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Energienachfrage und -bereitstellung

Erstellt am: 21.06.2023 | Stand des Wissens: 21.06.2023
Synthesebericht gehört zu:

Die Elektrifizierung des Verkehrs wird zu einer hohen zusätzlichen Stromnachfrage führen, die durch einen entsprechenden Ausbau von Anlagen für erneuerbare Energien gedeckt werden muss. In welcher Größenordnung sich die zukünftige Stromnachfrage des Verkehrssektors bewegt, wird ganz wesentlich von den Anteilen der verschiedenen Antriebstechnologien und -energien abhängen. Oberleitungsgetriebene und batterieelektrische Fahrzeuge weisen durch eine hohe Effizienz des Antriebes und der Energieerzeugung einen vergleichsweise geringen Strombedarf auf. Brennstoffzellenfahrzeuge besitzen zwar einen ähnlich effizienten Antrieb, jedoch ist die Wasserstofferzeugung mit deutlich höheren Energieverlusten verbunden. Strombasierte synthetische Kraftstoffe zum Einsatz in konventionellen Verbrennungsmotoren besitzen die geringste Effizienz von Antrieb und Energieerzeugung (Tabelle 1) [BMVI16v].
Stromverbrauch Pkw Kompaktklasse.pngTab. 1: Stromverbrauch von Personalkraftwagen aus der Kompaktklasse [BMVI16v]
Der Vergleich mit dem Stromverbrauch eines Vierpersonenhaushalts verdeutlicht, welche erheblichen Stromnachfrageeffekte eine vorranginge Einführung selbst sehr effizienter batterieelektrischer Personenkraftwagen (Pkw) bedeuten würde. Berücksichtigt man den Einsatz von Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen als Nischenanwendungen im Straßen- und Schienenverkehr sowie Hauptanwendungen im Flug- und Schiffsverkehr, erhöht sich die verkehrsbedingte Stromnachfrage signifikant. Eine Berechnung von Agora Verkehrswende kommt bei solch einer Entwicklung bis zum Jahr 2050 auf eine verkehrsbedingte Stromnachfrage von 542 Terawattstunden [AgVe17]. Zum Vergleich: Im Jahr 2021 lag die Bruttostromerzeugung in Deutschland bei 588 Terawattstunden [UBA23a]. Die Ergebnisse solcher Szenarien hängen von vielen Annahmen ab, ganz wesentlich aber von der angenommenen Entwicklung der Verkehrsleistung, der Energieeffizienz und den Anteilen der verschiedenen Antriebstechnologien und -energien. Erreicht der Verkehrssektor bis 2050 vorwiegend auf Grundlage von Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen die Treibhausneutralität, kommen Berechnungen auf einen Strombedarf von 914 Terawattstunden [AgVe17].

Mit der Energiewende ist ein großer Um- und Ausbau des Stromsystems verbunden. Mit der verkehrsbedingten Stromnachfrage müssen zum Beispiel in gleicher Menge zusätzliche Erzeugungskapazitäten aus erneuerbaren Energien geschaffen werden. Neben der Umstellung der Stromerzeugung auf erneuerbare Energien ist ein Ausbau des Übertagungs- und Verteilnetzes notwendig, da beispielsweise schon eine geringe Anzahl gleichzeitig ladender batterieelektrischer Pkw im Verteilnetz zu örtlichen und zeitlichen Überlastungen führen kann. Zudem sollte die Betriebsweise des Stromnetzes optimiert werden, damit die Versorgungssicherheit weiterhin gewährleistet werden kann [BMVI16v]. Um in Deutschland den enormen Strombedarf des Verkehrs und anderer Sektoren aus erneuerbaren Energien decken zu können, werden Importe von Strom und strombasierten Kraftstoffen notwendig sein. Das liegt unter anderem an den ungünstigen Klimabedingungen, der geringen Flächenverfügbarkeit und den hohen Stromerzeugungskosten in Deutschland. Allerdings geht mit Stromimporten eine Abhängigkeit von den Lieferländern einher, sodass Energiepartnerschaften bewusst gewählt und möglichst diversifiziert werden müssen. So könnte sich beispielsweise der Mittelmeerraum zu einer Exportregion von regenerativem Strom und strombasierten Kraftstoffen entwickeln [HoRi].

