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Aktivitäten der EU zur Förderung der maritimen Wirtschaft

Erstellt am: 29.01.2003 | Stand des Wissens: 15.05.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn

Als EU-Institutionen im Rahmen der EU-Seehafenpolitik sind die EU-Kommission, der EU-Verkehrsministerrat, das EU-Parlament und der europäische Gerichtshof zu nennen. Politikschwerpunkt im Rahmen der Förderung der maritimen Wirtschaft der Gemeinschaft ist bisher die Wettbewerbspolitik. Sie wirkt sich auf alle Bereiche des maritimen Sektors aus. Kern der Arbeit der EU-Gremien ist einerseits die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der Seeschifffahrt der Mitgliedsländer und andererseits die Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen in Seehäfen. Ziel der Arbeit ist der Erhalt maritimer Kompetenzen in den küstennahen Mitgliedsländern. Des Weiteren tritt die EU nach außen hin als Vertreter gegenüber Drittländern und internationalen Organisationen auf und wirkt nach innen auf ihre Mitglieder ein. Die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der Seeschifffahrt der EU erfolgt unter anderem durch Maßnahmen zur Stärkung des Short Sea Shipping und durch Maßnahmen zur Wettbewerbsharmonisierung innerhalb der EU. Ein Aktionsgebiet bei der Vertretung gegenüber Dritten ist der Abbau von Wettbewerbsverzerrungen, die Wettbewerbsnachteile für Mitgliedsstaaten bedingen. Bei der Einwirkung auf Mitgliedsländer geht es vor allem um die Durchsetzung von Richtlinien und Verordnungen auf hohem Niveau im Seeverkehr. Dazu zählt unter anderem die Vereinheitlichung von Sicherheits- und von Sozialstandards. Ein weiteres Tätigkeitsfeld ist die finanzielle Unterstützung von maritimen Akteuren durch Maßnahmen zur Forschungsförderung.

Mit der Vorlage des Grünbuchs "Die künftige Meerespolitik der EU: Eine europäische Vision für Ozeane und Meere" am 07.06.2006 [EuKom06c] und dem damit eingeleiteten Konsultationsprozess unter der Leitung des EU-Kommissars für Fischerei und Maritime Angelegenheiten begann der Prozess, für die EU ein umfassendes Konzept zur Meerespolitik zu erarbeiten.

