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Rollgeräusche als Hauptlärmquelle des Schienenverkehrs

Erstellt am: 27.06.2003 | Stand des Wissens: 16.05.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Im mittleren Geschwindigkeitsbereich zwischen 70 Kilometer pro Stunde und circa 300 Kilometer pro Stunde (80 Kilometer pro Stunde bis 250 Kilometer pro Stunde nach [Kwas98, S. 65]) stellen die Rollgeräusche des Rad-Schiene-Kontakts die wesentliche Schallquelle des Schienenverkehrs dar [Möhl11]. Ihre Intensität ist insbesondere abhängig von der Fahrgeschwindigkeit und der Oberflächengüte von Rad und Schiene.

Rad- und Schienenfehler

Durch das Abrollen des Radsatzes auf der Schiene werden beide zu Schwingungen angeregt. Diese sind zurückzuführen auf die Gleisirregularitäten (Rauheiten) der Laufflächen von Rad und Schiene, die niemals vollständig glatt sind. Somit ist das Rollgeräusch das Ergebnis der Interaktion von Laufrad- und Schienenoberfläche (Abbildung 1 a). Die Schwingungen breiten sich in Form von Luft- und Körperschall aus (Abbildung 1 b). Der Luftschall tritt dabei zum einen als Direktschall in Form von Lärm am Rad und an der Schiene auf und erzeugt über die Anregung von zum Beispiel Fensterscheiben den Primärschall in einem Raum. Zum anderen erzeugen die durch den Körperschall weitergeleiteten Schwingungen innerhalb von Gebäuden  den sogenannten sekundären Luftschall. [Sieg99, S. 10; NiAc98, S. 143; 435464, S. 10 f.; KnKl02, S. 47; Kali10a]
Rollgeraeuschentstehung_Uebertragungswege.jpgAbb. 1: Rollgeräuschentstehung Rad-Schiene-System a) Entstehung b) Übertragungswege [EUKOM99e, S. 4; Hech10]

Das Aufrauhen der Oberflächen von Rad- und Schienenlauffläche ist eine aufgrund der hohen Kräfte an der nur ein bis zwei Quadratzentimeter großen Kontaktfläche kaum zu verhindernde Verschleißerscheinung. Hohe Schienenrauigkeiten können den Vorbeifahrpegel in der Größenordnung von 10 Dezibel erhöhen [Kali10a, S. 621]. Beim Rad wird das Bilden von Oberflächenfehlern durch die bei Güterwaggons derzeit noch überwiegend eingesetzte Klotzbremse mit Grauguss-Bremssohlen stark begünstigt. Wird beim Bremsen der Grauguss-Klotz auf die Radlauffläche gepresst, entstehen auf dieser kaum sichtbare, Zehntelmillimeter tiefe Unebenheiten (Verriffelungen Radlauffläche). [SchRü13, S. 12]

Verriffelungen entstehen aber nicht nur an den Rädern, sondern auch auf der Schiene. Diese Schienenriffel stellen typische Abnutzungserscheinungen dar. Sie sind beispielsweise vergleichbar mit den Unebenheiten auf einer durch starken Lkw-Verkehr belasteten Autobahn. Begünstigt wird ihre Entstehung wiederum durch Oberflächenfehler an den Rädern [Brei02a, S. 343].
rad_schiene_rauh.jpgAbb. 2: Geräuschemission resultierend aus dem Zusammenwirken von Oberflächenfehlern ("Rauhigkeiten") von Rad und Schiene [EUKOM04aj, S. 13]

Als dritte wichtige Schwingungsquelle ist die Polygonalisierung der Radlaufflächen ("unrunde Räder") zu nennen.

Intensität der der Geräusche

Die Höhe der Geräuschabstrahlung ist abhängig von der Ausführung und Beschaffenheit der Konstruktionselemente von Fahrzeug und Gleis. Das sind im Einzelnen:
  • Radform und -größe
  • gegebenenfalls vorhandene Radschwingungsdämpfer
  • akustische Rauigkeit im Fahrspiegel
  • Schienenform
  • dynamischen Eigenschaften von Schienenbefestigung und Zwischenlagen
  • Schwellenform
  • etwaig vorhandene Schienenbedämpfung
[Kali10a, S. 619]

