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Flächenbedarf und Trennwirkung durch Güterverkehr

Erstellt am: 08.04.2003 | Stand des Wissens: 27.10.2022
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Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig

Flächeninanspruchnahme und Landschaftszerschneidung durch Siedlung und Verkehr belasten die Umwelt und beeinträchtigen die Funktions- und Leistungsfähigkeit der Ökosysteme sowie das Landschaftsbild. Ein engmaschiges Netz aus Straßen, Eisenbahntrassen und Kanälen zerschneidet die Landschaft in viele kleine Parzellen.

Im Jahr 2016 erstellte ein internationales Forscherteam eine globale Studie zu straßenlosen Räumen. Die erstellte Karte zeigt, dass Straßen die Erdoberfläche in mehr als 600.000 Fragmente zerteilen. Mehr als die Hälfte davon sind kleiner als ein Quadratkilometer und nur sieben Prozent der wegfreien Areale haben demnach eine Größe von mehr als 100 Quadratkilometern. Nach Angaben des deutschen Bundesamtes für Naturschutz machten sogenannte unzerschnittene, verkehrsarme Räume (UZVR) mit einer Mindestgröße von 100 Quadratkilometern in Deutschland im Jahr 2015 rund 23,5 Prozent der Gesamtfläche aus [BfN16]. Die größten UZVR weltweit liegen in der arktischen Tundra und in einigen tropischen Gebieten Afrikas, Südamerikas und Südostasiens [Köhl16].

Die Ausdehnung der Siedlungsbereiche in die Fläche erzeugt zusätzlichen Verkehr, der wiederum eine weitere Versiegelung und Überbauung von Böden für neue oder erweiterte Verkehrsinfrastruktur nach sich zieht. Die prognostizierten Wachstumsraten für den Güterfernverkehr verstärken zusätzlich den Druck, die Infrastruktur zu erweitern und auszubauen [UBA09]. So dehnte sich die Siedlungsfläche im Zeitraum der Jahre 1992 bis 2020 um 34,9 Prozent und die Verkehrsfläche um 9,9 Prozent aus [UBA22b]. Wie Abbildung 1 zeigt, ist die tägliche Zunahme von Siedlungs- und Verkehrsflächen insgesamt jedoch rückläufig. So betrug der tägliche Anstieg von Verkehrs- und Siedlungsfläche in den Jahren 1997 bis 2000 durchschnittlich 129 Hektar, während die Verkehrs- und Siedlungsfläche in den Jahren 2017 bis 2020 durchschnittlich 54 Hektar am Tag wuchs [Dest22n]. Diese Entwicklung wird jedoch insbesondere durch ein niedrigeres Wachstum von Wohn- und Gewerbeflächen bedingt [UBA20q].

Die Verkehrsfläche an sich verzeichnete in den vergangenen Jahren zwar eine leichte Zunahme, ihr Anteil an der gesamten Verkehrs- und Siedlungsfläche ist jedoch rückläufig. Während der Anteil im Jahr 2000 bei rund 39 Prozent und im Jahr 2014 bei 37 Prozent lag, hatten die reine Verkehrsfläche im Jahr 2020 einen Anteil von rund 35 Prozent an den Siedlungs- und Verkehrsflächen [UBA20q; DEST21f].

Anstieg der Siedlungs und Verkehrsflaeche in Hektar pro Tag von den Jahren 1996 bis 2020.jpgAbb. 1: Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche in Hektar pro Tag von den Jahren 1996 bis 2020


Im Jahr 2020 wurden von der Bodenfläche Deutschlands 14 Prozent von der Siedlungs- und Verkehrsfläche und 5,1 Prozent alleinig für Verkehrszwecke in Anspruch genommen. Hierbei entfallen 52 Prozent der Verkehrsfläche auf den Straßenverkehr, 6,4 Prozent auf die Schiene und weniger als ein Prozent auf das Binnenschiff. Die restlichen Anteile der Verkehrsfläche fallen unter die Kategorie Weg oder Platz [DEST21f].

Die zunehmende Flächennutzung für Verkehrswege hat viele negative Auswirkungen auf die Umwelt. Neben dem direkten Verlust der vorher meist landwirtschaftlich genutzten Böden, fallen hierbei insbesondere der höhere Kraftstoffverbrauch und Ausstoß an Schadstoffen durch mehr Verkehr sowie mehr Lärm und die Zerschneidung und Verinselung der Lebensräume für die wildlebende Flora und Fauna ins Gewicht [UBA18c]. Das Baugesetzbuch fordert im Allgemeinen einen Ausgleich für die durch Baumaßnahmen bewirkten Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft. Es ist allerdings kein Ausgleich im Verhältnis 1:1 gefordert, vielmehr ist Naturschutz einer der vielen in der Planung abzuwägenden Belange [BauGB, §1 Abs.7]. Hierbei entsteht häufig ein Konflikt hinsichtlich möglicher Kompensationsflächen, die auch für die Landwirtschaft genutzt werden könnten [dBv16]. So besagt §15 Abs.3 des Bundesnaturschutzgesetzes, dass Agrarflächen nur aus besonderen Gründen für einen Ausgleich in Anspruch genommen werden dürfen.

