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Wohlfahrtsökonomische Ziele der Flughafenregulierung

Erstellt am: 17.05.2010 | Stand des Wissens: 16.06.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Bauhaus-Universität Weimar, Professur Infrastrukturwirtschaft und -management - Prof. Dr. Thorsten Beckers
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch

Eine aus allokativer Sicht effiziente Preishöhe liegt vor, wenn der Preis (P) den Grenzkosten (GK) entspricht. Unter der Nebenbedingung, dass für die Bereitstellung von Infrastruktur keine Subventionen zur Verfügung stehen und somit Kostendeckung zu gewährleisten ist, wird bei Grenzkosten unterhalb der Durchschnittskosten (DK) Effizienz erreicht, wenn P = DK gilt. Ein marktmächtiges Unternehmen wird einen höheren Preis setzen, so dass der Regulierer anstreben sollte, P = DK sicherzustellen, wodurch die Nachfrageverdrängung minimiert wird.

Aus wohlfahrtsökonomischer Sicht stellt die Preissetzung ein Instrument unter mehreren zur Verfügung stehenden Instrumenten (unter anderem Zertifikate) dar, um externe Effekte zu internalisieren. Dies betrifft beispielsweise negative externe Effekte im Umweltbereich. Hier werden die Analyse und der Vergleich wirtschaftspolitischer Maßnahmen zur Reduktion derartiger Umwelteffekte ausgeklammert, da deren Einsatz grundsätzlich als mit den verschiedenen noch betrachteten Regulierungsmaßnahmen kompatibel eingestuft wird. Weiterhin ausgeklammert werden externe Effekte infolge von Überlastungserscheinungen an Flughäfen, das heißt einer Nachfrage nach Slots, die deren Angebot übersteigt. Um an derartigen so genannten "kapazitätsbeschränkten" Flughäfen eine Begrenzung des Preises auf die internen Durchschnittskosten und eine effiziente Zuordnung des zur Verfügung stehenden Angebots auf die Marktteilnehmer auf der Nachfrageseite zu erreichen, kann auf Zertifikate, also Slots, zurückgegriffen werden, die zwischen den Fluggesellschaften gehandelt werden. Ein derartiges Verfahren ist vom Grundsatz beispielsweise auch am Londoner Flughafen Heathrow implementiert [CAA06]. Vor diesem Hintergrund wird auch die Frage der knappen Kapazitätszuordnung grundsätzlich ausgeklammert.

Bei der Möglichkeit zur Preisdifferenzierung kann durch eine geeignete Preisstruktur der Wohlfahrtsverlust infolge der Preissetzung oberhalb der Grenzkosten, welche aufgrund der Nebenbedingung der Kostendeckung erforderlich ist, und damit die ineffiziente Nachfrageverdrängung begrenzt werden. Hierfür ist eine Preisstruktur anzustreben, bei der die Aufschläge auf die Grenzkosten invers zur Preiselastizität der Nachfrage erhoben werden ("Ramsey-Bepreisung"), das heißt die Aufschläge sind am höchsten bei den Nachfragern mit der geringsten Preiselastizität. [Knie08] Fluggesellschaften und auch Endnachfrager werden in einem unterschiedlichen Ausmaß durch eine derartige Preisdifferenzierung Vor- und Nachteile haben. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass durch eine Preisdifferenzierung auf Ebene des Flughafens Auswirkungen auf den Wettbewerb der Fluggesellschaften entstehen können. Daher kann es in bestimmten Situationen aus wohlfahrtsökonomischer Sicht sinnvoll und gegebenenfalls auch im Interesse der Gesamtheit der Endnachfrager sein, dass keine Preisdifferenzierung durchgeführt wird. Zu beachten ist weiterhin, dass eine Preisdifferenzierung zur Diskriminierung von Nachfragern genutzt werden kann, weshalb sie nur durchgeführt werden sollte, wenn durch transparente und überprüfbare Regeln einer Diskriminierung entgegengewirkt werden kann. Auch die Frage der Preisdifferenzierung wird im Folgenden grundsätzlich ausgeklammert.

