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Der internationale Eisenbahnverband als Akteur im Bereich der Schienenverkehrslärmreduzierung

Erstellt am: 27.06.2003 | Stand des Wissens: 08.11.2018
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Bereits 1998 rief die Union Internationale des Chemins de fer (UIC, deutsch Internationaler Eisenbahnverband) zusammen mit der Community of European Railway and Infrastructure Companies (CER, deutsch Gemeinschaft der Europäischen Bahnen und Infrastrukturunternehmen) sowie der Union Internationale des Wagons Privés (UIP, deutsch Internationale Privatgüterwagen-Union) das "Aktionsprogramm Lärmreduktion Güterverkehr" mit folgenden Kernpunkten ins Leben:
  • kurz- bis mittelfristiges, kostenneutrales Aus- bzw. Umrüstungsprogramm mit neuen Verbundstoffsohlen für Güterwagen mit Klotzbremsen
  • langfristige Einführung von "Low-Noise-Technology" für das Gesamtsystem Schienenfahrweg/-fahrzeug
[UIC07d, S. 2]

Hierfür wurde unter anderem eine Kommunikationsstrategie geplant, die zu einer Berücksichtigung bahnspezifischer Lärmreduktion in der von der Europäischen Union (EU) vorbereiteten Gesetzgebung führen sollte. Als Programmziel wurde eine Reduktion des Güterwagenlärms um mittelfristig rund 10 Dezibel(A) und langfristig um bis zu 20 dB(A) gegenüber dem Jahr 2001 definiert. Die Projektkoordination wurde von einer Steuergruppe der UIC übernommen; sie konzentriert sich darauf, die folgenden prioritären Aufgaben zu lösen:
  • Entwicklung geeigneter Verbundstoffbremssohlen sowie Schaffung von Voraussetzungen für deren Einsatz und Verwendung
  • Erfassung des umzurüstenden Wagenparks und Festlegung der notwendigen Prioritäten
  • nachhaltige Unterstützung des Programms durch Zusammenarbeit mit der EU
[Muel01, S. 612; ERI03]
Kernpunkt des Aktionsprogramms stellt die mittelfristige Umrüstung des bestehenden Güterwagenparks auf Verbundstoffbremssohlen dar. Während die Komposit-Bremssohle (K-Sohle) bereits seit 2003 international zugelassen ist und in neuen Fahrzeugen kostenneutral eingesetzt wird, ist die Umrüstung der im Betrieb befindlichen Güterwagen deutlich aufwendiger. Gegenüber der K-Sohle ist die Umrüstung auf die sogenannte "Low noise, Low friction-Sohle" (LL-Sohle) mit deutlich weniger Aufwand und 3,5-fach niedrigeren Kosten verbunden. [SchRü13, S. 12]
Der finale Betriebsversuch der LL-Sohle fand im Zuge des von der UIC initiierten Projekts "EuropeTrain" von Dezember 2010 bis Januar 2013 statt. Hierbei legte ein mit LL-Sohlen ausgerüsteter Zug eine Distanz von 200.000 Kilometern über einen Zeitraum von zwei Jahren zurück. [Gill13, S. 11 f.] Mit der Zulassung der LL-Sohle durch die UIC im Juni 2013 soll die Umrüstung der Güterwagen im Rahmen des Trassenpreissystems realisiert werden [EBA13c; Wint13, S. 8].
Seit 2005 findet zudem jährlich ein Workshop zum Thema Güterverkehrslärmreduzierung statt [UIC12]. Um ihre Mitglieder in die Umsetzung der EU-Richtlinie EG2002/49 (unter anderem Erstellung von Lärmkarten durch die öffentliche Hand) einzubinden, hat die UIC Workshops und Informationsmaterial konzipiert und zusammengestellt [UIC12a und UIC08g].
Zum Thema Bahnlärm hat die UIC in den vergangenen Jahren eine Reihe umfangreicher Fachartikel veröffentlicht:
  • "Bahnlärm in Europa":
    Der Sachstandsbericht 2010 gibt einen Überblick über die Lärmsituation in Europa, über die Technologien zur Umsetzung der Lärmminderung sowie die Anreize aus der Politik zur Umsetzung der notwendigen Umrüstung [UIC10a].
  • "Lärmbekämpfung im Schienengüterverkehr" (zusammen mit CER):
    Der Sachstandsbericht 2007 basiert auf zahlreichen Workshops der EU und der UIC in den Jahren 2005 bis 2007. Zum Thema Bahnlärm beschreibt er den europäischen Gesetzesrahmen, den Standpunkt der Eisenbahnen, verfügbare Technologien, Aspekte der Wirtschaftlichkeit sowie gegenwärtige Aktivitäten. [UIC08a]
  • "Lärmreduzierung auf der europäischen Schieneninfrastruktur" (zusammen mit CER):
    Ziel des Sachstandsberichts 2007 ist es, eine Übersicht über abgeschlossene, laufende und geplante infrastrukturelle Lärmschutzprogramme zu vermitteln. Er stellt die aktuelle Lärmgesetzgebung in Europa dar und beschreibt die nationalen, auf den Schienenfahrweg gerichteten Eisenbahnlärmbekämpfungsprogramme von 17 europäischen Ländern. [UIC07d]
  • "Sachstandsbericht und Hintergrundinformationen über lärmabhängige Trassenbenutzungsgebühren":
    Der Bericht erläutert einige Thesen, die es mit Blick auf lärmabhängige Trassenpreise zu berücksichtigen gilt. Ein auf Direktförderung gestütztes Anreizsystem wird darin als schneller umsetzbare Alternative angesehen. Der Bericht wurde 2009 um eine zusätzliche Anlage ergänzt. [UIC07eUIC09]
  • "Environmental Noise Directive Development of Action Plans for Railways":
    Die Veröffentlichung aus dem Jahr 2008 richtet sich im Wesentlichen an Eisenbahnunternehmen; sie sollen auf eine ausreichende Einbindung und Berücksichtigung bei der Umsetzung der EU-Umgebungslärmrichtlinie EG2002/49 vorbereitet werden. [UIC08b]
Darüber hinaus wurde im Auftrag der UIC das IT-Tool "FreightSlimSilent" (Abbildung 1) entwickelt, welches es Güterwagenbetreibern ermöglicht, die mit verschiedenen Umrüstungsszenarien verbundenen Kosten schnell und einfach zu ermitteln. Der betrachtete Zeithorizont beträgt dabei 20 Jahre. Das Programm ist auf der UIC-Webseite kostenlos abrufbar. [UIC09a]
Abb. 1: UIC-IT-Tool "FreightSlimSilent", Screenshot Arbeitsoberfläche [UIC09a]
RIVAS Projekt

