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EU-Aktivitäten zum maritimen Klima- und Umweltschutz

Erstellt am: 22.06.2004 | Stand des Wissens: 28.10.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn

Die Europäische Union und ihre Organe bearbeiten die Problematik des Klima- und Umweltschutzes auf zwei Wegen:
  • über die Verbesserung und Regulierung von Emissionen und Sicherheit des Seeverkehrs,
  • über die Festlegung und Überwachung von Standards der Qualität der Meeresumwelt.
Seit den 1990er-Jahren verstärkt sich der Einsatz für Sicherheit, Klima- und Umweltschutz im Seeverkehr, nachdem 1993 das Einstimmigkeitsprinzip für diesen Bereich mit dem Maastricht-Vertrag aufgehoben worden war. Im Vordergrund stand dabei zunächst die Sicherheit des Seeverkehrs, Verschmutzungen aus dem Schiffsbetrieb fanden später Aufmerksamkeit. Grundsätzlich wird die Notwendigkeit einer internationalen Regulierung anerkannt, EU-Regeln und Anforderungen gehen jedoch oft über die internationalen Übereinkommen hinaus. In der Mitteilung Ökologisierung des Verkehrs wurde für 2009 eigenständiges Handeln angekündigt falls die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) bis dahin keine konkreten Maßnahmen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen vereinbart hat. So hat das europäische Parlament im September 2020 dafür gestimmt, Treibhausgasemissionen des Schifffahrtssektor ab 2022 in das EU Emissionshandelssystem zu integrieren [Reut20].

Die Grundzüge der EU-Politik wurden 1993 in der Mitteilung A Common Policy on Safe Seas [EuKom93a] dargelegt:
  • parallele Umsetzung der bestehenden internationalen Regeln,
  • Durchsetzung der internationalen Regeln durch die Hafenstaaten,
  • Entwicklung von Navigationshilfen und einer Verkehrsüberwachungsinfrastruktur,
  • Stärkung der Rolle der EU als treibende Kraft für die Weiterentwicklung internationaler Regeln.
Nach der Erika-Havarie am 12. Dezember 1999 mit einer umfangreichen Ölverschmutzung wurden mit den Paketen Erika I und Erika II Maßnahmen vorgeschlagen, die zügig zu deutlichen Verbesserungen führten durch:
  • die Verschärfung der geltenden Rechtsvorschriften über die Hafenstaatkontrolle und die Überwachung der Klassifikationsgesellschaften,
  • neue Maßnahmen zur beschleunigten Außerdienststellung von Einhüllen-Öltankern, verschärften Überwachung des gesamten Verkehrs in europäischen Gewässern und für die Einrichtung einer Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs.
Das ERIKA-II-Paket enthält drei weitere Maßnahmen, durch die das Sicherheitsniveau und die Bekämpfung von Umweltschäden aus Unfällen in den Gewässern der Europäischen Union grundlegend verbessert werden sollen:
  • Die Gründung einer Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA), deren Aufgabe es ist, für eine wirksamere Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften für die Sicherheit im Seeverkehr zu sorgen.
  • Einführung eines Überwachungs- und Informationssystems zur besseren Überwachung des Verkehrs in europäischen Gewässern (SafeSeaNet). Die Mitgliedstaaten erhalten größere Eingriffsbefugnisse bei Unfall- oder Verschmutzungsgefahr. Schiffe in EU-Gewässern müssen automatische Identifikationssysteme zur automatischen Kommunikation mit den Küstenbehörden und Schiffsdatenschreiber (Black Boxes) an Bord haben, die die Untersuchung von Unfällen erleichtern. Die Richtlinie schreibt auch vor, dass jeder Küstenstaat die EU Pläne zur Aufnahme von Schiffen in Seenot an Notliegeplätzen ausarbeitet.
  • COPE-Fonds zur verbesserten Entschädigung der Opfer von Ölverschmutzungen in europäischen Gewässern: Realisiert im Rahmen der IMO als Protokoll 2003 über die Schaffung eines Ergänzungsfonds zum IOPC-Übereinkommen über die Entschädigung für Ölverschmutzungen.
Nach dem Untergang des Tankers Prestige vor der spanischen Küste wurden einige Maßnahmen nochmals beschleunigt. Im November 2005 legte die Kommission schließlich ein drittes Maßnahmenpaket Erika III vor, das mit sieben Gesetzesvorschlägen die bestehenden Rechtsvorschriften vervollständigen soll, um Unfälle und Umweltverschmutzung zu vermeiden bzw. die Hilfe und Regelung von Folgen zu verbessern [Jeni06, S.55ff., Jeni06a]. Es betrifft folgende Komplexe:
  • strengere Bedingungen für die Erteilung des Rechts, unter der Flagge eines Mitgliedstaats zu fahren. Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Einhaltung der internationalen Vorschriften durch die unter ihrer Flagge fahrenden Schiffe wirksam zu kontrollieren,
  • Kontrollen durch den Hafenstaat,
  • Kontrollen durch Klassifikationsgesellschaften,
  • Änderung der Richtlinie zur Überwachung des Seeverkehrs, um die Hilfe für Schiffe in Seenot zu verbessern,
  • einheitlicher europäischer Rahmen für die Untersuchung von Seeunfällen,
  • Entschädigung für Passagiere bei Seeunfällen,
  • zivilrechtliche Haftung von Schiffseignern in Verbindung mit einer Pflichtversicherung (Am 11. März 2009 wurden die in einigen Punkten veränderten Vorschläge vom Europäischen Parlament angenommen).
Im Bereich Emissionskontrolle wurde erstmals 2002 eine Strategie der Europäischen Union zur Reduzierung atmosphärischer Emissionen von Seeschiffen (KOM(2002) 595 endg.) von der Kommission vorgelegt, die als strategische Ziele die Reduzierung der Emissionen von SO2, NOX, Partikeln, aromatischen Kohlenwasserstoffen, CO2 sowie Ozon schädigenden Substanzen in den Gewässern der EU formulierte [Eukom02ad].

