Low-Noise-Technologie im Schienenverkehr
Erstellt am: 27.06.2003 | Stand des Wissens: 17.05.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Die Arbeitsgemeinschaft Low Noise Train (ARGE LNT) ist ein Gemeinschaftsprojekt der Bahnen Österreichs (ÖBB-Holding AG) und der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB). Die ARGE LNT wurde im Februar 2000 auf Initiative der ÖBB zusammen mit der SBB, dem Deutsche Bahn AG Konzern (DB AG) und Trenitalia S.p.A. gegründet, um die grundsätzlichen Schallminderungspotenziale im Güterverkehr zu erforschen. Die DB AG schied jedoch bereits ein Jahr später und die Trenitalia S.p.A. im Jahr 2005 im Zuge von Reorganisationen aus. [PreHo12, S. 13 f].
Zielsetzung war die Entwicklung eines Güterwagens (LNT- Prototyp), der bei einer Geschwindigkeit von 80 Kilometer pro Stunde einen Schallemissionspegel von 81 Dezibel(A) nicht überschritt. Dies entspricht einer Senkung der heutigen Werte um 10 bis 15 Dezibel(A). Gleichzeitig erhob man den Anspruch, die Betriebs- und Beschaffungskosten stabil zu halten. Die europäische Fahrzeugindustrie wurde daraufhin über eine funktionale Ausschreibung aufgefordert, ihre Lösungen zu präsentieren. Auf Basis von fünf Angeboten entstanden drei LNT-Prototypen eines 60-Fuß-Containertragwagens, wobei die ARGE LNT die Entwicklungs- und Herstellungskosten übernahm.
Die wichtigsten Konstruktionsmerkmale hinsichtlich des Lärmreduktionsziels waren
Die wichtigsten Konstruktionsmerkmale hinsichtlich des Lärmreduktionsziels waren
- die Verwendung modifizierter Drehgestelle mit antidröhnbeschichteten Radsätzen,
- der Einsatz einer schalloptimierten Drehgestellfederung,
- die schalloptimierte Entkoppelung des Drehgestells vom Güterwagenuntergestell,
- die Verwendung von Verbund-K-Bremssohlen,
- Antidröhn-Anstriche am Untergestell,
- die akustische Entkoppelung der Container vom Tragwagen und
- schallreduzierende Maßnahmen an den Zug- und Stoßeinrichtungen an den Wagenenden.
[Pres04, S. 32 f.]
Die Ergebnisse der zwischen 2003 und 2005 vorgenommen Geräuschpegelmessungen übertrafen die Erwartungen. "War man vor der Demonstration mit dem Low Noise Train noch davon ausgegangen, dass ein Vorbeifahrtpegel von unter 83 Dezibel(A) nur mit teuren Scheiben- oder Trommelbremsen erzielbar sei, hat das Projekt Low Noise Train gezeigt, dass man mit einer sinnvollen Kombination von heute bekannten Technologien Güterwagen produzieren kann, welche ohne Steigerung der Life-Cycle-Kosten nicht lauter als moderne Reisezugwagen sind" [Pres04, S. 33 f.]. Die selbstgesteckte Zielsetzung von 81 Dezibel(A) bei einer Geschwindigkeit von 80 Kilometer pro Stunde wurde mit den erreichten 76 Dezibel(A) sogar deutlich übertroffen (Abbildung 1) [BaPr09, S. 623]. Als besonders relevante Elemente wurden die Ausrüstung mit K-Bremssohlen und ein Antidröhn-Anstrich an den Radscheiben ausgemacht. Die Prototypen wiesen in der praktischen Erprobung keine betrieblichen Besonderheiten auf, sodass sie wie konventionelle Wagen behandelt werden konnten. [MiPr07] Ferner gelang es, durch Untersuchungen und Vergleiche der einzelnen lärmmindernden Maßnahmen einen LNT-Prototyp zu entwickeln, der einen optimalen Mix aus diesen Maßnahmen enthielt [BaPr09, S. 625].
Auch wenn die eingehende Betrachtung der Messrandbedingungen letztlich zu einer kritischeren Bewertung der erzielten Schallemissionswerte geführt hat, wird das Projekt als gute Basis für die [Weiter]entwicklung eines leisen Güterwagens gewertet [Wiem05, S. 15]. So konnte durch den LNT-Prototyp die zu der Zeit im Entstehen befindliche Lärm-TSI beeinflusst werden [PreHo12, S. 12]. Während beim LNT-Projekt sämtliche verfügbare Maßnahmen unabhängig von ihrem tatsächlichen Lärmminderungspotenzial getestet wurden, ging man in den nachfolgenden Projekten auf einzelne Maßnahmen wie zum Beispiel 2007 auf Entdröhn-Maßnahmen am Wagenkasten und an den Drehgestellen ein [BaPr09, S. 623]. Der Verzicht auf die vollständige Anwendung des bestehenden Maßnahmenpakets sollte auch zu [wiederum lärmsenkenden] Gewichtseinsparungen am Fahrzeug führen [Wiem05, S. 15].
Perspektivisch könnten Untersuchungen an kombinierten Maßnahmen an Infrastruktur und Fahrzeug angedacht werden. Die ARGE LNT plant außerdem Optimierungen der Lärmreduktion durch Frequenzverlagerungen und speziell Pegelreduktionen im tiefen Frequenzbereich zuerst bei den Schwingungselementen wie Rad und Schiene und darüber hinaus bei Oberbau und Untergestell von Güterfahrzeugen zu untersuchen. [BaPr09, S, 625]
Ein anderes Beispiel für den kombinierten Einsatz unterschiedlicher Schallreduktionsmaßnahmen in einem Experimentalzug ist der niederländische "Fluistertrein". Der für DB Schenker Rail Nederland N.V. zwischen den Niederlanden und Belgien verkehrende Zug (Abbildung 2) ist mit speziellen Rädern, Dämpfern und Bremsen ausgerüstet [CER04, S. 17]. Im Rahmen der 2007 durchgeführten Schallmessungen konnte eine Gesamtgeräuschreduktion von 9 Dezibel(A) nachgewiesen werden. Das vorab mit Blick auf die zu erzielenden Schallemissionssenkungen - definierte Minimalziel von 7 Dezibel(A) erwies sich somit als realistisch [WaPe08, S. 13; PoPe07]
Abb. 2: Prototyp-Fahrzeug im Besitz von VTG