Neben dem hier bereits vorgestellten "Aktionsprogramm Lärmreduktion Güterverkehr" hatte die UIC eine führende Rolle bei dem - im Rahmen des 7. Forschungsprogramms der EU durchgeführten - Forschungs- und Entwicklungsprogramm "Railway Induced Vibration Abatement Solutions" (RIVAS) inne. Das RIVAS-Programm hatte die Erarbeitung von Lösungen und Methoden zur Minderung des durch den Schienenverkehr verursachten Körperschalls (eng. Ground Vibration) zum Ziel. Die bei der Abschlusskonferenz 2013 vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass es dabei keine Patentlösung geben kann und die jeweils stark differierenden, spezifischen Vor-Ort-Bedingungen zu berücksichtigen sind. [UIC13a]

Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Lärmemissionen des Schienenverkehrs (Stand des Wissens: 27.02.2019)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?312886
Literatur
[EBA13c] o. A. UIC gibt "LL-Sohle" frei - Nationale Zulassung nicht erforderlich, 2013/06/05
[ERI03] o.A. Der Schienenverkehr wird leiser, veröffentlicht in Eisenbahn-Revue International, Ausgabe/Auflage 204, MINIREX AG Luzern, 2003/05, ISBN/ISSN 1421-2811
[Gill13] Gilliam, D. Status LL-Sohlen - Zulassung und weitere Entwicklung, 2013/05/16
[Muel01] Müller, Christoph Die Bahn muss leiser werden - Lärmreduzierung bei Strecken und Fahrzeugen, veröffentlicht in Internationales Verkehrswesen, Ausgabe/Auflage 12, Deutscher Verkehrs-Verlag GmbH, 2001, ISBN/ISSN 0020-9511
[SchRü13] Schuppe, A., Rüsch, F. Innovativer Technologie-Mix macht Schienenverkehr hörbar leiser, veröffentlicht in Eisenbahntechnische Rundschau Digital Collection, Ausgabe/Auflage 10, DVV Media Group GmbH / Hamburg, 2013/10, ISBN/ISSN 0013-2845
[UIC07d] Hübner, Peter, Dipl.-Ing. Sachstandsbericht 2007 - Lärmreduzierung auf der europäischen Schieneninfrastruktur, Paris, 2007/05, ISBN/ISSN 2746113287
[UIC07e] Hübner, Peter, Dipl.-Ing. Sachstandbericht und Hintergrundinformationen über lärmabhängigen Trassenbenutzungsgebühren, 2007/09/01
[UIC08a] Oertli, Jakob, Hübner, Peter, Dipl.-Ing. Sachstandsbericht 2007 - Lärmbekämpfung im Schienengüterverkehr, Paris, 2008/03
[UIC08b] Hemsworth, Brian Environmental Noise Directive - Development of Action Plans for Railways, Paris, 2008/04
[UIC08g] Hemsworth, Brian Environmental Noise Directive: Development of Action Plans for Railways, 2008/04
[UIC09] Hübner, Peter, Dipl.-Ing. Einführung von lärmabhängigen Trassenpreisen - Anlage zu "UIC-Sachstandbericht und Hintergrundinformationen zu lärmabhängigen Trassenpreisen", Paris, 2009/07/10
[UIC09a] o. A. Calculating Retrofitting Costs - New Tool Available, veröffentlicht in UIC Freight Noise Focus, Ausgabe/Auflage 3, Paris, 2009/02
[UIC10a] Oertli, Jakob, Hübner, Peter Bahnlärm in Europa - Sachstandsbericht 2010, Paris, 2010/09, ISBN/ISSN 9782746118829
[UIC12] o. A. Freight noise reduction by retrofitting, 2012
[UIC12a] o. A. Railway noise mapping, 2012
[UIC13a] De Keyzer, I. Ergebnisse des RIVAS Projekts: Abschlusskonferenz
"Erschütterungen - Wege zur Lösung des Problems", Paris, 2013/11/21