Für die EU-Seehafenpolitik ist das 1997 veröffentlichte Grünbuch über Seehäfen und Seeverkehrsinfrastruktur von Relevanz [EuKom87]. Es ist der Ausgangspunkt für eine Reihe von wettbewerbspolitischen Maßnahmen der EU im Bereich der Seehäfen und enthält eine Reihe von Harmonisierungsvorschlägen. Schwerpunkte der EU-Kommission zur Seehafenpolitik sind die Liberalisierung und Harmonisierung des Hafenwettbewerbs, die Regelung von Beihilfen und Hafenentgelten und die Einbindung der Seehäfen in die Transeuropäischen Verkehrsnetze (TEN).
Zur Harmonisierung des hafeninternen Wettbewerbs wurde durch die EU-Kommission im Jahr 2001 ein Richtlinienvorschlag über den Marktzugang für Hafendienste (auch bekannt als Port Package) vorgelegt. Kernpunkte des Richtlinien-Vorschlages sind die Einführung von Vergabeverfahren für Hafendienste und eine Beschränkung der Laufzeit der damit verbundenen Konzessionen sowie das Recht der Reeder, unter bestimmten Bedingungen eigene Besatzungen und eigenes Gerät für Umschlagarbeiten einzusetzen  [StUl02, S. 8]. Trotz Vorlage eines geänderten Vorschlages und Einbezug des Vermittlungsausschusses, wurde das Port Package im November 2003 vom EU-Parlament endgültig abgelehnt. Zentrale Streitpunkte waren:
  • die Höhe der Entschädigungszahlungen im Falle eines Konzessionswechsels, die im Ermessen der Mitgliedsstaaten liegen sollte,
  • die Selbstabfertigung, die auf die Schiffsbesatzung und bordeigenes Gerät beschränkt werden sollte,
  • die Aufnahme der Lotsendienste in den Geltungsbereich der Richtlinie und
  • die Beihilfetransparenz in den Seehäfen.
Im Herbst 2004 hat die EU-Kommission einen neuen Richtlinienvorschlag vorgelegt (Port Package II; KOM(2004)654) [EuKom04ab], der aber aufgrund der starken Widerstände 2006 zurückgezogen wurde.
Der damalige EU-Verkehrskommissar Jaques Barrot nahm mit einer Serie von Workshops die Gespräche über eine europäische Hafenpolitik mit dem EU-Parlament, den Mitgliedstaaten und den Interessengruppen neu auf. Im Ergebnis wurde 2007 die Mitteilung über eine europäische Hafenpolitik verabschiedet [EuKom07f]. Darin wurden folgende weitere Schwerpunkte definiert:
  • Leitlinien für die Anwendung der Umweltvorschriften der Gemeinschaft auf die Hafenentwicklung;
  • Luftverschmutzung und Emissionen von Treibhausgasen durch Schiffe in Häfen;
  • Vereinfachung der Verfahren im Kurzstreckenseeverkehr;
  • Einführung elektronischer Systeme für den Seeverkehr ("e-maritime");
  • Verabschiedung von Leitlinien für staatliche Beihilfen für Häfen in 2008;
  • Maßnahmen zur Ausweitung der Transparenzvorschriften der Richtlinien 2006/111/EG
Diese Mitteilung wurde im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Grünbuches - "Die künftige Meerespolitik der EU: Eine europäische Vision für Ozeane und Meere" im Ergebnis eines nach dem Scheitern des "Port Package" eingeleiteten Konsultationsprozesses verabschiedet und bedeutet einen Abschied von in der Vergangenheit beabsichtigten wesentlich weiter gehenden Maßnahmen zur Intensivierung des Seehafenwettbewerbs [EuKom06c].
2007 verabschiedet die Kommission die Mitteilung "Eine integrierte Meerespolitik für die Europäische Union" (Blaubuch) [EuKom07g]. Grundgedanke ist die "Einsicht, dass alle Fragen, die die Ozeane und Meere betreffen, miteinander verbunden sind, und dass die Entwicklung meeresbezogener Maßnahmen auf koordinierte Weise erfolgen muss, wenn wir die gewünschten Ergebnisse erzielen wollen" [EuKom07g, S. 2]. Für den Seeverkehr bedeutsame Sektorpolitiken sind:
  • ein Europäischer Seeverkehrsraum ohne Hindernisse,
  • ein europäisches Netzwerk für die Meeresüberwachung,
  • ein Fahrplan für die maritime Raumplanung der Mitgliedstaaten,
  • eine Strategie zur Eindämmung der Auswirkungen des Klimawandels in den
    Küstenregionen,
  • die Reduzierung der von Schiffen ausgehenden CO2-Emissionen und Umweltverschmutzung
  • ein europäisches Netzwerk von maritimen Clustern. [ebenda, S. 3]
Die Mitteilungen "Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen im Seeverkehr" [EuKom04] und "Strategische Ziele und Empfehlungen für die Seeverkehrspolitik der EU bis 2018" [EuKom09a] formulieren die Grundlagen der Seeverkehrspolitik. Schwerpunktgebiete sind danach:
  • eine faire Wettbewerbsordnung einzurichten,
  • die Attraktivität von Seeverkehrsberufen zu steigern,
  • einen umfassenden internationalen Rechtsrahmen für den Seeverkehr zu verwirklichen,
  • das Potenzial des Kurzstreckenseeverkehrs zu nutzen;
