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Mobilitätsverhalten: Einflussfaktoren und Auswirkungen

Erstellt am: 19.12.2019 | Stand des Wissens: 10.11.2023
Synthesebericht gehört zu:

Der Begriff Mobilitätsverhalten bezeichnet die Entscheidungen, die Menschen einzeln, als Gruppen oder gesamtgesellschaftlich bezüglich ihrer Bewegung im Raum treffen. Er bezeichnet, welche Wege sie zurücklegen, welche Verkehrsmittel sie dafür nutzen und wann sie unterwegs sind. In erster Linie wird das Mobilitätsverhalten und somit auch die gesellschaftliche Teilhabe von den verfügbaren Mobilitätswerkzeugen bestimmt. Auto fahren kann nur, wer einen Führerschein und Zugriff auf ein Auto hat (besitzen, leihen, mieten). Den öffentlichen Nahverkehr kann man nur nutzen, wenn es ein Angebot gibt, das erreichbar, leistbar und für den Weg, den man zurücklegen will, passend ist. Und selbst Rad fahren und zu Fuß gehen ist nicht jedem Menschen uneingeschränkt möglich. Die tatsächliche Entscheidung für eine bestimmte prinzipiell verfügbare Form der Mobilität ist abhängig von persönlichen Faktoren (Einstellungen und Erfahrungen, Lebenssituation) und allgemeinen Faktoren wie der Qualität der Infrastruktur, der Verkehrssituation und auch dem Wetter. An Tagen mit Regen oder Schnee erhöht sich zum Beispiel die Zahl nicht-mobiler Menschen, in Frühjahr und Sommer wird häufiger Rad gefahren [INDI10].
Die Summe unserer Mobilitätsentscheidungen bestimmt das Verkehrsgeschehen und seine erwünschten wie unerwünschten Nebeneffekte. Zu letzteren gehören Unfälle, Lärm, Luftverschmutzung, Flächenverbrauch und der Ausstoß von Klimagasen (hauptsächlich CO2). Das gesellschaftliche Problembewusstsein bezüglich dieser Effekte wächst, gleichzeitig steigt aber auch das realisierte Mobilitätsbedürfnis in Form der in Deutschland zurückgelegten Personenkilometer: 3 Milliarden in 2002, 3,1 Milliarden in 2008 und 3,2 Milliarden in 2017 [INFA18].
Sowohl individuell als auch in Politik und Planung spielen die Konzepte der Multimodalität und Intermodalität zunehmend eine Rolle. Diese Begriffe beschreiben Mobilitätsverhalten, das einen Wechsel zwischen Verkehrsmitteln während eines Weges (zum Beispiel vom Auto in die Bahn) beinhaltet (intermodal) oder aber die Nutzung verschiedener Verkehrsmittel auf verschiedenen Wegen (multimodal) im Gegensatz zu reiner Automobilität. Laut der Studie Mobilität in Deutschland [INFA18] hat sich zwischen 2002 und 2017 der Modal Split auch dahingehend verändert, dass der Anteil des Öffentlichen Nahverkehrs an den zurückgelegten Wegen von 8 Prozent auf 10 Prozent gestiegen und der des motorisierten Individualverkehrs (Fahrer und Mitfahrer) von 60 Prozent auf 57 Prozent gesunken ist. Im selben Zeitraum sank der Anteil des Fußverkehrs von 23 Prozent auf 22 Prozent und der des Radverkehrs stieg von 9 Prozent auf 11 Prozent. Auf Grund der insgesamt angewachsenen Menge der zurückgelegten Personenkilometer ist allerdings bei allen Verkehrsträgern mit Ausnahme des Fußverkehrs ein absoluter Anstieg der Verkehrsleistung zu beobachten [INFA18]. Verbesserte Möglichkeiten für die Inter- und Multimodalität, zum Beispiel durch Car- und Bike-Sharing Angebote verbessern also absolut betrachtet bisher eher die individuelle Flexibilität beim Mobilitätsverhalten als dass sie den Motorisierten Individualverkehr reduzieren. Zudem stehen diese Optionen auch nicht allen Bevölkerungsgruppen in gleichem Maße zur Verfügung, so dass sich auch bei der Multimodalität soziale Ungleichheit manifestieren kann [GROT16].
Theoretisch kann motorisierte Mobilität mit elektrischem Antrieb zumindest in Bezug auf die Emission von klimaschädlichen Gasen und lokal wirksamen Luftschadstoffen negative externe Effekte reduzieren helfen. Dies ist jedoch abhängig davon, wie die verwendete Energie generiert wurde. Im Falle von Personenkraftwagen verbleiben zudem die Probleme des Flächenverbrauchs und auch Verkehrslärm entsteht ab einer Geschwindigkeit von ungefähr 30 Stundenkilometer nicht mehr hauptsächlich durch den Motor, sondern wird vom Rollgeräusch der Reifen dominiert [KLOE06]. Zwar gewinnt die Elektromobilität zunehmend an Bedeutung, jedoch ist die bisherige Marktdurchdringung von Elektroautos in Deutschland noch relativ gering. Während der Anteil von elektrisch angetriebenen Pkw im Bereich der Neuzulassungen im Jahr 2022 bei 17,7 Prozent lag, betrug der Bestandsanteil der Pkw mit rein elektrischen Antrieben 3,9 Prozent [Stat23c]. In