Forschungsinformationssystem des BMVI

zurück Zur Startseite FIS

Akteure und ihre Interessenskonflikte

Erstellt am: 20.06.2023 | Stand des Wissens: 20.06.2023
Synthesebericht gehört zu:

Die Energiewende im Verkehr ist ein Baustein der Verkehrswende und damit Teil einer umweltorientierten Verkehrspolitik. An der Gestaltung der Verkehrspolitik auf Bundesebene sind Akteure aus Politik, Wirtschaft und Interessensverbänden maßgeblich beteiligt. Auch der Wissenschaft kommt durch die Erforschung und Entwicklung von Antriebstechnologien und -energien eine zentrale Funktion zu. Sie steht den politischen Entscheidungsträgern beratend zur Seite und nimmt gleichzeitig eine vermittelnde Rolle bei der öffentlichen Kommunikation komplexer Themen wie der Klimakrise ein. Bei der Energiewende im Verkehr ist insbesondere ein Spannungsfeld zwischen ökonomischen und ökologischen Interessen erkennbar. Die Wirtschaft und wirtschaftsnahe Interessensverbände (zum Beispiel Verband der Automobilindustrie VDA) legen ihren argumentativen Fokus bei Diskursen überwiegend auf die Wertschöpfung, Wettbewerbsfähigkeit und Sicherstellung der Arbeitsplätze. Bei Naturschutz- und Umweltverbänden (zum Beispiel Deutsche Umwelthilfe DUH) wie auch vielen Akteuren aus der Wissenschaft liegt der Fokus auf dem Schutz von Klima und Umwelt. Die Gesellschaft und die von ihr gewählten Politiker sind dagegen in ihren Interessen sehr divers und bilden das gesamte Spektrum innerhalb dieses Spannungsfeldes ab [LiSa21]. Neben dem Spannungsfeld von Ökonomie und Ökologie spielt die gesellschaftliche Akzeptanz eine Rolle. Erst wenn verkehrspolitische Entscheidungen zum Umstieg auf alternative Antriebstechnologien und -energien die Akzeptanz der breiten Bevölkerung erlangen, können sie erfolgreich den Markt durchdringen. Laut Agora Verkehrswende solle dazu der verkehrspolitische Diskurs stets transparent und unter frühzeitigem Einbezug der Öffentlichkeit geführt werden [AgVe17]. Um die verschiedenen Akteure und ihre Interessen besser einordnen zu können, wurden vom Umweltbundesamt die Entscheidungsfindungsprozesse verschiedener verkehrspolitscher Vorhaben analysiert. Nachfolgend wird ein Vorhaben betrachtet, das zur Energiewende im Verkehr beiträgt.

Bei dem EU-Reformvorschlag der CO2-Flottengrenzwerte von 2017 war der Klimaschutz von zentraler Bedeutung. Dabei gilt: Umso strenger die Grenzwerte zum Ausstoß von CO2 ausfallen, desto mehr klimaneutrale Antriebstechnologien und -energien (zum Beispiel batterieelektrische Fahrzeuge mit regenerativem Strom) werden in der Flotte benötigt. In diesem Zusammenhang sprachen sich diverse Naturschutz- und Umweltverbände auf nationaler Ebene (beispielsweise Öko-Institut) und europäischer Ebene (beispielsweise International Council on Clean Transportation ICCT) für die strengen Grenzwerte der Europäischen Kommission aus. Ebenso befürwortete der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) die vorgeschlagenen Grenzwerte. Der ADAC steht der Automobilindustrie zwar nahe, vertritt aber hauptsächlich die Interessen der Autofahrer und diese würden nach Einschätzung des ADAC durch eine Grenzwertverschärfung von der Kostenersparnis bei den Kraftstoffen profitieren. Der Verband der Automobilindustrie (VDA), der Verband der europäischen Automobilhersteller (ACEA) und weitere wirtschaftsnahe Vertreter wie das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) wirkten dagegen auf eine Abmilderung der Grenzwerte hin. Damit verbunden waren Bedenken bezüglich der internationalen Wettbewerbsfähigkeit (die vorgeschlagenen Grenzwerte waren die schärfsten weltweit), Wertschöpfungsverlusten und einem Rückgang der Beschäftigung. Auf Ebene der Bundestagsparteien standen zum damaligen Zeitpunkt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellvertretend für und die FDP stellvertretend gegen strikte Grenzwerte. Trotz der größeren und besser vernetzten Interessensverbände der Automobilindustrie haben sich am Ende strengere CO2-Flottengrenzwerte auf EU-Ebene durchgesetzt. Die Verhandlungen zwischen der Europäischen Kommission, dem Europaparlament und dem Europäischem Rat gewährleisten, dass alle EU-Mitgliedsstaaten Gehör finden. So haben auch solche Staaten Gewicht, die keine große Automobilindustrie besitzen. Aus Sicht dieser Mitgliedsstaaten waren strenge Grenzwerte ein willkommenes Klimaschutzinstrument, das nur die Automobilbranche, nicht aber die Privathaushalte oder die öffentliche Hand finanziell belasten würde [LiSa21].

