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Einsatz alternativer Kraftstoffe im Schienenverkehr

Erstellt am: 02.03.2011 | Stand des Wissens: 29.02.2024
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch

Die Dieseltraktion spielt im weltweiten Schienenverkehr eine gewichtige Rolle. Selbst auf dem europäischen Kontinent, dessen Staaten über einen vergleichsweise hohen Anteil elektrifizierter Strecken verfügen, ist der Antrieb mit Hilfe von Verbrennungsmotoren von großer Bedeutung (Abbildung 1 und 2). In Deutschland sind circa 59 Prozent der Schienenstrecken elektrifiziert, was allerdings 90 Prozent der Verkehrsleistung auf der Schiene entspricht. Dies bedeutet, dass vor allem wenig befahrene Schienenstrecken mit Diesel betriebenen Loks befahren werden [ALPS12].
Anteil elektrifizierter Eisenbahnstrecken EU.pngAbb. 1: Anteil elektrifizierter Eisenbahnstrecken in ausgewählten europäischen Staaten. Eigene Darstellung nach [ApS24] (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)
Im Zuge der an Relevanz gewinnenden Klimadebatte und vor allem steigender Energiepreise sind Biokraftstoffe neben weiteren Alternativen daher eine zusätzliche Option. Auch die Optionen haben sich mit der Weiterentwicklung der Bio-Treibstoffe der zweiten und dritten Generation erweitert. So sind Kraftstoffe aus Pyrolyse-Prozessen sowie Fischer-Tropsch-Umwandlungen besser erforscht. Bei einigen Treibstoffen ergibt sich hierbei eine Kohlenstoffdioxid-neutrale Bilanz [DIN16]. Als problematisch erweisen sich, nicht nur Biokraftstoffe, insbesondere die Implementierungskosten einer zusätzlichen flächendeckenden Versorgungsinfrastruktur und -logistik sowie der Umrüstung der Antriebstechnik [UIC07c]. 

GHG-Emissionen für traditionelle und alternative Kraftstoffe in ihren Lebenszyklusstadien Abb. 4: GHG-Emissionen für traditionelle und alternative Kraftstoffe in ihren Lebenszyklusstadien [DIN16] (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)

Der Erdgasbetrieb hat geringere Schadstoffemissionen als der Dieselbetrieb. Im gasförmigen Zustand wären jedoch für die Erdgasnutzung größere Tankvolumina und somit mehr Gewicht nötig. Die Nutzung von Flüssiggas hat sich noch nicht durchgesetzt. Das liegt insbesondere an den Umrüstungsanforderungen der alten Dieselloks sowie dem zusätzlich benötigten Ausbau der Erdgastankstellen [DIN16].
Pilotversuche mit einer Erdgas-V60-Rangierlokomotive, die der Deutsche Bahn AG Konzern am Münchener Hauptbahnhof für Rangieraufgaben stationierte, wurden nach Ausmusterung der betagten Fahrzeuge nicht weiterverfolgt. In der Bundesrepublik Deutschland sind darüber hinaus lediglich Erdgasanwendungen bei einigen kleinen Privatbahnen bekannt [VVS15].
2013 hat die BNSF Railway, die größte Bahngesellschaft in den USA, in Zusammenarbeit mit der Bahnindustrie ein Pilotprojekt durchgeführt, in dem sie einen Teil ihrer Lokomotivflotte mit Erdgas betreibt [BNSF13; Vant13]. Dem Erdgaseinsatz bei Streckenlokomotiven, welche für eine Überwindung langer Transportdistanzen konzipiert sind, stehen in erster Linie die Größe mitzuführender Tanks und daraus resultierende Platzprobleme entgegen [Grün06]. Umfangreiche Tests zeigten jedoch, dass erdgasbetriebene Züge unter Verwendung von Vorratswagen sehr lange Distanzen ohne Auftankstopps überwinden können [Vant13]. In den USA hat das Pilotprojekt gezeigt, dass aufgrund der mangelhaften Infrastruktur für Erdgasauffüllstationen eine Kombination von Erdgas und Diesel vorteilhaft ist. Außerdem können so die Züge mehr Treibstoff pro Tankvolumen mitführen, so dass ein Auftanken seltener nötig ist [DIN16].