Bezug auf Elektrofahrräder ist der Bestandsanteil bereits höher. Der Anteil von E-Bikes am Gesamtfahrradmarkt lag im Jahr 2019 bei 31,5 Prozent, was einem Anstieg von 8 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Basierend auf dieser Entwicklung hält der Zweirad-Industrie-Verband einen langfristigen Anteil von 50 Prozent am Gesamtmarkt für wahrscheinlich [ZIV20]. Elektrofahrräder ermöglichen es, auch längere Strecken relativ anstrengungsfrei zurück zu legen und können für ältere Menschen Fahrradmobilität länger attraktiv machen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Mobilitätsverhaltens sind Einkaufswege die durch den Einkauf im Internet mit Lieferung nach Hause oder zu Abholstationen ersetzt werden. Die so induzierten Lieferverkehre (die durch die erleichterte Rückgabe in Form von kostenfreien Retouren weiter vermehrt werden) haben zum Teil deutliche Wirkungen auf das Verkehrsgeschehen, besonders in urbanen Bereichen.
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Soziale Dimension von Mobilität und Verkehr (Stand des Wissens: 24.06.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?507232
Literatur
[GROT16] Groth, Sören Multimodal Divide. Zum sozialen Ungleichgewicht materieller Verkehrsmitteloptionen, veröffentlicht in Internationales Verkehrswesen, Ausgabe/Auflage 68 (1), 2016
[INDI10] infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH, DIW - Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Mobilität in Deutschland 2008. Tabellenband, Bonn, Berlin, 2010
[INFA18] infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH Mobilität in Deutschland 2017. Kurzreport. Verkehrsaufkommen - Struktur - Trends, Bonn, 2018
[KLOE06] Kloepfer, Michael; , Griefahn, B.; , Kaniowski, A. M.; , Klepper, G.; , Lingner, S.; , Steinebach, G.; , Weyer, H. W.; , Wysk, P. Leben mit Lärm? Risikobeurteilung und Regulation des Umgebungslärms im Verkehrsbereich, 2006
[Stat23c] Statista Research Department (Hrsg.) Anzahl der Elektroautos in Deutschland von 2006 bis Juli 2023, 2023/09/14
[ZIV20] Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) (Hrsg.) Zahlen - Daten - Fakten zum Deutschen Fahrrad- und E-Bike Markt 2019, 2020/03/11
Glossar
Personenkilometer
Die Einheit Personenkilometer [Pkm] beschreibt die im Rahmen einer Personenbeförderung erbrachte Verkehrsarbeit. Diese definiert sich als Produkt der Verkehrsmenge (Summe der beförderten Personen) und der von dieser dabei zurückgelegten Wegstrecke in km.
Verkehrsarbeit [Pkm] = Verkehrsmenge [P] * Wegstrecke [km]
Motorisierter Individualverkehr Als motorisierter Individualverkehr (MIV) wird die Nutzung von Pkw und Krafträdern im Personenverkehr bezeichnet. Der MIV, als eine Art des Individualverkehrs (IV), eignet sich besonders für größere Distanzen und alle Arten von Quelle-Ziel-Beziehungen, da dieser zeitlich als auch räumlich eine hohe Verfügbarkeit aufweist. Verkehrsmittel des MIV werden von einer einzelnen Person oder einem beschränkten Personenkreis eingesetzt. Der Nutzer ist bezüglich der Bestimmung von Fahrweg, Ziel und Zeit frei (örtliche, zeitliche Ungebundenheit des MIV).
Elektromobilität
Die Elektrifizierung der Antriebe durch Batterie- und Brennstoffzellentechnologien. Im Kontext des "Nationalen Entwicklungsplans Elektromobilität" wird der Begriff auf den Straßenverkehr begrenzt. Hierbei handelt es sich insbesondere um Personenkraftwagen (Pkw) und leichte Nutzfahrzeuge, ebenso werden aber auch Zweiräder (Elektroroller, Elektrofahrräder) und Leichtfahrzeuge einbezogen.
Modal Split
Modal Split wird in der Verkehrsstatistik die prozentuale Verteilung des Personen- und Güterverkehrs auf verschiedene Verkehrsmittel (Modi) genannt. Der Modal Split ist Folge des Mobilitätsverhaltens der Menschen und der wirtschaftlichen, insbesondere der verkehrlichen Entscheidungen von Unternehmen.
Verkehrsleistung
Die Verkehrsleistung gibt Auskunft über die Inanspruchnahme von Ressourcen. Als Verkehrsleistung wird die auf eine Zeiteinheit t (zum Beispiel ein Jahr) bezogene Verkehrsarbeit definiert und als Quotient dargestellt. Die Verkehrsarbeit wird dabei als Produkt von Verkehrseinheiten (zum Beispiel Güter oder Personen) und der durch diese zurückgelegten Strecke gebildet. In der Verkehrswissenschaft sind die Einheiten Personenkilometer pro Jahr [Pkm/a] oder Tonnenkilometer pro Jahr [tkm/a] gebräuchlich.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?507165

Gedruckt am Freitag, 26. April 2024 14:48:23