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Resilienz von Verkehrssystemen unter besonderer Berücksichtigung des Klimawandels

Erstellt am: 25.11.2021 | Stand des Wissens: 17.01.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch

Die Funktionsfähigkeit von Verkehrssystemen ist Grundvoraussetzung für den reibungslosen Ablauf von Prozessen in der Wirtschaft. Für private Haushalte bildet Mobilität die Basis, um am Arbeits- und Sozialleben teilhaben zu können. Der Sektor Transport und Verkehr zählt daher zu den vom Bundesinnenministerium festgelegten sogenannten kritischen Infrastrukturen, die besonders wichtig und schützenswert sind. Die Nationale Strategie zum Schutz kritischer Infrastrukturen (sogenannte KRITIS-Strategie) umfasst die Ziele und politischen Ansätze des Bundes zum Schutz kritischer Infrastrukturen. [BBK15] Sie verfolgt einen Allgefahren-Ansatz, um den Verkehrssektor gegen alle denkbaren negativen Einflüsse bestmöglich zu schützen.

In Deutschland werden in Zukunft infolge des Klimawandels häufiger Hitzewellen und Starkniederschläge erwartet. Außerdem geht man von einer Verschiebung der Niederschläge aus den Sommermonaten in die Wintermonate hinein aus, wodurch vermehrt mit Trockenperioden im Sommer zu rechnen ist. Extreme klimatische Bedingungen wirken sich besonders auf die Verkehrsinfrastruktur aus. So kann große Hitze zu Spurrillenbildung bei manchen Straßenbelägen und zu Verformungen der Schieneninfrastruktur führen. Auch durch Stürme können Verkehrsinfrastrukturen erheblich beschädigt werden. Zum Teil ist mit langen Ausfällen der betroffenen Infrastruktur zu rechnen (beispielsweise bei beschädigten Signalmasten oder Oberleitungen). Das deutsche Verkehrsnetz muss für zukünftige Extremereignisse vorbereitet werden. Im Rahmen der Deutschen Anpassungsstrategie wird festgelegt, ob und inwieweit Bundesfernstraßen mit veränderten Baustoffen an längere Hitzeperioden und durch vergrößerte Entwässerungsinfrastrukturen an Starkniederschläge angepasst werden können.

Da das Ausmaß des Klimawandels und die damit einhergehenden Auswirkungen nur schwer zu prognostizieren sind, gibt es auch Unsicherheiten über die geeigneten Maßnahmen zum Schutz des Verkehrsnetzes. Man spricht in diesem Zusammenhang von No-Regret- und Low-Regret-Maßnahmen. Als No-Regret-Maßnahmen werden Maßnahmen bezeichnet, die unabhängig vom Klimawandel einen Nutzen haben. Low-Regret-Maßnahmen bedeuten nur einen geringen Mehraufwand im Vergleich zu einer Maßnahme, die ohne Auswirkungen des Klimawandels sinnvoll wäre. Ein Beispiel ist die Verwendung von hitzebeständigeren Asphaltmischungen für Fahrbahnen, weil diese auch unabhängig von Extremtemperaturen eine höhere Nutzungsdauer als herkömmliche Asphaltmischungen aufweisen.

Die Vulnerabilität eines Verkehrssystems beschreibt, wie verletzlich das System gegenüber Störungen von außen ist. Resilienz beschreibt die Fähigkeit des Systems, mit Störungen von außen umgehen zu können und nach einem Leistungsverlust wieder die ursprüngliche Leistungsfähigkeit zu erlangen.

Der Individualverkehr findet auf dem Verkehrsträger Straße statt. Da das Straßenverkehrsnetz sehr engmaschig ist, kann bei einem Ausfall eines bestimmten Abschnitts, diese Störung oft durch Verlagerung des Verkehrsgeschehens auf alternative Routen abgefangen werden. Die individuellen Verkehrsteilnehmer können schnell und flexibel auf Störungen reagieren, doch fehlt ihnen manchmal der Überblick über die Gesamtsituation und es kann zu Engpässen (Verstauungen) kommen. Das Schienennetz weist einen geringeren Grad an Feinmaschigkeit auf, so dass bei einer Störung das Ausweichen schwieriger wird. Andererseits wird der Schienenverkehr zentral gesteuert, sodass ein systemumfassender Umgang mit einer Störung stattfinden und bezogen auf das Gesamtsystem optimal gehandelt werden kann.