Seit April 2006 verkehrt zwischen der schwedischen Ostküste und dem Ort Linköping der weltweit erste Biogas-Zug im Alltagsverkehr. Biotreibstoffe sind in Schweden steuerlich begünstigt und damit trotz höherer Produktionskosten preiswerter als Benzin. Grund hierfür ist das politisch erklärte Ziel, bis 2020 eine weitgehende Unabhängigkeit von Erdölprodukten zu erreichen [SPIE06a]. Ähnlich wie bei Erdgas beanspruchen Biogasbehälter einen vergleichsweise großen Bauraum, sodass seitens der Fahrzeughersteller beziehungsweise Eisenbahnverkehrsunternehmen ein Trade-Off zwischen Transportreichweite und Fahrgastkapazität erfolgen muss. Hinsichtlich des erzielbaren Kohlenstoffdioxid-Emissionseinsparpotenzials übertrifft Biogas die aufgeführten anderen fossilen Kraftstoffe, so dass unter ökologischen Gesichtspunkten eine entsprechende Antriebstechnikimplementierung klar im Vorteil ist. Es ist außerdem denkbar, Biogas auch für die effiziente Versorgung von entlegenen Bahnanlagen zu nutzen [GoGo12; IEA06; SPIE06a].
Wie im Straßenverkehr, eröffnen sich durch die Verwendung beziehungsweise Beimischung von Biokraftstoffen Möglichkeiten, den Bedarf an fossilen Treibstoffen im System Bahn kurzfristig zu senken und dessen Kohlenstoffdioxid-Bilanz zu verbessern. Wie bei allen anderen Agrokraftstoffen auch würden aber die folgenden Probleme bestehen: Flächen- und Nutzungskonkurrenz zu Nahrungsmitteln, pestizidintensive Monokulturen, hohe Energieinvestition zur Gewinnung etc. Außerdem sind derzeitige Produktionsprozesse noch nicht mit Produktionsprozessen von fossilem Diesel wirtschaftlich wettbewerbsfähig. Insofern sind deutliche Nachhaltigkeitsgewinne erst mit zukünftigen Biokraftstoffgenerationen zu erwarten. 
2010 hat die National Railroad Passenger Corporation (AMTRAK) in den USA eine 20 %-ige Biodieselmischung getestet. Die gemessenen Emissionen lagen dabei weit unter der US Environmental Protection Agency (EPA)-Emissionengrenze für die in dem Test verwendete GE P32-8 Lokomotive. Auch in Brasilien, Russland, Indien und Frankreich wurden verschiedene Biodieselmischungen an Lokomotiven getestet. In allen Tests kam heraus, dass alle Emissionswerte zurückgingen, die Emissionen für Stickoxide jedoch zunahmen [DIN16].
Während erdgasbetriebene Schienentriebfahrzeuge vorwiegend in der Bundesrepublik Deutschland, in Frankreich und den USA betrieben werden, findet Biogas im Eisenbahnverkehr als Kraftstoff nur ausgesprochen geringe Verwendung. Ohne politische Regulierungen, die die Nutzung von Biogas fördern, ist es aus Kostengründen wahrscheinlicher, dass auch zukünftig vermehrt Erdgas statt Biogas genutzt würde [OLSS15].
Die Investition in einen Biogas-Zug übersteigt die in eine herkömmliche Dieselvariante um circa eine halbe Million Euro. Die Union Internationale des Chemins de fer (UIC, dt. Internationaler Eisenbahnverband) hingegen bewertet die Einsatzfähigkeit von Biogas für Schienenverkehrszwecke durchaus unterschiedlich. Zwar seien die mit den Verbrennungsantrieben verbundenen ökologischen Vorteile durchaus als bedeutsam einzustufen, den nachteiligen Effekten käme jedoch ebenfalls ein großes Gewicht zu. Prinzipiell könnten Biogas-Fahrzeuge in erster Linie einzelne Marktnischen erfolgreich besetzen. Eine hohe Marktdurchdringung mit nennenswerten Einflüssen auf die verkehrsträgerseitige Energiebilanz der Schiene seien dagegen eher unwahrscheinlich [UIC07c]. Die Vor- und Nachteile der Biogas-Nutzung zeigt Tabelle 1.

