Konzept integraler Taktfahrplan
Erstellt am: 28.07.2021 | Stand des Wissens: 28.07.2021
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Grundsätzlich unterscheidet man bei der Konstruktion von Fahrplänen zwischen angebots- und nachfrageorientierten Fahrplankonzepten. Nachfrageorientierte Fahrpläne haben die Optimierung der Auslastung einzelner Züge zum Ziel. Da der Bedarf nach Transportdienstleistungen nicht gleichmäßig über den Tag verteilt ist, entstehen bei diesem Fahrplankonzept in der Regel unregelmäßige Fahrpläne mit einer variierenden Zugdichte. Im Gegensatz dazu werden angebotsorientierte Fahrplankonzepte verwendet, um dem Fahrgast mit regelmäßigen Fahrten eine unkomplizierte Reiseplanung zu ermöglichen. Hierfür werden auch teilweise Überkapazitäten in Kauf genommen. [HeWe13]
Wird in einem solchen angebotsorientierten Fahrplan eine Vielzahl von Zügen systemübergreifend in Bahnhöfen (Knoten) verknüpft, spricht man von einem integralen Taktfahrplan (ITF). Dabei fahren die Züge gleichzeitig zu einer definierten Zeit in den Bahnhof ein, verweilen dort eine Weile, um ein Umsteigen zwischen den Linien zu ermöglichen, und fahren anschließend wieder zeitgleich aus dem Bahnhof (siehe Abbildung 1). [Pach18, S.227] Dieses Prinzip soll den Fahrgästen eine Vielzahl verschiedener Anschlussmöglichkeiten mit geringen Wartezeiten ermöglichen. Die für das Umsteigen notwendige Standzeit ist abhängig von den Gegebenheiten in den Bahnhöfen und dem Niveau der integralen Verknüpfung. In Mannheim genügt beispielsweise bereits eine gemeinsame Standzeit von vier Minuten, um Fahrgästen der Linie 12 aus Berlin einen Umstieg in die Linie 42 Richtung München am gleichen Bahnsteig zu ermöglichen. Die notwendige gemeinsame Standzeit steigt, wenn Umstiege zwischen allen im Bahnhof haltenden Linien über mehrere Bahnsteige realisiert werden sollen. In Zürich hat der IC 5 aus Lausanne beispielsweise eine neunminütige gemeinsame Standzeit mit dem IC 3 in Richtung Chur, weil der Umstieg hier einen Bahnsteigwechsel erfordert.
Abb. 1: Grundlegendes Prinzip eines integralen Taktfahrplans, Quelle: Eigene Abbildung nach [Pach18, S.227]
In einem integralen Taktfahrplan fahren Züge nach festen Zeitintervallen (Takt). Üblich sind vor allem Stunden- und Halbstunden, teilweise auch Zweistundentakte. Ist die Fahrzeit von Zügen einer Linie in beide Richtungen identisch, spricht man von einem symmetrischen Takt. In einem solchen Takt treffen sich die Züge einer Linie zweimal pro Takt zur sogenannten Symmetrieminute. Der Treffpunkt, der sowohl auf der Strecke als auch in einem Bahnhof liegen kann, wird ebenfalls als Knoten bezeichnet.Bei der Verknüpfung von Zügen mit verschiedenen Fahrgeschwindigkeiten in einem ITF muss zwischen Halb- und Vollknoten differenziert werden. Während Vollknoten alle dort haltenden Linien zur Symmetriezeit verknüpfen, können in Halbknoten nur für einen Teil der Fahrgäste nahtlose Umsteigemöglichkeiten realisiert werden. Dies illustriert das Zeit-Weg-Diagramm in Abbildung 2, in welchem die Abszisse die Strecke zwischen drei Städten und die Ordinate die Zeit angibt und der Verlauf zweier Zuglinien gezeigt wird, von denen eine (blau) doppelt so schnell wie die andere (orange) fährt. Zu erkennen ist, dass im Vollknoten B Anschlüsse zwischen sämtlichen Zügen in jeder Richtung realisiert werden können, während dies in den beiden Halbknoten nicht möglich ist.
Abb. 2: Verknüpfung einer schnellen (blau) mit einer langsamen (orange) Zuglinie führt zu möglichen Halb- und Vollknoten
In einem integralen Taktfahrplan werden Nah- und Fernverkehr miteinander verknüpft, um durchgängige Reiseketten zu realisieren. Hierfür sind grundsätzlich zwei Vorgehensweisen denkbar: Entweder kann das zu entwickelnde Taktsystem für den Fernverkehr den im Nahverkehr häufig bereits bestehenden Taktfahrplänen angepasst werden, wenn dies insgesamt kompatibel ist. Man spricht dann von einem Bottom-Up-Ansatz. Die zweite Möglichkeit ist der Top-Down-Ansatz, in dem ausgehend von einem Taktfahrplan im Fernverkehr die Nahverkehrstaktpläne angepasst werden. Für Deutschland empfiehlt die Monopolkommission ein Vorgehen nach dem Top-Down-Ansatz, da dies geringere Planungserfordernisse stellt. [MPK17]Die Anforderungen eines ITF an die Kapazität der Knoten sind beträchtlich, da viele Züge gleichzeitig dort zuerst einfahren und halten und dann wieder ausfahren sollen. Anzustreben sind außerdem möglichst identische Fahrzeiten zwischen allen benachbarten Bahnhöfen, damit die Treffpunkt-Knoten der Züge an Bahnhöfen stattfinden können und somit Umstiege möglich sind. In der Schweiz wurde dies durch geschwindigkeitserhöhende Infrastrukturinvestitionen einerseits und andererseits langsameres Fahren einiger Züge erreicht. Im Idealfall sollten auch alle Knoten Vollknoten sein. Zur Realisierung eines landesweiten ITF sind daher in der Regel hohe Infrastrukturinvestitionen notwendig.
Im Vergleich zu einer freieren Fahrplangestaltung nimmt bei einem ITF die Dauer und Häufigkeit der Bahnhofshalte zu, um den Passagieren das Umsteigen zu ermöglichen, was aber zu einer Verlängerung der Reisezeiten bei Direktverbindungen führt.
Aus diesen Gründen wird in der Praxis vom Ideal eines perfekten landesweiten ITF abgewichen und es werden Kompromisse verschiedener Art eingegangen.