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Menschliche und technische Risikofaktoren

Erstellt am: 03.05.2018 | Stand des Wissens: 12.06.2023
Synthesebericht gehört zu:

Die Bedrohungen der Flugsicherheit sind unterschiedlichen Ursprüngen zuzuordnen. Oftmals ist es die Verknüpfung mehrerer Faktoren und Einflüsse, die zu Unfällen und zu einer verminderten Sicherheit im Flugverkehr führen.
Im Sicherheitsreport 2019 der EASA (European Aviation Safety Agency) [EASA20] werden alle Vorfälle im Flugverkehr mithilfe des ERCS (European Risk Classification Scheme) bewertet und nach Höhe des Risikos sortiert. Aus dieser Aufstellung ergibt sich eine Liste mit Safety Issues für große Luftfahrzeuge, aus der die zehn Safety Issues mit dem größten Risiko in Tabelle 1 zusammengefasst sind:
risikofaktoren.JPGTab. 1: Die zehn Safety Issues mit dem größten Risiko nach ERCS [EASA20]
Auffallend hoch ist hierbei die Anzahl der Risiken, denen als Ursache menschliches Versagen zugeordnet werden kann, beispielsweise Zustand des Wohlbefindens und Tüchtigkeit oder Crew Ressource Management. Dies deckt sich mit anderen Statistiken: So kommt eine Studie der Allianz-Versicherungsgruppe auf einen Anteil menschlichen Versagens an globalen Flugunfällen von 70 Prozent, das Flugstatistikportal PlaneCrashInfo.com gibt für 49 Prozent aller Unfälle (durchschnittlich für die Jahre 1950 bis 2018) Pilotenversagen als Ursache an [Alli14PCIn19].
Neben Übermüdung werden die Ausbildung und Erfahrung der Piloten als bedeutsames Sicherheitsrisiko gesehen, vor allem im Zusammenhang mit zunehmend automatisierten Flugzeugen. Kritisiert wird dabei, dass Piloten oft nicht hinreichend geübt seien, um in Notfallsituationen richtig zu entscheiden und die manuelle Kontrolle über das Flugzeug zu übernehmen. Beim Unfall des Asiana-Flugs 214 in San Francisco beispielsweise stellte sich heraus, dass die Piloten mit dem Umgang des automatisierten Landungssystems nicht vertraut genug waren [NTSB14].
Auch außerhalb des Cockpits kann menschliches Versagen zu Unfällen im Flugverkehr führen. Am 27. März 1977 forderte die Kollision zweier Passagierflugzeuge auf dem Flughafen von Teneriffa 583 Todesopfer, zurückzuführen auf Missverständnisse in der Kommunikation zwischen Piloten und Tower. Die Kollision von Überlingen 2002, als durch die falschen Anweisungen eines Fluglotsen ein Passagierflugzeug mit einer Frachtmaschine in der Luft kollidierte, stellte nachfolgend die Frage der endgültigen Entscheidungshoheit zwischen Fluglotsen und den Kollisionswarnsystemen an Bord.
Die nachlässige oder fehlerhafte Wartung der Flugzeuge kann ebenfalls zu massiven Problemen führen, es sind Fälle von fehlenden oder falschen Schrauben bekannt [UKDT92; LeMo11]. Nachlässigkeiten beim Ablauf der Reinigung führten im Jahr 1996 zum Absturz einer Boeing 757 und dem Tod von 70 Menschen [Stern11; TCHC96]. Das Reinigungspersonal hatte vergessen, Klebestreifen zum Schutz der Sensoren nach der Reinigung wieder zu entfernen.
Rund ein Fünftel aller Flugunfälle, und somit deutlich weniger als beim menschlichen Versagen, lassen sich auf fehlerhafte technische Systeme zurückführen. Kritische Bestandteile und Funktionen eines Flugzeugs sind meist durch redundante Systeme [Scho13] abgesichert, sodass bei einem Ausfall einer Systemkomponente die Funktion durch zusätzlich vorhandene gleiche oder vergleichbare Ressourcen übernommen werden kann. Dennoch sind die Reaktion und das Verhalten der Piloten bei einem technischen Ausfall maßgebend für den Ausgang des Vorfalls. So ist beispielsweise die erfolgreiche Notlandung eines Flugzeugs nach einem Triebwerksausfall [NTSB10] auf dem Hudson River im Jahr 2009 wesentlich dem erfahrenen Piloten zu verdanken.
Die Schnittstelle zwischen Mensch und Technik spielt daher auch für die zukünftige Sicherheit im Flugverkehr eine entscheidende Rolle. Technische Systeme können eine vorbeugende Rolle gegenüber dem Versagen von Piloten und Flugsicherung einnehmen. Allerdings darf die Handlungsfähigkeit des Personals dadurch nicht abnehmen. Ausbildung, Erfahrung und Konzentration müssen stets auf einem hohen Niveau gehalten werden, um auch zukünftig Risiken zu minimieren.
Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Flugsicherheit (Safety) (Stand des Wissens: 12.06.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?484059
Literatur
[Alli14] Allianz Global Corporate & Specialty (Hrsg.) Global Aviation Safety Study, 2014/12
[EASA17] European Aviation Safety Agency - Europäische Agentur für Flugsicherheit (Hrsg.) Annual Safety Review 2017, 2017
[EASA20] EASA - European Union Safety Agency (Hrsg.) ANNUAL
SAFETY REVIEW 2020, 2020
[LeMo11] Le Monde (Hrsg.) Air France suspend la maintenance de ses appareils en Chine, 2011/12
[NTSB10] National Transportation Safety Board (Hrsg.) Aircraft Accident Report, 2010/05/04
[NTSB14] National Transportation Safety Board (Hrsg.) Accident Report NTSB/AAR-14/01
PB2014-105984, 2014/06/24
[PCIn19] PlaneCrashInfo (Hrsg.) Statistics, 2019
[Scho13] Dieter Scholz Flugzeugsysteme, 2013
[Stern11] Stern (Hrsg.) Airbus fliegt trotz fehlender Schrauben, 2011/11/25
[TCHC96] MINISTRY OF TRANSPORT, COMMUNICATIONS, HOUSING AND CONSTRUCTION (Hrsg.) Accident of the Boeing 757-200 Aircraft, 1996/12
[UKDT92] UK Department of Transport (Hrsg.) Report on the accident to BAC One-Eleven, G-BJRT over Didcot, Oxfordshire on 10 June 1990, 1992
Glossar
EASA Die European Aviation Safety Agency (EASA) ist die Europäische Agentur für Flugsicherheit der Europäischen Union (EU). Die EASA wurde am 15. Juli 2002 gegründet. Sie bereitet Gesetzesvorschläge vor und berät Kommission und Mitgliedstaaten der EU zum Thema Flugverkehr. Ihre Hauptaufgabe liegt in der Harmonisierung und Umsetzung geeigneter Umwelt- und Sicherheitsstandards in der Zivilluftfahrt für das gesamte EU-Gebiet.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?483750

Gedruckt am Sonntag, 28. April 2024 17:20:05