Vor- und Nachteile von Biogas Tabelle 1: Vor- und Nachteile von Biogas. Eigene Darstellung nach [UIC07c; GoGo12; DIV15] (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)
Der Internationale Eisenbahnverband Union Internationale des Chemins de fer (UIC) fasst das Für und Wider eines Biodieseleinsatzes im Schienenverkehr wie folgt in tabellarischer Form zusammen:
Vor- und Nachteile BiodieselTabelle 2: Vor- und Nachteile von Biodiesel. Eigene Darstellung nach [ATAB12] (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)
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IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Alternative Kraftstoffe im Schienenverkehr (Stand des Wissens: 05.05.2017)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?344441
Literatur
[ALPS12] o.A. Deutschland bei Bahn-Elektrifizierung nur Mittelmaß, 2012/08/12
[ApS24] Allianz pro Schiene Elektrifizierung erklärt: Das Schienennetz muss unter Strom stehen, 2024
[ATAB12] Atabani, A.E., Silitonga, A.S., Badruddin, Irfan A., Mahlia, T.M.I., Masjuki, H.H., Mekhilef, S. A comprehensive review on biodiesel as an alternative energy resource and its characteristics, veröffentlicht in Renewable and Sustainable Energy Reviews, Ausgabe/Auflage 16/4, 2012, Online-Referenz doi:10.1016/j.rser.2012.01.003
[BNSF13] BNSF Railway Company (Hrsg.) BNSF to test liquefied natural gas in road locomotives, 2013/03/06
[DIN16] Dincer, I., Zamfirescu, C. A review of novel energy options for clean rail applications, veröffentlicht in Journal of Natural Gas Science and Engineering, Ausgabe/Auflage 28, 2016, Online-Referenz doi:10.1016/j.jngse.2015.12.007
[DIV15] Divya, D., Gopinath, L.R., Christy, P.M. A review on current aspects and diverse prospects for enhancing biogas production in sustainable means, veröffentlicht in Renewable and Sustainable Energy Reviews, Ausgabe/Auflage 42, 2015, Online-Referenz doi:10.1016/j.rser.2014.10.055
[GoGo12] Goldenberg, Philipp, Goldenberg, Vladimir, Reppich, Marcus, Anwendungsmöglichkeiten erneuerbarer Energiequellen im Bahnsektor, veröffentlicht in Eisenbahningenieur, Ausgabe/Auflage 02/2012, DVV Media Group GmbH, Hamburg, 2012/02, ISBN/ISSN 0013-2810
[Grün06] Grünwald, Reinhard Perspektiven eines CO2- und emissionsarmen Verkehrs - Kraftstoffe und Antriebe im Überblick, 2006/07
[IEA06] o.A. 100% Biogas for urban transport in Linköping, Sweden, 2006
[OLSS15] Olsson, Linda, Fallde, Magdalena Waste(d) potential: a socio-technical analysis of biogas production and use in Sweden, veröffentlicht in Journal of Cleaner Production, Ausgabe/Auflage 98, 2015, Online-Referenz doi:10.1016/j.jclepro.2014.02.015
[SPIE06a] o.A. Radikaler Plan: Schweden will sich bis 2020 vom Öl befreien, 2006/02/09
[UIC07c] Ian Skinner (AEA), Nik Hill (AEA), Sujith Kollamthodi (AEA), John Mayhew (AEA), Bryan Donnelly (ATOC) Railways and Biofuel, 2007/07
[UICS15] o.A. Railway Statistics - 2015 Synopsis , 2015
[Vant13] Vantuono, William C. A closer look at LNG, veröffentlicht in Railway Age, Ausgabe/Auflage 10/2013, 2013/10, ISBN/ISSN 0079-9505
[VVS15] Brück, Dr. W. Erdgas-Diesel-Bahn , 2015/05/18
Glossar
Traktion Unter Traktion versteht man im Schienenverkehrsbereich die kraftgetriebene Fortbewegung von Triebfahrzeugen. Bei der Art des Antriebssystems unterscheidet man heutzutage i. d. R. Triebfahrzeuge mit dieselelektrischen oder -hydraulischen bzw. rein elektrischen Aggregaten zur Kraftübertragung (auch: Diesel- bzw. Elektrotraktion).  Die Traktionsart Dampf wird hierzulande nur noch im Bereich von Museumsbahnen eingesetzt. Mehrere gekoppelte Triebfahrzeuge bilden eine sog. Mehrfachtraktion. Üblicherweise werden diese nach der Anzahl der eingesetzten Triebfahrzeuge benannt (z. B. Doppel- oder Dreifachtraktion).