Seeschifffahrts- und Luftverkehr sind vorrangig auf Punktinfrastrukturen (Häfen, Flughäfen, Terminals) angewiesen. Diese können sich bei lokal auftretenden Extremereignissen häufig gegenseitig ersetzen und bieten dementsprechend Ausweichpotenzial. Dies gilt vor allem für den Güterverkehr. Sind jedoch besonders wichtige Einrichtungen betroffen, zum Beispiel der Hamburger Hafen oder der Flughafen Frankfurt, ist die Ersetzbarkeit deutlich geringer.

Der Personenverkehr kann durch Extremereignisse auf sehr unterschiedliche Arten betroffen werden. Die stärkste Form der Krisenreaktion ist die Evakuierung. Das ist der Fall, wenn Wohnorte direkt und massiv betroffen sind und deshalb verlassen werden müssen. Es können aber auch die üblicherweise angesteuerten Ziele (zum Beispiel Arbeitsplatz) oder Verkehrswege (zum Beispiel Straßen) oder auch öffentliche Verkehrsangebote betroffen sein. Typischerweise führen Extremereignisse zu einer Verringerung des Bewegungsradius und zu Veränderungen im Mobilitätsverhalten. Während Arbeitswege teilweise weiterhin stattfinden, ist die Bedeutung des Freizeitverkehrs rückläufig. Dafür rücken Besorgungswege in den Vordergrund. Zudem fallen zusätzliche Wege an, wenn hilfsbedürftige Personen im eigenen Umfeld von einem Extremereignis betroffen sind und Unterstützung benötigen. Ziele im näheren Umfeld gewinnen an Bedeutung und damit auch die nicht-motorisierten Verkehrsmittel.

Im Güterverkehr kann zwischen baulicher und betrieblicher Zuverlässigkeit der Verkehrssysteme unterschieden werden. Bestandsanlagen kommen in die Jahre, während der Güterverkehr weiter zunimmt. Bereits heute zeigen sich beispielsweise Brücken an deutschen Fernstraßen in einem schlechten Zustand. Diese Umstände erfordern Modernisierungs- und Erhaltungsmaßnahmen. Für die Verbesserung der betrieblichen Resilienz bestehen kaum standardisierte Vorgehensweisen. Daher sollte jedes Unternehmen eine individuelle Risikobeurteilung anhand des gesammelten Wissens vornehmen, um den voraussichtlichen Verlauf disruptiver Ereignisse zu untersuchen. Um die betrieblichen Prozesse beim Ausfall wichtiger Lieferungen (sogenannte Unterbrechungen von Lieferketten) aufrechtzuerhalten, können bestimmte Güter verstärkt vorgehalten werden. Eine höhere Redundanz bei den Lieferanten oder den eingesetzten Verkehrsträgern können die betriebliche Resilienz gegenüber Extremereignissen ebenfalls erhöhen.

Mit Blick auf die Herausforderungen im urbanen Umfeld stellt sich die Frage, wie Städte resilienter gemacht werden können. Städte sind als komplexe Systeme zu verstehen. Neben Mobilität, Stadt- und Raumstruktur, Umwelt- und Klimaaspekten sollte das Sozialgefüge und das Bevölkerungsverhalten berücksichtigt werden. Die räumliche Verteilung von Wohn- und Arbeitsplätzen und Versorgungseinrichtungen bestimmen die Mobilität der Menschen. Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) können bei der Erhebung von Daten hilfreich sein, um die Schwachstellen im städtischen Raum zu identifizieren und sie gezielt zu beheben. Durch das Erstellen von Aktionsplänen, wie beispielsweise dem Aufbau eines längeren Bus-Ersatzverkehrs bei Ausfall von Stadtbahn/U-Bahn, kann die Mobilität der Stadtbewohner gewährleistet werden. Eine Förderung von Infrastrukturen für den Fuß- und Radverkehr kann dabei helfen, die Auslastung bei den anderen Verkehrsträgern zu verringern. Langfristig kann der Aufbau von mehreren Stadtzentren mit lokalen Strukturen (Versorgung, Arbeitsplätze, etc.) dazu beitragen, dass Wegdistanzen reduziert werden und die Resilienz gegenüber Extremereignissen gesteigert wird [Rand13].
Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Resilienz von Verkehrssystemen unter besonderer Berücksichtigung des Klimawandels (Stand des Wissens: 26.11.2021)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?543869
Literatur
[BBK15] Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) (Hrsg.) Strategien und Konzepte zum Schutz Kritischer Infrastrukturen
Nationale Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen (KRITIS-Strategie), 2015
[Rand13] Martin Randelhoff, Resiliente Infrastrukturen und Städte: Kritikalität und Interdependenzen, 2013
Glossar
IKT Informations- und Kommunikationstechnologien

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?543583

Gedruckt am Samstag, 27. April 2024 18:54:39