Das Beispiel der CO2 Flottengrenzwerte unterstreicht die zentrale Rolle der Europäischen Union in der Klima- und Verkehrspolitik und wie die dort gefassten Entscheidungen den rechtlichen Rahmen für die nationale Energiewende im Verkehr vorgeben. Es zeigt sich auch der schwierige Balanceakt zwischen ökologischen und ökonomischen Interessen. Bei anderen Themen, wie der Einführung der Elektromobilität, besteht hingegen weitestgehend Konsens zwischen den verschiedenen Akteuren, da damit eine deutliche Reduktion der Treibhausgasemissionen erzielt werden kann. Zum anderen möchte die Bundesregierung Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität machen, womit die Zukunft der Automobilindustrie gesichert werden soll. Umstrittener sind dagegen die Rolle der Elektromobilität im Gesamtkonstrukt der Verkehrswende (bestehend aus Mobilitätswende und Energiewende im Verkehr) einschließlich der Anreize und Fördermaßnahmen zum Markthochlauf von Elektrofahrzeugen. Im Allgemeinen lässt sich aber festhalten, dass die Klimaschutzziele zu einem gesellschaftlichen Konsens geworden sind und auch ein Großteil der Wirtschaft und Politik hinter diesen Zielen steht. Die konkrete Ausgestaltung der Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele wirft aber die genannten Interessenkonflikte auf [LiSa21].
Ansprechpartner
IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Energiewende im Verkehr durch klimaneutrale Antriebsenergie (Stand des Wissens: 21.06.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?572442
Literatur
[AgVe17] Christian Hochfeld, Alexander Jung, Anne Klein-Hitpaß, Urs Maier, Kerstin Meyer, Fritz Vorholz Mit der Verkehrswende die Mobilität von morgen sichern: 12 Thesen zur Verkehrswende, 2017/03
[LiSa21] Florian Lintzmeyer, Günden Savasci, Claudia Schwarz, Christina Miller, Nils C. Bandelow, Johanna Hornung, Colette S. Vogeler, Lisa Klei Erfolgsfaktoren und Hemmnisse für eine umweltorientierte Verkehrspolitik, 2021/12
Glossar
ADAC = Allgemeine Deutsche Automobil Club e. V.. Der ADAC nimmt für sich in Anspruch, die Interessen deutscher Auto-, Motorrad- und Bootfahrer zu vertreten. Er bietet - direkt oder über Tochterfirmen - Dienstleistungen an und produziert Stadtpläne sowie Straßenkarten. Außerdem betreibt er mehrere Fahrsicherheitszentren. Die ursprüngliche und bekannteste Dienstleistung des Clubs ist die Pannenhilfe.
Verkehrswende
Mit der Verkehrswende in Deutschland wird das Ziel verfolgt, den Verkehrssektor bis spätestens 2050 klimaneutral zu gestalten. Dazu sollen die anfallenden Treibhausgasemissionen möglichst vollständig vermieden und verbleibende Restemissionen durch die Entnahme von Treibhausgasen aus der Atmosphäre ausgeglichen werden. Die Verkehrswende lässt sich in zwei parallellaufende Entwicklungen gliedern: die Mobilitätswende und die Energiewende im Verkehr (auch Antriebswende genannt).
Elektromobilität
Die Elektrifizierung der Antriebe durch Batterie- und Brennstoffzellentechnologien. Im Kontext des "Nationalen Entwicklungsplans Elektromobilität" wird der Begriff auf den Straßenverkehr begrenzt. Hierbei handelt es sich insbesondere um Personenkraftwagen (Pkw) und leichte Nutzfahrzeuge, ebenso werden aber auch Zweiräder (Elektroroller, Elektrofahrräder) und Leichtfahrzeuge einbezogen.
Mobilitätswende
Mit der Mobilitätswende soll der Endenergieverbrauch des Verkehrssektors gesenkt werden, ohne dass die Mobilität der Menschen eingeschränkt wird. Diesem Ziel folgend, versucht man mit der Mobilitätswende Verkehr zu vermeiden (zum Beispiel durch stadtplanerische Maßnahmen), auf emissionsfreie und emissionsarme Fortbewegungsmittel zu verlagern (zum Beispiel auf den öffentlichen Verkehr) und effizienter abzuwickeln (zum Beispiel durch verkehrssteuernde Maßnahmen).
Energiewende im Verkehr
Mit der Energiewende im Verkehr (auch Antriebswende genannt), soll der Endenergiebedarf des Verkehrssektors mit klimaneutraler Antriebsenergie gedeckt und die verwendeten Energien sparsam genutzt werden. Dementsprechend ist die Energiewende im Verkehr insbesondere eine technische Herausforderung, bei der die Verbrennung fossiler Energieträger im Straßen-, Schienen-, Luft- und Schiffsverkehr durch die Nutzung von erneuerbarem Strom, grünem Wasserstoff, Biokraftstoffen und strombasierten synthetischen Kraftstoffen ersetzt wird.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?572327

Gedruckt am Sonntag, 28. April 2024 23:46:43