Die Wahl einer effizienten Qualität und einer effizienten Kapazität liegt vor, wenn Grenznutzen und Grenzkosten der entsprechenden Ausgestaltung übereinstimmen. Nachfrager unterscheiden sich regelmäßig hinsichtlich ihrer Qualitätspräferenzen, was gegebenenfalls durch Qualitätsdifferenzierung (und damit einhergehende Preisunterschiede) berücksichtigt werden kann. Ein Beispiel hierfür sind die besonderen Qualitätspräferenzen von Low-Cost-Carriern. Bei der Kapazitätswahl können Interessen auf Ebene der Fluggesellschaften (und zum Teil auch deren Nachfragern) divergieren. An einem Flughafen etablierte Fluggesellschaften ("Incumbents") können in bestimmten Situationen gegen einen Ausbau sein, der oftmals Preiserhöhungen erfordern kann, während Interessenten an einem Markteintritt diesen begrüßen würden. Insofern sollten Investitionsmaßnahmen bei divergierenden Interessen aus wohlfahrtsökonomischer Sicht bewertet werden.

Wie dargestellt sollte im Hinblick auf die allokative Effizienz der Preis (im annahmegemäß vorliegenden Fall von DK >= GK und unter Berücksichtigung der Nebenbedingung der Kostendeckung sowie bei Ausklammerung von Preisdifferenzierungen) den Durchschnittskosten entsprechen. Demnach wäre ein marktmächtiges Unternehmen von einer Regulierung beziehungsweise einem Regulierer zu einer entsprechenden Preissetzung anzuhalten. In der Realität liegen jedoch Informationsasymmetrien zwischen dem Unternehmen und dem Regulierer vor, die aus Sicht des Regulierers mit Problemen bei der Implementierung einer entsprechenden Preissetzungsvorgabe einhergehen.