Aus dem Handlungsvektor des Umweltschutzes hat die Europäische Kommission 2006 ein Grünbuch für die zukünftige Meerespolitik der Europäischen Union - Eine europäische Vision für Ozeane und Meere - veröffentlicht, mit dem Ziel, einen Diskussionsprozess über die Ausgestaltung der die Meere betreffenden Politiken anzustoßen. Mit dem daraus im Dezember 2007 folgenden Blaubuch - Eine integrierte Meerespolitik für die Europäische Union - wurden Verkehrssicherheit und maritimer Umweltschutz in den Kontext einer ganzheitlichen maritimen Politik gestellt. Konkrete Maßnahmen und Festlegungen folgten als Umweltsäule der Europäischen Meerespolitik mit der Mitteilung der Kommission Thematische Strategie für den Schutz und die Erhaltung der Meeresumwelt und der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) [EUR08]. Danach gilt:
  • Jeder Mitgliedstaat entwickelt eine Meeresstrategie für seine Meeresgewässer und bis spätestens 2015 erfolgt die Erstellung eines Maßnahmenprogramms zur Erreichung bzw. Aufrechterhaltung des guten Umweltzustands (Artikel 5, Artikel 13).
  • Die Mitgliedstaaten führen eine Anfangsbewertung ihrer Meeresgewässer durch und erstellen eine Beschreibung eines guten Umweltzustands (Artikel 8 und 9).
  • Es sind koordinierte Überwachungsprogramme für die laufende Bewertung des Umweltzustands der Meeresgewässer zu erstellen und durchzuführen (Artikel 11).
  • Die Öffentlichkeit ist zu unterrichten (Kapitel IV).
Die Meeresstrategie der EU wird wegen der fehlenden Integration bestehender Regelungen und eines zu engen Ansatzes sowie eines wenig ambitionierten Zeitplans kritisiert [SRU08, S.318]. Die Bundesregierung hat am 1. Oktober 2008 eine Nationale Strategie für die nachhaltige Nutzung und den Schutz der Meere [BMU08d] beschlossen, die die Grundlage für die Umsetzung der MSRL bildet. Die Überwachung der Meeresumwelt von Nord- und Ostsee wird durch die Arbeitsgemeinschaft Bund/Länder-Messprogramm für die Meeresumwelt von Nord- und Ostsee (ARGE BLMP Nord- und Ostsee) koordiniert.

