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Genauigkeit von Verkehrsprognosen

Erstellt am: 18.03.2010 | Stand des Wissens: 17.10.2018
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Fehlprognosen können verschiedene Ursachen haben. Eine Abweichung der Prognose von der im Nachhinein tatsächlich eingetroffenen Entwicklung, ist nicht zwangsläufig Folge eines Prognosefehlers. Fehlprognosen sollten jedoch in jedem Fall analysiert werden um die Ursache der Abweichung zu identifizieren und gegebenenfalls einen Prognosefehler aufdecken zu können.
Mögliche Ursachen für systematische Abweichungen des Prognoseergebnis von der später eintreffenden Entwicklung sind (vgl. [Stei05]):
  • fehlende oder unberücksichtigte Daten,
  • unerwartete Ereignisse,
  • unzutreffende Fortschreibungsfunktion.
Eine Fehlerquelle kann darin liegen, dass bestimmte Daten, die für die Prognose erforderlich sind, nicht vorliegen. Das Prognosemodell weist dann materielle Lücken auf, die zu fehlerhaften Ergebnissen führen können. Bei bestimmten Daten scheitert es jedoch bereits an einer unzureichenden Erfassung innerhalb des Prognosemodells. Dazu zählen nach [Kil91] insbesondere Fahrten mit Selbstzweckcharakter (Urlaubs- und Freizeitverkehr).
Eine weitere Fehlerquelle von Prognosen liegt im Auftreten unerwarteter, schwerwiegender Ereignisse (Schocks oder auch Strukturbruch genannt). Solche Ereignisse sind zum Zeitpunkt der Prognoseerstellung nicht absehbar und können nicht mit in die Prognose einbezogen werden. Beispiele derartiger Schocks sind die deutsche Wiedervereinigung, die Osterweiterung der EU, der Terroranschlag vom 11.09.2001 oder Ölpreiskrisen in der Vergangenheit (vgl. [Ratz98]). Die Prognosen müssen in derartigen Fällen erneuert werden, um die veränderten Bedingungen aufzugreifen. Auch innerhalb des Verkehrssystems kann durch neue Entwicklungen im Angebot ein Schock oder Strukturbruch hervorgerufen werden, der so einige Jahre im Voraus nicht abzusehen war.
Fehlprognosen können darüber hinaus durch eine unzutreffende Fortschreibungsfunktion entstehen. Beispielsweise kann eine lineare Wachstumsfunktion unterstellt werden, während sich die Verkehrsnachfrage tatsächlich exponentiell entwickelt. Die Gefahr einer falschen Spezifikation ist umso größer, je weniger eindeutig die Zusammenhänge in der Stützperiode der Vergangenheit waren. Zwischen der Verkehrsnachfrage und der Angebotserweiterung besteht darüber hinaus eine Rückkopplung, die bei der Modellierung der Verkehrsprognose eingeschätzt werden muss
Ein aus der bisherigen Erfahrung in Deutschland bekanntes Problem mit unzutreffenden Fortschreibungsfunktionen, ist die Unterschätzung der zukünftigen Verkehrsnachfrage. Insbesondere im Straßenverkehr wurden Prognosen in der Vergangenheit wiederholt von der realen Entwicklung übertroffen. Beispielsweise wurde das langfristige Wachstum des Personen- und Güterverkehrs, sowie der Anstieg der Mobilisierungsrate erheblich unterschätzt (vgl. [Stei05], S. 231).
Auch [Ratz98] hat bereits darauf hingewiesen, dass in der Vergangenheit häufig eine Unterschätzung der Mobilitätsrate sowie eine Fehleinschätzung des Modal Split zur Entfernung von Prognosen von der realen Entwicklung beigetragen haben. Insbesondere die Überschätzung der Entwicklung des Modal Split Anteils der Schiene am Güterverkehrsaufkommen wurde wie bereits von [Ratz98] kritisiert. Diese Kritik wurde auch an der dem Bundesverkehrswegeplan 2030 unterliegenden Verkehrsprognose geübt (vgl. [BUND16a]).
Allgemein lässt sich sagen, dass die Treffsicherheit von Prognosen mit der Prognosedimensionierung in zeitlicher und räumlicher Hinsicht variiert. Das Risiko einer Fehlprognose steigt, wenn die Prognose langfristig und kleinräumig (zum Beispiel streckenspezifisch) angelegt ist. Kurzfristige und großräumige (zum Beispiel deutschlandweite) Prognosen sind demgegenüber mit höherer Wahrscheinlichkeit treffgenau.
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Verkehrsprognosen (Stand des Wissens: 27.02.2019)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?226908
Literatur
[BUND16a] Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (Hrsg.) Stellungnahme des BUND Bundesverbandes
zum Bundesverkehrswegeplan
2030, 2016
[Kil91] TU Berlin, H.H.Kill Erfolgsstrategien von Verkehrssystemen, veröffentlicht in Schriftenreihe des Instituts für Verkehrswegeplanung und Verkehrswegebau der TU Berlin, Ausgabe/Auflage Band 24, 1991
[Ratz04] Ratzenberger, Ralf, Dipl.-Kfm. Überprüfung ausgewählter langfristiger Verkehrsprognosen, München, 2005/03
[Ratz98] Ralf Ratzenberger Langfristige Verkehrsprognosen auf dem Prüfstand, 1998
[Stei05] Steierwald, G, et al. Stadtverkehrsplanung - Grundlagen, Methoden, Ziele, Ausgabe/Auflage 2, Springer-Verlag, Berlin 2005, 2005
Glossar
Bundesverkehrswegeplan
Als Instrument einer mittel- bis langfristigen Investitionsrahmenplanung für den Erhalt und Ersatz bundeseigener Verkehrsinfrastruktur erfasst der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) das zwecks zielgerichteter Ausgestaltung sowie Erweiterung von Bundesfernstraßen, Bundeswasserstraßen und Schienenwegen des Bundes erforderliche Finanzierungsvolumen. Auf Basis verkehrsträgerübergreifender Prognosen findet in diesem Zusammenhang eine Priorisierung vorgesehener Neu- und Ausbauprojekte gemäß ihrer gesamtwirtschaftlichen Bewertung sowie ökologischer und raumordnerischer Einschätzungen statt. Grundsätzlich wird infolgedessen zwischen "vordinglichem Bedarf" (VB) und "weiterem Bedarf" (WB) unterschieden.

Der BVWP tritt auf Beschluss des Bundeskabinetts in Kraft und umfasst jeweils einen Zeithorizont von circa zehn bis 15 Jahren. Seit 1973 sind bereits sechs konsekutive Verkehrswegepläne verabschiedet worden. Der letzten, dem Jahr 2016 entstammenden Fortschreibung liegt ein Planungszeitraum bis 2030 und ein Investitionsvolumen in Höhe von 269,6 Milliarden Euro zugrunde, siehe auch gesonderte Wissenslandkarte "Bundesverkehrswegeplanung" hier im Forschungsinformationssystem.
Modal Split
Modal Split wird in der Verkehrsstatistik die prozentuale Verteilung des Personen- und Güterverkehrs auf verschiedene Verkehrsmittel (Modi) genannt. Der Modal Split ist Folge des Mobilitätsverhaltens der Menschen und der wirtschaftlichen, insbesondere der verkehrlichen Entscheidungen von Unternehmen.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?295046

Gedruckt am Freitag, 19. April 2024 11:46:38