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Grenzübergreifende Raumordnung

Erstellt am: 27.06.2011 | Stand des Wissens: 23.11.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Der Begriff der grenzüberschreitenden Raumordnung beschreibt großräumige Planungen, die über die Staatsgrenzen hinausgehen. Das Ziel ist es, widersprüchliches und gegenseitig unverträgliches Planungshandeln zu vermeiden. Ein regelmäßiger Informationsaustausch und frühzeitige Abstimmungen bei Entwicklungsprojekten mit potenziellen, funktionalen sowie strukturellen Folgen auf die Nachbarstaaten sind dabei Voraussetzungen [ARL05].
In Europa konzentrierten sich die politische Macht und das wirtschaftliche Wachstum seit der Etablierung der Nationalstaaten stärker auf die nationalstaatlichen Zentren. Dies schwächte den Integrationsprozess in Grenzregionen und somit deren Wettbewerbsfähigkeit. In den nationalen Raumentwicklungspolitiken spiegelte sich dieser Effekt wider. Diese berücksichtigen Grenzregionen selbst dann nicht angemessen, wenn sich intensive Verflechtungen und grenzüberschreitende Wachstumsregionen ausbilden konnten [MORO11a].
Eine transnationale Zusammenarbeit wird unter anderem durch Initiativen innerhalb der Europäischen Union (EU) finanziell unterstützt und gefördert. Diese tragen zur Realisierung der Leitbilder als auch Zielsetzung der europäischen Raumordnung und zur europäischen Integration bei. Ein Beispiel von transnationaler Zusammenarbeit ist die europäische Gemeinschaftsinitiative INTERREG (ETZ), welche "seit mehr als 30 Jahren grenzüberschreitende Kooperationen zwischen Regionen und Städten unterstützt" [INTE19a]. Die durch Interreg geförderten Projekte werden nicht durch die europäische Kommission verwaltet, sondern durch Vertreter der nationalen sowie regionalen Behörden. Diese definieren zusammen mit den beteiligten Kommunen und anderen lokalen Akteuren die Entwicklungsprioritäten des Programms [INTE19a]. Im Jahr 1990 führte die Etablierung der Interreg zu einem enormen Schub von grenzüberschreitenden Programmen, Strategien, Projekten und Initiativen [MORO11a]. Auch "das Europäische Raumentwicklungskonzept (EUREK) unterstreicht die zentrale Bedeutung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und fordert eine Intensivierung der Bemühungen um integrierte Raumentwicklungsstrategien über nationalstaatliche Grenzen hinweg" [MORO11a]. Gemeinsam mit der Territorialen Agenda der Europäischen Union (TAEU) bildet das EUREK das Fundament für die Ausrichtung der Gemeinschaftspolitiken an einer kohärenten Entwicklung des EU-Territoriums. Mit dem Grünbuch zum territorialen Zusammenhalt "stellt die Kommission [...] den Zusammenhang zwischen European Governance und europäischer Raumentwicklung explizit her" [MORO11a, S.13].
Das damalige BMVBS (heute BMDV) hat im Jahre 2008 zur Verdeutlichung der Rolle der grenzüberschreitenden Verflechtungsräume das Modellvorhaben der Raumordnung (MORO) zu Grenzregionen veranlasst. Dieses widmet sich den spezifischen Entwicklungspotenzialen großräumiger metropolitaner Grenzregionen. Im Jahr 2011 wurde zur Festigung der Kooperationsstrukturen der Inititativkreis Metropolitane Grenzregionen (ImeG) initiiert. Er gab sich folgende Ziele [Moro11]:
  • Weiterentwicklung der Kooperationsstrukturen und der regionalen Governance,
  • Abstimmung und Synchronisation nationaler Förderpolitiken,
  • Etablierung eines lernenden Netzwerks,
  • Einbezug der Grenzräume in den Raumordnungsbericht auf Bundesebene,
  • Positionierung der Partnerschaft in den europäischen Raumentwicklungsdiskurs,
  • Vernetzung und Ausbau der Partnerschaft in Europa.
Im Abschlussbericht aus dem Jahre 2013 des Modellvorhabens der Raumordnung [MORO13] werden Leitprojekte mit folgender operativer Ausrichtung vorgestellt:
  • grenzüberschreitende Mobilität fördern,
  • Kräfte in Grenzregionen bündeln, Infrastrukturen vernetzen,
  • Umweltschutz und Kulturlandschaft grenzüberschreitend entwickeln,
  • metropolitane Grenzregionen als gemeinsame Wirtschafts- und Wissenschaftsräume stärken.
Grenzüberschreitende Mobilität fördern

