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Wohnstandortbezogenes Mobilitätsmanagement

Erstellt am: 23.09.2022 | Stand des Wissens: 25.10.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky

Der Wohnstandort als Ausgangspunkt personenbezogener Mobilität bietet einen weiteren Ansatzpunkt für Mobilitätsmanagementmaßnahmen. Bereits bei der Wohnstandortwahl von Haushalten spielen Erreichbarkeiten und Verkehrsanbindungen, neben anderen subjektiven und objektiven Faktoren, eine entscheidende Rolle. [BAFR22][BÖHM20]. Maßnahmen und Interventionen am Wohnstandort können Teilhabemöglichkeiten insbesondere für Haushalte ohne Pkw, mit geringem Einkommen oder mobilitätseingeschränkten Personen sichern und erhöhen [BÄUM10]. Durch ein mittel- und langfristig angelegtes Mobilitätsmanagement kann eine Verbindung zwischen unterschiedlichen Mobilitätsbausteinen erreicht werden: Sie können der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV), private Verkehrsmittel wie Zweirad oder Pkw, Sharingangebote wie Carsharing und Lastenradsharing, und eine Flexibilisierung von Stellplätzen miteinander verknüpfen [REST19a ]. Maßnahmen eines wohnstandort- oder quartiersbezogenen Mobilitätsmanagements zielen ab auf [BISC21]:
  • eine effiziente Nutzung des Parkraums (in privaten Tiefgaragen als auch im öffentlichen Raum),
  • Vorfahrt für Fußgänger und Zweiradfahrer erhalten Vorfahrt,
  • Integration von Mobilitätsmittel, die nicht täglich gebraucht werden oder in der Anschaffung sehr teuer sind (z. B. E-Lastenfahrräder) in Sharingsysteme,
  • Zentrale Steuerung der Mobilitätsangebote durch ein Mobilitätsmanagement (Verleih, Wartung, Reparatur und Abrechnung, z.B. über eine internetbasierte Buchungsplattform oder App,
  • Entlastung des öffentlichen Raums und Gewinn an Aufenthaltsqualität durch Verzicht auf den eigenen Pkw,
  • Senkung des privaten Stellplatzbedarfs, Kompensation baurechtlich notwendige Stellplätze durch Mobilitätsbausteine, Verringerung des Stellplatzschlüssels für Pkw im Wohnungsbau in den kommunalen Satzungen,
  • Beitrag zur Klima- und Verkehrswende.
Kommunen, Wohnungsunternehmen und Mobilitätsdienstleistende können gemeinsam Mobilitätspläne und -angebote im Rahmen eines Mobilitätsmanagements für Quartieren entwickeln, die entsprechend den Anforderungen und Bedarfen der jeweiligen Bewohnendenguppe in Bezug auf Wohnlage (urban, suburban, ländlich), Lebenslage und -abschnitt, Lebensstil, Milieu, Einkommen Inter- und Multimodalität fördern. Dabei sind die räumlichen Strukturmerkmale des Wohnortes und des Nahraums ebenso wichtig wie die Eingebundenheit der Quartiere in den kommunalen und regionalen Kontext, z.B. Pendlerverflechtungen [BAFR22 ][BISC21 ].
Wohnstandortbezogenes Mobilitätsmanagement eröffnet dabei den Wohnungsunternehmen, Mobilitätsdienstleistenden und -anbietern und Kommunen Vorteile und Chancen [BÄUM10]:
Für Wohnungsunternehmen kann durch ein wohnstandortbezogenes Mobilitätsmanagement und -konzept das eigene Produkt, die Wohnung, aufgewertet werden und bereits implementierte Serviceangebote ergänzen. Auch marketingstrategische kann ein ökologisch- innovatives Image und eine Verbesserung der Identifikation der Mieterinnen und Mieter mit dem Unternehmen erreicht werden, das zu einer höheren Mieterbindung führen kann. Im Neubau kann gegebenenfalls durch reduzierte Stellplatzpflicht in Verbindung mit tragfähigen Mobilitätsangeboten eine Kosteneinsparung resultieren.
Mobilitätsdienstleistende können durch quartiers- und wohnstandortbezogene MM-Maßnahmen neue Absatzmärkte erschließen, zielgruppengenaues Direktmarketing betreiben und durch (preislich) attraktive Angebote die Kundenbindung erhöhen.
Die Kommune profitiert durch ein wohnstandortbezogenes MM allgemein von einer Beeinflussung des Modal Split hin zu nachhaltigeren Mobilitätsmodi und hat zusätzlich die Chance die Mobilität für benachteiligte Bevölkerungsgruppen im Stadtgebiet sicherstellen und dabei Städte sozial gerechter zu gestalten. Zudem ergeben sich insbesondere bei Neubauvorhaben, aber auch im Bestand, städtebauliche Gestaltungsspielräume.