Durch die Ausgestaltung der Regulierung kann versucht werden, die infolge von Informationsasymmetrien auftretenden Probleme zu minimieren. Dabei können Konflikte zwischen dem wohlfahrtsökonomischen Ziel der Minimierung der gesamtwirtschaftlichen Kosten (wohlfahrtsökonomische Kosteneffizienz) und dem Ziel der Minimierung der von den Nachfragern zu zahlenden Preise ("Preisminimierung") auftreten. Dies wird anhand der folgenden Beispiele erläutert:
  • Sofern der Regulierer die Kosten des regulierten Unternehmens perfekt beobachten könnte und damit keine Informationsasymmetrien hinsichtlich der Kostenhöhe vorlägen, würde eine Regulierungsvorgabe P = DK dazu führen, dass das Unternehmen keine Anreize zu effizienter Produktion besäße. Insofern fielen zwar keine Gewinne (im volkswirtschaftlichen Sinne) an, aber die Kosten wären ineffizient hoch, was mit entsprechend hohen, von den Nutzern zu zahlenden Preisen einherginge.
  • Die Neue Institutionenökonomik, konkret die (positive und normative) Prinzipal-Agent-Theorie, weist darauf hin, dass durch die Übertragung von Kostenrisiko an das Unternehmen die erwarteten (Aus-)Zahlungen der Nachfrager - trotz der dann möglichen Erzielung von Gewinnen (jenseits der ohnehin in den Kosten enthaltenen risikoadäquaten Verzinsung des eingesetzten Kapitals) durch das Unternehmen reduziert werden können [McMc88]. Eine entsprechende Risikoübertragung geht zunächst mit dem Effekt einher, dass das Unternehmen Anreize zu effizienter Produktion besitzt, was dessen Kosten reduzieren wird. Als weiterer Effekt werden bei einem (annahmegemäß risikoaversen) Unternehmen Kosten der Risikoübernahme anfallen, wobei bei einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung auch die etwaige Reduktion von Risikokosten bei den Nachfragern als alternativen Risikoträgern zu berücksichtigen ist.
    In Abhängigkeit der konkreten Rahmenbedingungen und Ausgestaltung der Regulierung können die anreizinduzierten Kostenreduktionen, die unternehmerischen und gesamtwirtschaftlichen Risikokosten sowie die Gewinnerzielung durch das Unternehmen in unterschiedlichsten Verhältnissen zueinanderstehen, wobei in einer Vielzahl der grundsätzlich realistischen Konstellationen Konflikte zwischen den Zielen der wohlfahrtsökonomischen Kosteneffizienz und der Preisminimierung vorliegen werden. Sofern politisch vorgegebene Verteilungsziele zu berücksichtigen sind, kann sich der dargestellte Zielkonflikt jedoch reduzieren oder sogar auflösen.
  • Erkenntnisse der Transaktionskostentheorie und positiven Prinzipal-Agent-Theorie weisen auf die Bedeutung von Transaktionskosten hin, die in Abhängigkeit der Ausgestaltung der Regulierung beim Regulierer und dem regulierten Unternehmen sowie gegebenenfalls auch bei den Nachfragern anfallen. [RiFu03a für eine überblicksartige Darstellung der Transaktionskostentheorie und der positiven Prinzipal-Agent-Theorie] Transaktionskosten können beispielsweise beim Regulierer anfallen, um Informationsasymmetrien zu reduzieren, was zu einer entsprechenden Reduktion der Gewinne des regulierten Unternehmens und der von den Nachfragern zu zahlenden Preise führen kann. Auch hier kann zunächst ein Konflikt zwischen dem Ziel der wohlfahrtsökonomischen Kosteneffizienz, bei deren Ermittlung Transaktionskosten zu berücksichtigen sind, und dem Ziel der Preisminimierung identifiziert werden. In diesem Fall werden die Transaktionskosten des Regulierers von den Steuerzahlern getragen, die jedoch eine große Überschneidung mit den Nachfragern aufweisen. Sofern dies berücksichtigt wird, löst sich der dargestellte Zielkonflikt auf, wovon im Folgenden ausgegangen wird.
Einen Einfluss auf die Beziehung zwischen dem Ziel der wohlfahrtsökonomischen Kosteneffizienz und dem auf die Endnachfrager bezogenen Ziel der Preisminimierung bei der Analyse der Flughafenregulierung hat die Frage, welche Wettbewerbsintensität zwischen den Fluggesellschaften herrscht. Wenn eine geringe Wettbewerbsintensität vorliegt, werden etwaige Preisreduktionen des Flughafens gegenüber den Fluggesellschaften in einem eher geringen Ausmaß an die Endnachfrager weitergegeben werden. Damit einhergehend wird der betrachtete potenzielle Zielkonflikt erheblich an Relevanz verlieren. Bei einer hohen Wettbewerbsintensität, welche in Europa grundsätzlich vorliegen dürfte, ist hingegen - zumindest an nicht kapazitätsbeschränkten Flughäfen - davon auszugehen, dass Preisreduktionen des Flughafens gegenüber den Fluggesellschaften zu einem erheblichen Anteil an die Endnachfrager weitergegeben werden [zum Wettbewerb zwischen Fluggesellschaften z. B. Neus08; ebenso stuft Niem09 den Wettbewerb zwischen Fluggesellschaften in Europa als vergleichsweise hoch ein]. In diesem Fall bleibt der betrachtete Zielkonflikt bestehen. Dies weist darauf hin, dass bei der Flughafenregulierung stets auch deren Auswirkungen auf die Wettbewerbsintensität der Fluggesellschaften zu beachten sind.