LPG = Liquified Petroleum Gas. Flüssiggas (Propan, Butan und deren Gemische) ist ein Kohlenwasserstoff, der unter relativ geringem Druck verflüssigt und dann nur etwa 1/260 seines gasförmigen Volumens einnimmt.
NOx
= Stickoxide. Ist die Sammelbezeichnung für die Oxide des Stickstoffs. Die wichtigsten Stickoxide sind Stickstoffmonoxid und Stickstoffdioxid. Es sind gasförmige Verbindungen, die sich nur wenig in Wasser lösen.
Die wichtigsten Stickoxid-Quellen sind natürliche Vorgänge, wie zum Beispiel mikrobiologische Umsetzungen im Boden, sowie Verbrennungsvorgänge bei Kraftwerken, Kraftfahrzeugen und industrielle Hochtemperaturprozesse, bei denen aus dem Sauerstoff und Stickstoff der Luft Stickoxide entstehen. Stickstoffdioxid ist ein Reizstoff, der die Schleimhäute von Augen, Nase, Rachen und des Atmungstraktes beeinträchtigt.
Verkehrsleistung
Die Verkehrsleistung gibt Auskunft über die Inanspruchnahme von Ressourcen. Als Verkehrsleistung wird die auf eine Zeiteinheit t (zum Beispiel ein Jahr) bezogene Verkehrsarbeit definiert und als Quotient dargestellt. Die Verkehrsarbeit wird dabei als Produkt von Verkehrseinheiten (zum Beispiel Güter oder Personen) und der durch diese zurückgelegten Strecke gebildet. In der Verkehrswissenschaft sind die Einheiten Personenkilometer pro Jahr [Pkm/a] oder Tonnenkilometer pro Jahr [tkm/a] gebräuchlich.
Triebfahrzeug
Ein Triebfahrzeug (Tfz) ist ein einzelnes Regeleisenbahnfahrzeug mit einem eigenen Fahrzeugantrieb (Lokomotiven, Triebwagen). Eine Sonderform bilden Triebköpfe, die in einem fest gekoppelten Triebzug zusammen mit antriebslosen Mittel- und Steuerwagen betrieben werden. Lokomotiven kommen normalerweise im Verbund mit gekoppelten Reisezug- oder Güterwagen zum Einsatz. Triebwagen sowie auch Triebzüge werden als gekoppelten Einheiten gleichen Typs in sogenannten Triebwagenzügen eingesetzt. Weitere Tfz sind Kleinlokomotive und selbstfahrende Nebenfahrzeuge.
Eisenbahnverkehrsunternehmen Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) sind öffentliche Einrichtungen oder privatrechtlich organisierte Unternehmen, die Eisenbahnverkehrsleistungen erbringen. "Eisenbahnverkehrsunternehmen" stellt einen europarechtlichen Begriff dar, welcher durch nationales Recht in Form von § 2 (1) des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) konkretisiert wird.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?343598

Gedruckt am Freitag, 29. März 2024 16:51:29