Das Ziel ist die Sicherung der grenzüberschreitenden Mobilität für Grenzpendler mittels integrierter Verkehrskonzepte. Dafür sollen infrastrukturelle Defizite ausgeglichen und die Verbindungs- und Erschließungsqualität insbesondere im öffentlichen Personennahverkehr erhöht werden.
Ein Beispiel dafür ist die Euregio Maas-Rhein (EMR), ein Zusammenschluss der Regionen Aachen, Belgisch-Limburg, Wallonie, der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens und der niederländischen Region Süd-Limburg. Dieses Gebiet ist durch eine außerordentlich heterogene Struktur ausgezeichnet. Auch hat sie als gemeinsame Wirtschafts- und Technologieregion eine wirkungsvolle Dialog- und Kooperationskultur entwickelt. Die Euregio Maas-Rhein hat seit 1991 eine rechtliche Grundlage in Form einer "Stichting" (Stiftung) nach niederländischem Recht. Diese verfolgt das Ziel, dass euregionale Netzwerke zusammenarbeiten. Das Teilprojekt "M3 Mobilität ohne Grenzen" in der Euregio Maas-Rhein (2009 bis 2014) strebte gezielt die Stärkung des grenzüberschreitenden öffentlichen Nahverkehrs an. Die Verbesserung des Leistungsangebotes als auch die Nutzung moderner Technologien [MORO13] beispielsweise im Bereich des elektronischen Ticketings sollen zu einer Attraktivierung des Angebotes beitragen [MORO11a, S. 45]. Ein regionales Portal mit aktuellen Informationen über den öffentlichen Verkehr (ÖV) sowie ein Euregioticket, mit dem die Euregio-Einwohner billiger reisen können, wurden durchgesetzt [EMR13, S. 36].

Kräfte in Grenzregion bündeln, Infrastrukturen vernetzen
Mit der Bündelung von vorhandenen Infrastrukturen in den Bereichen der Daseinsvorsorge, der Standortentwicklung als auch in den Bereichen der Freizeit und Kultur können kostenaufwändige Doppelstrukturen vermieden werden. Der effiziente Einsatz von Ressourcen als auch die Stärkung von Grenzregionen durch Spezialisierungen sind Teilziele der Strategie.
Das Leitprojekt INTERREG IV A-Projekt stellt die "Upper Rhine Valley Tourismus in der Trinationalen Metropolregion Oberrhein" dar. Die Abbildung 1 stellt teilnehmende Regionen von Frankreich, Deutschland sowie der Schweiz des Oberrheins dar.
Die Konzeptionierung eines gemeinsamen Angebotes insbesondere im Tourismusbereich sowie die sukzessive Vernetzung von Kooperationsstrukturen verstärken die Bildung einer gemeinsamen Marke und folglich die externe Vermarktung der Region. Langfristig tragen steigende Tourismuszahlen als Multiplikator zum wirtschaftlichen Erfolg der Region bei [MORO11a, S.49].
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Abbildung 1: Trinationale Region Oberrhein
Umweltschutz und Kulturlandschaft grenzüberschreitend entwickeln
Die Mitgliedsstaaten der EU sind verpflichtet die Natura-2000-Schutzgebiete zu erhalten. Diese Schutzgebiete setzen sich zusammen aus den Schutzgebieten der Vogelschutz-Richtlinie 2009/147/EG und der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie 92/43/EG, die bislang nationalstaatlich ausgewiesen werden [BMVI09]. Das Ziel ist es, Umweltschutz grenzüberschreitend und in Kooperationen zu etablieren. Darüber hinaus stellen der Hochwasserschutz und die Erhaltung von Kulturlandschaften weitere Umweltschutzbelange dar.
Teil des vom BMDV veranlassten Modellvorhaben der Raumordnung ist das Projekt "Landschaftsnetz Mosel", welches ab dem Jahr 2009 ihren räumlichen Fokus auf die Fluss- und Weinbaulandschaft der Dreiländermosel legte, die zunehmend durch siedlungsstrukturelle und flurbereinigende Entwicklungen überformt wurde. Das Ziel war die Stärkung der Region durch die Aufwertung der Natur- und Kulturlandschaft entlang des Flussufers. Durch die Umsetzung von interkommunalen und Teilprojekten mit fachlich differenzierten Themenschwerpunkten sollte die Mosel zukünftig als Identitätsanker der Region fungieren [MORO12].