Vor dem Hintergrund der vorgestellten Beispiele zu potenziellen Zielkonflikten wird folgender Ansatz zur Zieldefinition als sinnvoll eingestuft: Es wird grundsätzlich das Ziel der Minimierung der von den heutigen und zukünftigen Nachfragern zu zahlenden Preise verfolgt ("Preisminimierung"), wobei ergänzend die Transaktionskosten der Regulierung auf Seiten der öffentlichen Hand und der Fluggesellschaften berücksichtigt werden, da sie letztendlich (zumindest in einem erheblichen Ausmaß) auch von den Endnachfragern zu tragen sind. Dieser grundsätzliche Ansatz wird in dem speziellen Fall infrage gestellt, wenn geringfügige Preisreduktionen mit deutlichen Gewinneinbußen auf Seiten des regulierten Unternehmens einhergehen. Die Erreichung der mit diesem Ansatz verbundenen Ziele wird folgend verkürzt als "Kosteneffizienz" bezeichnet. Sofern durch die Ausgestaltung der Regulierung die Aufteilung von Renten zwischen Flughäfen und Fluggesellschaften beeinflusst wird, aber zunächst nicht die von den Endnachfragern zu zahlenden Preise tangiert werden, was speziell bei kapazitätsbeschränkten Flughäfen von Relevanz sein kann, wird dies im Folgenden explizit thematisiert.
Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Flughafenregulierung (Stand des Wissens: 16.06.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?302668
Literatur
[CAA06] Civil Aviation Authority (CAA), Office of Fair Trading Competition issues associated with the trading of airport slots, 2006
[Knie08] Knieps, G. Wettbewerbsökonomie - Regulierungstheorie, Industrieökonomie, Wettbewerbspolitik, Ausgabe/Auflage 3. Auflage, Springer Berlin/Heidelberg, 2008
[McMc88] McAfee, R. P., McMillian, J. Incentives in Government Contracting, University of Toronto Press Toronto, 1988
[Neus08] Neuscheler, T. Flughäfen zwischen Regulierung und Wettbewerb - Eine netzökonomische Analyse, Nomos Baden-Baden, 2008
[Niem09] Niemeier, H.-M. Gateway Airport Investment & Development of Airline Services for a Global Economy, Leipzig, 2009
[RiFu03a] Richter, R., Furubotn, E. G. Neue Institutionenökonomik, Ausgabe/Auflage 3. Auflage, Mohr Siebeck Tübingen, 2003
Weiterführende Literatur
[ThGr16] Thiessen, Friedrich, Gramlich, Ludwig Flughafenentgelte
Situation - Probleme - Änderungsvorschläge, 2016
Glossar
Grenznutzen Der Grenznutzen beschreibt den Nutzen der nächsten zu konsumierenden Einheit eines Gutes. Im Allgemeinen wird angenommen, dass der Grenznutzen umso geringer wird, je mehr zuvor von dem Gut konsumiert wurde. Der Grenznutzen ist also abhängig von der konsumierten Gesamtmenge. Sinkt der Grenznutzen auf null, bringt der Konsum des Gutes dem Konsumenten keinen Nutzenzuwachs.
Grenzkosten Die Grenzkosten des Faktoreinsatzes bezeichnen die zusätzlichen Kosten, die für den Einsatz jeweils einer zusätzlichen Faktoreinheit entstehen oder anders ausgedrückt: sie bezeichnen die Kosten der jeweils "letzten" Faktoreinheit. Da nur die variablen Kosten sich verändern, gehen auch nur diese in die Grenzkosten ein. Fixe Kosten werden nicht berücksichtigt. Die Grenzkosten des Faktoreinsatzes entsprechen im allgemeinen, d.h. bei proportionalen variablen Kosten, den variablen Durchschnittskosten. Weist jedoch die Funktion der variablen Kosten einen diskontinuierlichen Verlauf auf, weil bspw. ab einer bestimmten Grenze variable Abschreibungen entstehen, dann müssen die variablen Kosten der letzten Faktoreinheit zur Bestimmung der Grenzkosten herangezogen werden.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?317507

Gedruckt am Freitag, 26. April 2024 02:36:08