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Mobilitätsmanagement (Stand des Wissens: 25.10.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?20082
Literatur
[BAFR22] Bauer, Uta, Frank, Susanne, Gerwinat, Verena, Huber, Oliver , Scheiner, Joachim , Schimohr, Katja , Stein, Thomas , Wismer, Annika Wechselwirkungen zwischen Wohnstandortwahl und Alltagsmobilität. Wissenschaftliche Grundlagen und kommunale Praxis, veröffentlicht in Arbeitspapier im Rahmen des STAWAL-Projekts. , Ausgabe/Auflage Working Paper 01, 2022
[BÄUM10] Bäumer, Doris Mobilität trifft Wohnen - eine aussichtsreiche Begegnung!, Wien, 2010/10/13
[BISC21] Bitter, Christian , Schnell, Luise Wohnstandortbezogene Mobilitätskonzepte. Ein neuer Standard in der Quartiersentwicklung, veröffentlicht in FORUM WOHNEN UND STADTENTWICKLUNG, Ausgabe/Auflage 3 / Mai - Juni 2021, 2021
[BÖHM20] Böhm, Thomas Wohnen In Dortmund Und Der Region - Eine Wanderungsmotivuntersuchung, 2020
[REST19a] Reutter, Ulrike , Stiewe, Mechtild Mobilitätsmanagement - in Deutschland angekommen?!, veröffentlicht in Mobilitätsmanagement. Ansätze, Akteure, Ausblick. Informationen zur Raumentwicklung, Ausgabe/Auflage Heft 1/2019, Bonn, 2019
Glossar
App
Ist eine Abkürzung für den Fachbegriff Applikation (App) und bezeichnet eine Anwendungssoftware, die für mobile Endgeräte, wie Smartphone oder Tablet-PC entwickelt wurde. Apps können als Zusatzsoftware auf mobilen Endgeräten installiert werden und erweitern dadurch deren Funktionsumfang. Je nach Betriebssystem kann der Nutzer auf eine Vielzahl von mobilen Applikationen auf dem vom Betriebssystem bereitgestellten Marktplatz kostenpflichtig oder kostenlos zugreifen.
Carsharing
Der Begriff CarSharing stammt aus dem Englischen (car= Auto, to share= teilen) und kann sinngemäß mit der Bedeutung "Auto teilen" übersetzt werden. Er beschreibt die organisierte, gemeinschaftliche Nutzung von Kraftfahrzeugen, die meist von Unternehmen gegen Gebühr bereitgestellt werden.
Durch einen Rahmenvertrag oder eine Vereinsmitgliedschaft erhalten Kunden flexiblen Zugriff auf alle Kfz eines Anbieters. Die Fahrzeuge können über eine Webseite oder über eine Smartphone-App gebucht werden. Geöffnet werden sie in der Regel mit Hilfe von Chipkarten oder durch einen über die Smartphone-App vermittelten Zugangscode .
Bei dem System des stationsbasierten CarSharing stehen die Fahrzeuge auf reservierten Stellplätzen und werden nach der Nutzung auch wieder dorthin zurückgebracht. Ein anderes Modell ist das free-floating CarSharing. Hier stehen die Fahrzeuge in einem definierten Operationsgebiert verteilt. Sie können per Smartphone geortet werden und nach der Nutzung auf einem beliebigen Stellplatz innerhalb des Operationsgebiets zurückgegeben werden.
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.
Verkehrswende
Mit der Verkehrswende in Deutschland wird das Ziel verfolgt, den Verkehrssektor bis spätestens 2050 klimaneutral zu gestalten. Dazu sollen die anfallenden Treibhausgasemissionen möglichst vollständig vermieden und verbleibende Restemissionen durch die Entnahme von Treibhausgasen aus der Atmosphäre ausgeglichen werden. Die Verkehrswende lässt sich in zwei parallellaufende Entwicklungen gliedern: die Mobilitätswende und die Energiewende im Verkehr (auch Antriebswende genannt).
Modal Split
Modal Split wird in der Verkehrsstatistik die prozentuale Verteilung des Personen- und Güterverkehrs auf verschiedene Verkehrsmittel (Modi) genannt. Der Modal Split ist Folge des Mobilitätsverhaltens der Menschen und der wirtschaftlichen, insbesondere der verkehrlichen Entscheidungen von Unternehmen.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?557523

Gedruckt am Samstag, 27. April 2024 08:13:21