Metropolitane Grenzregionen als gemeinsame Wirtschafts- und Wissenschaftsräume stärken
Die Etablierung von grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Kooperationen birgt großes Potenzial in Hinblick auf Imagebildung und somit die Profilierung der Region im internationalen Wettbewerb.
Die grenzumgreifende Markenbildung der Bodenseeregion Hauptziel des Leitprojekts "Internationaler Wirtschaftsraum Bodensee (IWB)" (Interreg IV). Die Entwicklung einer länderübergreifenden Marketing- und Kommunikationsoffensive (Bodensee Standort Marketing GmbH) soll der Region "ein aussagefähiges, starkes Gesicht nach innen und außen [...] geben" [Bsk19]. Das Projekt IWB, welches vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2014 lief, wurde mit dem Tourismus und weiteren Bereichen synchronisiert.

Ziel der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ist, gemeinsam Problemstellungen koordiniert und abgestimmt zu begegnen sowie regionale Ungleichgewichte abzubauen. Die Verständigung und das Zusammenleben der Menschen über die Grenzen hinweg sollen verbessert und ein Mehrwert aus der Grenzlage generiert werden [Moro11].
Neben der oben genannten, Staatsgrenzen übergreifenden Raumordnung existieren zudem Landesgrenzen übergreifende Raumplanungen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland und regionale Zusammenarbeit innerhalb der Bundesländer. Grundlagen für diese Form der grenzüberschreitenden Raumordnung sind das Raumordnungsgesetz (ROG) sowie die entsprechenden Gesetze der Bundesländer [ARL05]. Diese Zusammenarbeit beinhaltet gegenseitige Informationen als auch die Abstimmungen von Raumordnungsplänen und raumbedeutsamen Vorhaben mit voraussichtlich grenzüberschreitenden Auswirkungen [MiNie11].

