Zukunftsperspektiven von Seehäfen im Kontext maritimer Lieferketten (Stand des Wissens: 18.01.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?50780
Literatur
[HUB14] Huber, Thomas "Global Ports" in der maritimen Transportwirtschaft - Akteurbasierende Bewertung des weltweiten Netzwerks von Hafenstandorten, Regensburg, 2014
[MaPoM19] Z. H. Munim, N. Saeed, O. I. Larsen Tool port to landlord port: a game theory approach to analyse gains from governance model transformation , 2019
[Rod12] Rodrique, Jean-Paul, Schulman, Joseph The Geography of Transport Systems, 2012
[Ver10] Patrick Verhoeven A review of port authority functions: towards a renaissance?, veröffentlicht in Maritime Policy & Management, Ausgabe/Auflage Volume 37, Issue 3 May 2010, Routledge / London, 2010
[WisB19] Wissenschaftlicher Beirat Internationales Verkehrswesen (Hrsg.) Chancen der Digitalisierung für die deutschen Seehäfen nutzen und Investitionen in die Infrastruktur optimieren
, Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn, 2019/01
[WoBa21] World Bank (Hrsg.) Port Reform Toolkit PPIAF, 2021
Glossar
Kosten-Nutzen-Analyse
Die Nutzen-Kosten-Analyse ist ein Verfahren zur Quantifizierung von Vor- und Nachteilen von öffentlichen Investitionen über monetarisierte Kenngrößen. Dabei werden sämtliche positive Auswirkungen (Erträge, Nutzen) und sämtliche negative Auswirkungen (Kosten) eines Projektes in Geldeinheiten quantifiziert und ermittelt, ob der Saldo größer oder kleiner als Null ist. Es kann auch das Nutzen-Kosten-Verhältnis (Nutzen-Kosten-Quotient) ermittelt werden. Nutzen-Kosten-Untersuchungen sind in Deutschland bei öffentlichen Maßnahmen haushaltsrechtlich vorgeschrieben und sind als Bewertungsverfahren Bestandteil der Bundesverkehrswegeplanung oder als "Standardisierte Bewertung" Voraussetzung für eine Förderung aus dem GVFG-Großvorhabenprogramm.
Suprastruktur
Gegenbegriff zu Infrastruktur. Die Suprastruktur umfasst alle Einrichtungen, die für Transport-, Umschlag- und Lager- sowie Beschaffungs- und Verarbeitungsprozesse innerhalb einer Verkehrsanlage, wie einem Seehafen, nötig sind. In einem Hafen gehören zur Suprastruktur beispielsweise Kräne, Lager- und Kühlhäuser sowie Bürokomplexe. Im Gegensatz zur Infrastruktur wird die Suprastruktur häufig nicht von der öffentlichen Hand finanziert, sondern von den Betreibergesellschaften beschafft, gewartet und entsorgt.
Rollende Landstraße
Die Rollende Landstraße (RoLa) ist ein Produkt im Bereich des Schienengüterverkehrs. Sie stellt eine spezifische Form des begleiteten Kombinierten Verkehrs dar. Dabei werden Lastkraftwagen bzw. Sattelzüge mit Hilfe der Roll-On/Roll-Off-Technik auf einen Güterzug aus durchgehenden Niederflurwagen verladen und über eine bestimmte Strecke transportiert. Die Fahrer begleiten ihre Fahrzeuge i. d. R. in einem mitgeführten Reisezugwagen. In Europa wird die RoLa z. B. für alpenquerende Verkehre angeboten. Sie kann eine betriebswirtschaftliche und/oder ökologische Alternative zum Straßengütertransport sein.
Ro/Ro Abkürzung für "Roll on/Roll off" - beschreibt im Seeverkehr den rollenden Ladungsumschlag über schiffseigene und/oder landseitige Rampen; im Kombinierten Verkehr die horizontale Verladung rollender oder rollbar gemachter Ladeeinheiten.
Szenarien Ein Szenario ist ein Bild der Zukunft, das sich aus einer bestimmten Kombination von relevanten Einflussfaktoren und Rahmenbedingungen entwickelt. Das grundsätzliche Anliegen von Szenarien besteht darin, verschiedene Handlungsoptionen zu verdeutlichen und ihre Folgewirkungen transparent zu machen.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?564675

Gedruckt am Montag, 29. April 2024 13:30:57