[Wint13] Winter, P. Lärmschutz an Schienenwegen - Stand und aktuelle Entwicklungen, veröffentlicht in Eisenbahntechnische Rundschau, Ausgabe/Auflage 10, DVV Media Group GmbH, Hamburg, 2013/10, ISBN/ISSN 978-3-7771-0460-7
Rechtsvorschriften
[EG2002/49] Richtlinie 2002/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Juni 2002 über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm
Glossar
Schienengüterverkehr
Unter Schienengüterverkehr (SGV) wird der Transport von Gütern mit der Eisenbahn verstanden. Diese werden in Güterzügen unter Verwendung (spezieller) Güterwagen befördert. Diese Verkehre können entweder auf gesonderten Güterverkehrsstrecken oder im Mischverkehr, auf gemeinsam durch den Güter- und Personenverkehr genutzten Strecken, realisiert werden. Leistungen des Schienengüterverkehrs werden häufig als Teil einer Logistikkette in logistische Gesamtkonzepte eingebunden.
Klotzbremse Die Klotzbremse ist aufgrund ihres einfachen Aufbaus und ihrer Wirtschaftlichkeit die am häufigsten verwendete Reibungsbremse bei Eisenbahnwagen im Schienengüterverkehr. Als Reibfläche wird die Radlauffläche genutzt. Die Sohle des Bremsklotzes besteht dabei entweder aus Grauguss oder moderneren Verbundstoffen (K- oder LL-Sohle).
LL-Bremssohle
Eine LL-Bremssohle (eng. für wenig Lärm, wenig Abrieb = Low noise, Low friction) ist eine Verbundstoff-Bremssohle und stellt den zentralen Bestandteil der bei Eisenbahngüterwagen verwendeten Klotzbremse dar. Sie sind im Vergleich zur technologisch veralteten Grauguss-Bremssohle deutlich leiser und stellen eine preisgünstige Alternative zur Umrüstung mit der sog. Komposit-Bremssohle (K-Sohle) dar.
dB(A) Messgröße des A-bewerteten Schalldruckpegels zur Bestimmung von Geräuschpegeln. Die dB-Skala ist logarithmisch aufgebaut, d. h. eine Verdoppelung der Lärmintensität führt zu einer Erhöhung um 3 dB. Das menschliche Ohr empfindet eine Erhöhung um 10 dB als Verdoppelung der Lautstärke. Hierzu ist eine Schallintensitätsverzehnfachung erforderlich. Der Zusatz "(A)" gibt an, dass dem betreffenden Messergebnis die standardisierte A-Berwertungskurve zugrunde liegt. Sie berücksichtigt einen nichtlinearen frequenz- und pegelabhängigen Zusammenhang zwischen subjektiv wahrgenommenem Läutstärkepegel und vorliegendem Schalldruckpegel. So empfindet das menschliche Gehör bspw. mittlere Frequenzen im Vergleich zu niedrigen Frequenzgängen als wesentlich lauter, weshalb die Einheit dB(A) entsprechende Tonhöhen stärker gewichtet. Ein gesundes Ohr kann bereits einen Schalldruck von 0 dB (A) wahrnehmen (Hörschwelle), bei Werten über 120 dB (A) wird die Geräuschbelastung unerträglich laut (Schmerzgrenze). Eine Langzeiteinwirkung von über 85 dB(A) zieht u. U. dauerhafte Gehörschäden nach sich.
Komposit-Bremssohle
Die Komposit-Bremssohle (K-Sohle) ist eine Verbundstoff-Bremssohle und der zentrale Bestandteil der bei Eisenbahngüterwagen verwendeten Klotzbremse. Sie ist im Vergleich zur technologisch veralteten Grauguss-Bremssohle deutlich leiser und stellt eine Alternative zur vergleichbaren LL-Bremssohle (LL-Sohle) dar.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?49165

Gedruckt am Freitag, 29. März 2024 07:16:10