Interkommunale Zusammenarbeit bezeichnet die verstärkte freiwillige Zusammenarbeit der Kommunen. Neben den Vorteilen, die sich analog zu den Vorteilen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ergeben, ist hier der auf den Kommunen lastende Haushaltsdruck als Ursache für derartige Kooperationen zu benennen. "Indem Kommunen sich entscheiden, Aufgaben oder Aufgabenteile gemeinsam wahrzunehmen, können sie über die Intensivierung der interkommunalen Zusammenarbeit Handlungsressourcen zurückgewinnen, die andernfalls nicht zur Verfügung stünden. Sie werden damit besser in der Lage sein, sowohl die kommunale Dienstleistung den Bürgern anbieten zu können als auch die Kosten durch eine vergrößerte Bemessungsgrundlage zu reduzieren" [MiNie11].
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Raumordnung und Raumentwicklung (Stand des Wissens: 23.11.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?45947
Literatur
[ARL05] Aberle, G. et al. Handwörterbuch der Raumordnung, Ausgabe/Auflage 4. neu bearbeitete Auflage, Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Hannover, 2005, ISBN/ISSN 978-3-88838-555-1
[BMVI09] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (Hrsg.) Natura 2000, 2009
[Bsk19] Bodenseekreis (Hrsg.) Internationaler Wirtschaftsraum, 2019
[EMR13] INTERREG (Hrsg.) EMR2020 - Eine Zukunftsstrategie für die Euregio Maas-Rhein, 2013/03
[INTE19a] INTERREG (Hrsg.) Was ist Interreg?, 2019
[MiNie11] Niedersächsiches Ministerium für Inneres und Sport (Hrsg.) Förderung der interkommunalen Zusammenarbeit in Niedersachsen, 2011
[Moro11] Hartz, A., Schniedermeier, L., Aring, J. Metropolitane Grenzregionen, 2011/02
[MORO11a] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Initiativkreis deutscher Regionen in grenzüberschreitenden Verflechtungsräumen - Abschlussbericht 2011, 2011/02
[MORO12] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hrsg.) MORO-Initiative "Integrierte Flusslandschaftsentwicklung - Landschaftsnetz Mosel", 2012/05
[MORO13] Initiativkreis Metropolitane Grenzregionen (Hrsg.) Initiativkreis deutscher Regionen in grenzüberschreitenden Verflechtungsräumen - Abschlussbericht 2013, 2013/12/13
Weiterführende Literatur
[Schö06] Schöne, M. Bedeutung, Typologie und Entwicklungsperspektiven der deutsch-polnischen und deutsch-tschechischen Euroregionen, Dresden, 2006
[ROG] Raumordnungsgesetz (ROG)
Glossar
ÖV
Der öffentliche Verkehr (ÖV) ist sowohl im Personen-, Güter- sowie Nachrichtenverkehr für jeden Nutzer in einer Volkswirtschaft öffentlich zugänglich. Dazu zählen sowohl die öffentliche Personenbeförderung, der öffentliche Gütertransport als auch die öffentlichen Telekommunikations- und Postdienste. Der ÖV wird dabei von Verkehrsunternehmen nach festgelegten Routen, Preisen und Zeiten durchgeführt. Der ÖV ist somit im Gegensatz zum Individualverkehr (IV) örtlich und zeitlich gebunden.
Vor dem Hintergrund der verkehrspolitisch geförderten Multimodalität wird der ÖV zunehmend breiter definiert, indem auch alternative Bedienformen, Taxen bis hin zu öffentlichen Fahrrädern und öffentlichen Autos als Teil eines neuen individualisierten ÖV gesehen werden.
IV
Beim Individualverkehr (IV) wird vom Verkehrsteilnehmer ein zur Verfügung stehendes Verkensmittel genutzt. Dies können beispielsweise sein: Pkw, Krafträder, Fahrrad, zu Fuß gehen. Es wird daher auch zwischen dem Motorisierten Individualverkehr (MIV) und dem Nichtmotorisierten Individualverkehr (NMV) unterschieden. Der IV deckt zudem alle Arten von Quelle-Ziel-Beziehungen ab und das Verkehrsmittel wird von einer bestimmten Person oder einem beschränkten Personenkreis eingesetzt. Dabei ist der IV örtlich sowie zeitlich ungebunden.
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.
BMDV
Bundesministerium für Digitales und Verkehr (bis 10/2005 BMVBW, bis 12/2013 BMVBS und bis 11/2021 BMVI)
Mobility-as-a-service
Unter dem Begriff Mobility-as-a-service werden Mobilitätskonzepte verstanden, die öffentliche und private Verkehrsangebote über eine einheitliche elektronische Plattform kombinieren. Über diese Plattform werden Verkehrsdienstleistungen unterschiedlicher Anbieter und bei Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel gebucht, vermittelt und abgerechnet. Ziel ist es individuelle maßgeschneiderte Mobilitätslösungen anzubieten.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?355173

Gedruckt am Freitag, 26. April 2024 03:22:15