Bezüglich des Netzbetriebes eröffnen sich mit der Kopplung des Verkehrs- und Energiesektors aber auch Möglichkeiten zur Optimierung. So kann der Verkehr einen flexiblen Stromnachfrager und -speicher darstellen, der Angebot und Nachfrage in einem auf erneuerbaren Energien basierenden Energiesystem ausbalancieren kann. Dazu muss zum einen die Nachfrage des Verkehrs flexibel an das zeitlich verfügbare Stromangebot angepasst werden (Lastflexibilität). Das ist durch die intelligente Steuerung des Ladevorgangs bei batterieelektrischen Fahrzeugen sowie über die Steuerung der Erzeugungskapazität von Produktionsanlagen für strombasierte Kraftstoffe möglich. Zum anderen müssen Batterien und strombasierte Kraftstoffe als Energiespeicher genutzt werden, die die gespeicherte Energie bei Bedarf wieder in das Stromnetz einspeisen können. Batterieelektrische Fahrzeuge eignen sich als Kurzeitspeicher und können durch einen bidirektionalen Lademechanismus die Energie wieder in das Stromnetz einspeisen. Strombasierte Kraftstoffe eignen sich dagegen als Langzeitspeicher und können ebenfalls zur Stabilisierung des Stromnetzes rückverstromt werden. Insgesamt lässt sich feststellen, dass es bei den Antriebstechnologien und -energien einen umgekehrten Zusammenhang zwischen der Gesamtenergieeffizienz und der Systemdienlichkeit (Speicherfähigkeit und Lastflexibilität) gibt. So ist das System aus synthetischen Kraftstoffen im Verbrennungsmotor zwar ineffizient, jedoch kann die Produktion zeitlich flexibel an das Stromangebot angepasst und die Energie in den Kraftsoffen lange gespeichert werden. Oberleitungsgebunde Fahrzeuge ohne Batterie besitzen im Gegensatz dazu eine sehr hohe Energieeffizienz, sind aber hinsichtlich des Zeitpunktes der Stromnachfrage nicht flexibel und können keine Energie speichern [BMVI16v].
Ansprechpartner
IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Energiewende im Verkehr durch klimaneutrale Antriebsenergie (Stand des Wissens: 21.06.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?572442
Literatur
[AgVe17] Christian Hochfeld, Alexander Jung, Anne Klein-Hitpaß, Urs Maier, Kerstin Meyer, Fritz Vorholz Mit der Verkehrswende die Mobilität von morgen sichern: 12 Thesen zur Verkehrswende, 2017/03
[BMVI16v] P. Schmidt, T. Raksha, J. Jöhrens, U. Lambrecht, N. Gerhardt, M. Jentsch MKS-Studie: Analyse von Herausforderungen und Synergiepotenzialen beim Zusammenspiel von Verkehrs- und Stromsektor, 2016/04
[HoRi] Gisa Holzhausen, Sarah Rieseberg, Dr. Christine Wörlen, Jens Altevogt Mehr Strom bitte! Szenarien für die Dekarbonisierung und Elektrifizierung des Verkehrssektors, 2018/11
[UBA23a] Umweltbundesamt (Hrsg.) Erneuerbare und konventionelle Stromerzeugung, 2023/03/22
Glossar
Verkehrswende
Mit der Verkehrswende in Deutschland wird das Ziel verfolgt, den Verkehrssektor bis spätestens 2050 klimaneutral zu gestalten. Dazu sollen die anfallenden Treibhausgasemissionen möglichst vollständig vermieden und verbleibende Restemissionen durch die Entnahme von Treibhausgasen aus der Atmosphäre ausgeglichen werden. Die Verkehrswende lässt sich in zwei parallellaufende Entwicklungen gliedern: die Mobilitätswende und die Energiewende im Verkehr (auch Antriebswende genannt).
H2 Wasserstoff ("H2" = grch.-lat. für hydrogenium "Wassererzeuger") ist das chemische Element mit der Ordnungszahl 1. Wasserstoff stellt sowohl bezogen auf die Masse (75%) als auch bezogen auf die Zahl der Teilchen (91%) das häufigste aller im All vorkommenden Elemente dar. Wasserstoff ist ein farb- und geruchloses Gas welches in der Natur aufgrund der hohen Reaktivität nicht in seiner elementaren Form vorkommt. Wasserstoff liegt gebunden in Form von Erdöl und Erdgas, in Mineralien, in Biomasse, aber vorwiegend in Form von Wasser vor. Wasserstoff ist somit ein Sekundärenergieträger (Energiespeicher)und muss erst aus den oben genannten fossilen oder nicht fossilen Primärenergieträgern unter Einsatz von zusätzlicher Energie hergestellt werden.
Verkehrsleistung
Die Verkehrsleistung gibt Auskunft über die Inanspruchnahme von Ressourcen. Als Verkehrsleistung wird die auf eine Zeiteinheit t (zum Beispiel ein Jahr) bezogene Verkehrsarbeit definiert und als Quotient dargestellt. Die Verkehrsarbeit wird dabei als Produkt von Verkehrseinheiten (zum Beispiel Güter oder Personen) und der durch diese zurückgelegten Strecke gebildet. In der Verkehrswissenschaft sind die Einheiten Personenkilometer pro Jahr [Pkm/a] oder Tonnenkilometer pro Jahr [tkm/a] gebräuchlich.
Szenarien Ein Szenario ist ein Bild der Zukunft, das sich aus einer bestimmten Kombination von relevanten Einflussfaktoren und Rahmenbedingungen entwickelt. Das grundsätzliche Anliegen von Szenarien besteht darin, verschiedene Handlungsoptionen zu verdeutlichen und ihre Folgewirkungen transparent zu machen.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?572419

Gedruckt am Montag, 29. April 2024 07:41:45