  • Meeresforschung und Innovation zu fördern.
Eine hohe Qualität des Seeverkehrs wird gesichert durch geringe Umwelt- und Klimabelastung, hohe Seeverkehrssicherheit, Gefahrenabwehr im Seeverkehr und integrierte Meeresüberwachung.
Am 17. November 2011 stimmten die EU-Abgeordneten einer Finanzverordnung zu, die 40 Millionen Euro für Programme und Pilotprojekte im Rahmen der integrierten Meerespolitik für den Zeitraum 2011-2013 bereitstellt. "Diese Finanzverordnung ermöglicht es uns, Synergien zur Förderung von Wirtschaftswachstum, Innovation, neuen Arbeitsplätze, sozialer Kohäsion und Umweltschutz in Küstenregionen", erklärte der Berichterstatter Georgios Koumoutsakos (EVP, GR). Die Verordnung stellt laut Koumoutsakos einen ersten Schritt dar, um in Zusammenarbeit mit Drittstaaten eine echte "Meeres-Gouvernance" auf den Weg zu bringen [EUPa11].
2014 stellte die Europäische Kommission ein "Port Package III" mit dem Titel "Zugang zum Markt für Hafendienste" vor. Das "Port Packages III" sollte in Form einer Verordnung umgesetzt werden, die gegebenenfalls schon im selben Jahr nationales Recht werden könnte. Themen waren dabei unter anderem die Tarifautonomie, das Streikrecht und die Arbeit von Lotsen. Hafenbetriebe, Gewerkschaften und Parteien lehnten das dritte "Port Package" in seiner ursprünglichen Form ab [HA13]. Nach mehrfachen Änderungen wurde der finale Entwurf im Dezember 2016 von der Europäischen Kommission beschlossen und im Februar 2017 von dem Europäischen Rat verabschiedet. Änderungen betreffen die Ausnahme der Passagier- und Umschlagdienste, Baggerung und Lotsenwesen von den Auflagen zum Marktzugang. Die Regulierungen zur Transparenz betreffen diese Dienste jedoch genauso wie die übrigen Dienste Bebunkerung, Festmacher, Müllentsorgung und Schleppereiwesen [ZDS17; MCfD16]. Im April 2020 schlägt die EU-Kommission eine vorübergehende Lockerung des Port Package III vor, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19 Pandemie auf die Schifffahrtsbranche abzufedern und Reedereien "mit dringend benötigter Liquidität zu versorgen" [ZDS20].
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Maritime Kompetenzen in Deutschland (Stand des Wissens: 15.05.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?409965
Literatur
[EuKom04] o.A. Mitteilung C(2004) 43 der Kommission - Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen im Seeverkehr, Brüssel, 2004/01/17
[EuKom04ab] o.A. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zum Markt für Hafendienste - KOM(2004) 654 endg. , Brüssel, 2004/10/13
[EuKom06c] Europäische Kommission (Hrsg.) GRÜNBUCH - Die künftige Meerespolitik der EU: Eine europäische Vision für Ozeane und Meere, Brüssel, 2006/06/07
[EuKom07f] Europäische Kommission Mitteilung über eine europäische Hafenpolitik, Brüssel, 2007/10/18
[EuKom07g] Europäische Kommission (Hrsg.) Eine integrierte Meerespolitik für die Europäische Union, Brüssel, 2007/10/10
[EuKom09a] o.A. Mitteilung der Kommission - Strategische Ziele und Empfehlungen für die Seeverkehrspolitik der EU bis 2018, 2009/01/21
[EuKom87] Europäische Kommission (Hrsg.) GRÜNBUCH - Seehäfen und Seeverkehrsinfrastruktur, Brüssel, 1997/12/10
[EUPa11] Europäisches Parlament - Informationsbüro für Deutschland Parlament segnet 40 Millionen Euro für integrierte EU- Meerespolitik ab, 2011/11/17
[HA13] Olaf Preuß Freie Tage im Hamburger Hafen sind in Gefahr, 2013/12/17
[MCfD16] Mehr Container für Deutschland (Hrsg.) Port Package 3: Deutsche Hafenwirtschaft kritisiert EU-Beschluss, 2016/12/23
[StUl02] Stemmler, Lars, Uhlig, Sebastian, Freier Marktzugang zu Hafendiensten? - Das "Port Package" in der Kritik und seine Auswirkungen auf den Hamburger Hafen, veröffentlicht in Elsflether Schriften zur Seeverkehrs- und Hafenwirtschaft, Ausgabe/Auflage Band 2, Elsfleth, 2002, ISBN/ISSN 0949-3530
[ZDS17] Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe e.V. (Hrsg.) Rat verabschiedet "Port Package III", 2017/01/23
[ZDS20] Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe e.V. (Hrsg.) EU-Kommission will "Port
Package III" für Reedereien
lockern
, 2020/04/30
Glossar
Kohäsion Anziehungskraft zwischen Molekülen desselben Stoffes. Kohäsion zieht die Moleküle eines Stoffes zueinander. Sie hält einen Festkörper oder eine Flüssigkeit zusammen und erzeugt die Oberflächenspannung.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?31306

Gedruckt am Donnerstag, 25. April 2024 04:13:50