Von besonderer Relevanz ist die Geschwindigkeit des Fahrzeugs. Bei einer Geschwindigkeitsverdopplung wird im Normalfall von einem linearen Ansteigen des vom Rollgeräusch ausgehenden Schalldruckpegels um 9 Dezibel(A) ausgegangen [HeWi99, S.49].
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Ursachen von Schienenverkehrsstreckenlärm (Stand des Wissens: 16.05.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?312898
Literatur
[Brei02a] Breimeier, Rudolf, Dr.-Ing. Halbierung des Güterzuglärms möglich, veröffentlicht in Eisenbahn-Revue International, Ausgabe/Auflage 7, MINIREX AG CH-6002 Luzern, 2002, ISBN/ISSN 1421-2811
[EUKOM04aj] Ulrik Danneskiold-Samsøe Noise as part of a European rail grinding strategy, 2004/02
[EUKOM99e] European Rail Research Institute, Ipse S.r.l., Netherlands Organisation for Applied Scientific Research (TNO) , NS Technical Research, ÖBB-Holding AG, psiA-Consult, Umweltforschung und Engineering GmbH , Schreiner Consulting GmbH, Société Nationale des Chemins de fer Francais MetaRail - Methodologies and Actions for Rail Noise and Vibration Control, 1999/12
[Hech10] Hecht, M. Rollgeräusche bei Eisenbahnfahrzeugen, veröffentlicht in EI - der Eisenbahningenieur, Ausgabe/Auflage 9, DVV Media Group GmbH | Eurailpress, Hamburg, 2010/06, ISBN/ISSN 0013-2810
[HeWi99] Hecht, Markus, Prof. Dr.-Ing., Wiemers, Marc, Dipl.-Ing. Rollgeräuschuntersuchung für verschiedene Radbauarten, veröffentlicht in Eisenbahningenieur, Ausgabe/Auflage 7, Tetzlaff Verlag GmbH & Co. KG, 1999, ISBN/ISSN 0013-2810
[Kali10a] Kalivoda, M. Über den Beitrag des Gleises zur Höhe des Rollgeräusches und des Vorbeifahrtpegels, veröffentlicht in ETR - Eisenbahntechnische Rundschau, Ausgabe/Auflage 09, DVV Media Group GmbH | Eurailpress, Hamburg, 2010/09, ISBN/ISSN 0013-2845
[KnKl02] Klimpel, Thomas, Dipl.-Ing., Knothe, Klaus, Prof. Dr.-Ing. Schienenlärm: Ergebnisse aus deutschen und europäischen Forschungsvorhaben, veröffentlicht in Zeitschrift für Lärmbekämpfung, Ausgabe/Auflage 49, Springer-Verlag Heidelberg , 2002/03
[Kwas98] Kwasnicki, Elias Lärmreduktion durch gesteuerte Radsätze, veröffentlicht in Eisenbahningenieur, Ausgabe/Auflage 1, Tetzlaff Verlag GmbH & Co. KG, 1998, ISBN/ISSN 0013-2810
[Möhl11] Möhler, U. Grundlagen des Lärmschutzes an Schienenwegen, veröffentlicht in Der Eisenbahningenieur, Ausgabe/Auflage 2011 / 05, DVV Media Group GmbH / Hamburg, 2011/05, ISBN/ISSN 0013-2810
[NiAc98] Ackva, Johannes, Dr., Niedermeyer, Siegfried, Dr. Minderung des Schienenverkehrslärms von Festen Fahrbahnen durch Maßnahmen an der Schiene, veröffentlicht in Zeitschrift für Lärmbekämpfung, Ausgabe/Auflage 45, Springer-Verlag Heidelberg , 1998/07
[SchRü13] Schuppe, A., Rüsch, F. Innovativer Technologie-Mix macht Schienenverkehr hörbar leiser, veröffentlicht in Eisenbahntechnische Rundschau Digital Collection, Ausgabe/Auflage 10, DVV Media Group GmbH / Hamburg, 2013/10, ISBN/ISSN 0013-2845
[Sieg99] Siegmann, Jürgen, Prof. Dr.-Ing. habil. Was kann der Fahrweg der Bahn zur Lärmreduktion beitragen?, veröffentlicht in Eisenbahningenieur, Ausgabe/Auflage 3, Tetzlaff Verlag GmbH & Co. KG, 1999, ISBN/ISSN 0013-2810
Statistiken
[Stat474] Wiemers, Marc, Dipl.-Ing. Schätzung der Bauteilrelevanz bezüglich der Luftschallabstrahlung bei der Vorbeifahrt eines Güterwagens, 2005
Glossar
Lkw Lastkraftwagen (Lkw) sind Kraftfahrzeuge, die laut Richtlinie 1997/27/EG überwiegend oder sogar ausschließlich für die Beförderung von Gütern und Waren bestimmt sind. Oftmals handelt es sich dabei um Fahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse zwischen 3,5 und 12 Tonnen. In Einzelfällen kann die zulässige Gesamtmasse diese Werte jedoch auch unter- beziehungsweise überschreiten, sofern das Kriterium der Güterbeförderung gegeben ist. Lastkraftwagen können auch einen Anhänger ziehen.
Klotzbremse Die Klotzbremse ist aufgrund ihres einfachen Aufbaus und ihrer Wirtschaftlichkeit die am häufigsten verwendete Reibungsbremse bei Eisenbahnwagen im Schienengüterverkehr. Als Reibfläche wird die Radlauffläche genutzt. Die Sohle des Bremsklotzes besteht dabei entweder aus Grauguss oder moderneren Verbundstoffen (K- oder LL-Sohle).
dB(A) Messgröße des A-bewerteten Schalldruckpegels zur Bestimmung von Geräuschpegeln. Die dB-Skala ist logarithmisch aufgebaut, d. h. eine Verdoppelung der Lärmintensität führt zu einer Erhöhung um 3 dB. Das menschliche Ohr empfindet eine Erhöhung um 10 dB als Verdoppelung der Lautstärke. Hierzu ist eine Schallintensitätsverzehnfachung erforderlich. Der Zusatz "(A)" gibt an, dass dem betreffenden Messergebnis die standardisierte A-Berwertungskurve zugrunde liegt. Sie berücksichtigt einen nichtlinearen frequenz- und pegelabhängigen Zusammenhang zwischen subjektiv wahrgenommenem Läutstärkepegel und vorliegendem Schalldruckpegel. So empfindet das menschliche Gehör bspw. mittlere Frequenzen im Vergleich zu niedrigen Frequenzgängen als wesentlich lauter, weshalb die Einheit dB(A) entsprechende Tonhöhen stärker gewichtet. Ein gesundes Ohr kann bereits einen Schalldruck von 0 dB (A) wahrnehmen (Hörschwelle), bei Werten über 120 dB (A) wird die Geräuschbelastung unerträglich laut (Schmerzgrenze). Eine Langzeiteinwirkung von über 85 dB(A) zieht u. U. dauerhafte Gehörschäden nach sich.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?49263

Gedruckt am Donnerstag, 28. März 2024 18:27:25