Ein wichtiges Handlungsziel in der vom Bundesumweltamt (UBA) entwickelten Strategie für einen nachhaltigen Güterverkehr besteht daher in der Minderung der Flächeninanspruchnahme durch Siedlung und Verkehr. Mit geeigneten Maßnahmen und Instrumenten (wie zum Beispiel Entsiegelungsmaßnahmen, Flächenrecycling, der Veränderung ökonomischer Rahmenbedingungen des Wohnungsmarktes und die bessere Nutzung von Kapazitäten des bestehenden Schienen- und Binnenwasserstraßennetzes) soll die durchschnittlich für Siedlung, Gewerbe und Verkehr neu in Anspruch genommene Fläche auf 30 Hektar pro Tag im Jahr 2020 reduziert werden. In der Neuauflage der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie von 2016 wird zudem das Ziel von weniger als 30 Hektar bis 2030 genannt, was in dem integrierten Umweltprogramm des BMU auf 20 Hektar pro Tag im Jahr 2030 konkretisiert wird [UBA20q].

Im Klimaschutzplan vom November 2016 formuliert die Bundesregierung darüber hinaus das Ziel, bis 2050 den Übergang zur Flächenkreislaufwirtschaft (Netto-Null-Ziel) zu schaffen, was der Ressourcenstrategie der Europäischen Union entspricht [Umw03, UBA08a, bmu18]. Die Kommission Bodenschutz beim Umweltbundesamt (KBU) hat im Rahmen des Positionspapiers "Flächenverbrauch einschränken - jetzt handeln" einen Vorschlag unterbreitet, wie das "30-Hektar-Ziel" der Bundesregierung auf die Bundesländer verteilt werden könnte. Um überprüfen zu können, ob sich die tatsächliche Entwicklung in Richtung "30-Hektar-Ziel" bewegt, hat das UBA für das Jahr 2010 ein Zwischenziel von 80 Hektar und für das Jahr 2015 ein Zwischenziel von 55 Hektar pro Tag gesetzt. Das UBA-Ziel für das Jahr 2010 wurde bereits im Jahr 2009 unterschritten, jedoch liegt der gleitende Vierjahresdurchschnitt seit 2004 über den Zielwerten der Nachhaltigkeitsstrategie [Uba16a]. Das Zwischenziel 2015 wurde im Vierjahresdurchschnitt ebenfalls überschritten und lag nicht wie angestrebt bei 55 Hektar am Tag, sondern nach dem Vierjahresmittelwert bei 66 Hektar am Tag [UBA20q]. Somit ist Deutschland trotz der tendenziellen Verlangsamung bei der Flächeninanspruchnahme für Siedlungen und Verkehr bislang noch weit von der Erreichung des 30-Hektar-Ziels entfernt.
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Grundlagen des Güterverkehrs (Stand des Wissens: 28.10.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?293786
Literatur
[BfN16] Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.) Unzerschnittene Verkehrsarme Räume größer als 100 Quadratkilometer in Deutschland, 2016
[bmu18] Bundesministerium für Umwelt. Naturschutz und nukleare Sicherheit (Hrsg.) Flächenverbrauch - Worum geht es?, 2018
[dBv16] Deutscher Bauernverband (Hrsg.) Situatonsbericht 2016/17 - Flächennutzung und Biodiversität, 2016
[DEST21f] Statistisches Bundesamt (Hrsg.) Bodenfläche insgesamt nach Nutzungsarten in Deutschland, 2021
[Dest22n] statistisches Bundesamt - Destatis (Hrsg.) Flächenindikator "Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche", 2022/03/17
[Köhl16] Köhle, Johanna Zerrissene Welt: Straßen zerstückeln fast gesamte Erde, 2016/12/16
[UBA08a] Umweltbundesamt Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsflächen vom Jahr 1993 bis zum Jahr 2008, Ausgabe/Auflage Stand: 20.01.2010, 2008
[UBA09] Umweltbundesamt Strategie für einen nachhaltigen Güterverkehr, 2009
[Uba16a] Umweltbundessamt (Hrsg.) Flächensparen
Böden und Landschaften erhalten, 2016/01/27
[UBA18c] Umweltbundesamt (Hrsg.) Struktur der Flächennutzung, 2018/04/25
[UBA20q] Umweltbundesamt (Hrsg.) Siedlungs- und Verkehrsfläche, 2020/11/20
[UBA22b] Umweltbundesamt (Hrsg.) Siedlungs- und Verkehrsfläche, veröffentlicht in Siedlungs- und Verkehrsfläche, 2022/03/23
[Umw03] Penn-Bressel, Getrude Reduzierung der Flächeninanspruchnahme durch Siedlung und Verkehr (Materialband), 2003
Weiterführende Literatur
[BMVI17d] K. Albrecht, A. Schleicher, M. Liesenjohann, B. Gharadjedaghi & S. Schenk Analyse biodiversitätsfördernder Maßnahmen im Verkehr , 2017/03
[FGSV11] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. Empfehlungen zur Straßenraumgestaltung innerhalb bebauter Gebiete (ESG), FGSV Verlag / Köln, 2011, ISBN/ISSN 978-3-941790-76-6
[RASt06] Baier, Reinhold, et al. Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen - RASt 06, Ausgabe/Auflage 2006, Köln, 2007, ISBN/ISSN 978-3-939715-21-4
[BauGB] Baugesetzbuch (BauGB)
Glossar
BMUV
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (bis 12/2013 BMU, bis 03/2018 BMUB und bis 12/2021 BMU)
UBA Umweltbundesamt

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?39802

Gedruckt am Freitag, 26. April 2024 08:24:46