Die im Blaubuch angekündigte Mitteilung Strategische Ziele und Empfehlungen für die Seeverkehrspolitik der EU bis 2018 widmet ein Unterkapitel der Verbesserung der Umweltverträglichkeit [EuKom09a, S.6f.]. Als langfristiges Ziel wird ein abfall- und emissionsfreier Seeverkehr postuliert. Als Prioritäten werden benannt:
  • Verringerung der Treibhausgasemissionen, auch durch EU-Aktivitäten in der IMO, bei Ermangelung von Fortschritten bei diesen Bemühungen sollte die EU Vorschläge auf europäischer Ebene vorlegen,
  • guter Umweltzustand der Seegewässer,
  • Hafenauffangeinrichtungen für Schiffsabfälle und Ladungsrückstände,
  • EU-Strategie zur Verbesserung des Abwrackens von Schiffen und Annahme des IMO- Übereinkommens über das Schiffsrecycling,
  • Verringerung der Schwefeloxid- und Stickoxidemissionen, wobei eine Verlagerung von Beförderungen vom Kurzstreckenseeverkehr auf die Straße zu vermeiden ist,
  • alternative Möglichkeiten der Energieversorgung in Häfen,
  • Wiederanstoß der Kampagne für Qualität in der Schifffahrt,
  • Förderung eines europäischen Umweltmanagementsystems für den Seeverkehr.
Die Richtlinien der EU, beispielsweise zum Schwefelgehalt von Schiffstreibstoffen, entsprechen den MARPOL-Festlegungen oder gehen im Falle von Schiffen im Hafen über diese hinaus. Darüber hinaus wird die Verwendung von Landstrom auf Schiffen im Hafen propagiert.
Die Europäische Kommission hat 2013 einen weiteren Schritt zur Verringerung der Treibhausgasemissionen aus dem Seeverkehr unternommen. Die vorgeschlagene Rechtsvorschrift verpflichtet die Eigner großer Schiffe über Bruttoraumzahl 5.000, die EU-Häfen anlaufen, die jährlichen Kohlendioxidemissionen der Schiffe zu überwachen und zu melden [EuKom13g]. Die Vorschrift ist am 01.01.2018 in Kraft getreten [UBA17b]. Eine ähnliche Vorschrift wurde 2016 von der IMO beschlossen und ist am 01.03.2018 in Kraft getreten. Sie verpflichtet die Eigner von Seeschiffen mit einer Bruttoraumzahl über 5.000 zur Meldung des aktuellen Treibstoffverbrauchs an eine zentrale Datenbank. [IMO18a].
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Politische Instrumente (Stand des Wissens: 28.10.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?408685
Literatur
[BMU08d] Nationale Strategie für die nachhaltige Nutzung und den Schutz der Meere, vom Bundeskabinett gebilligt am 1.10.2008|, 2008
[Eukom02ad] o.A. Eine Strategie der Europäischen Union zur Reduzierung atmosphärischer Emissionen von Seeschiffen, Brüssel, 2002/11/20
[EuKom03] Europäische Kommission (Hrsg.) Inkrafttreten des ERIKA-I-Pakets für die Sicherheit im Seeverkehr, 2003/06/25
[EuKom09a] o.A. Mitteilung der Kommission - Strategische Ziele und Empfehlungen für die Seeverkehrspolitik der EU bis 2018, 2009/01/21
[EuKom13g] o.A. Seeverkehr: erster Schritt zur Emissionsminderung, 2013/06/28
[EuKom93a] Europäische Kommission A Common Policy on Safe Seas, COM(93)66 final, Brüssel, 1993/02/24
[IMO18a] International Maritime Organization (Hrsg.) Data collection system for fuel oil consumption of ships, 2018
[Jeni06] Jenisch, U. Neue Maßnahmen für die maritime Sicherheit, veröffentlicht in Hansa, Ausgabe/Auflage Nr. 3, 4, 5, Schiffahrts-Verlag Hansa C. Schroedter / Hamburg, 2006
[Jeni06a] Jenisch, U. Das "Erika III"-Paket aus Brüssel: Bürokratismus oder ein Beitrag zur Verbesserung der Schiffssicherheit, veröffentlicht in HANSA, Ausgabe/Auflage 143 Jg. Nr.7, Schiffahrtsverlag "Hansa" / Hamburg, 2006, ISBN/ISSN 0017-7504
[Reut20] Reuters (Hrsg.) EU parliament votes to make ships pay for their pollution, 2020/09/15
[SRU08] Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) Umweltgutachten 2008 - Umweltschutz im Zeichen des Klimawandels, Erich Schmidt Verlag, 2008, ISBN/ISSN ISBN 978-3-503-11091-9
[UBA17b] Umweltbundesamt (Hrsg.) Seeschifffahrt muss über Treibhausgasemissionen berichten, 2017/10/02
Rechtsvorschriften
[EUR08] RICHTLINIE 2008/56/EG Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie
Glossar
IV
Beim Individualverkehr (IV) wird vom Verkehrsteilnehmer ein zur Verfügung stehendes Verkensmittel genutzt. Dies können beispielsweise sein: Pkw, Krafträder, Fahrrad, zu Fuß gehen. Es wird daher auch zwischen dem Motorisierten Individualverkehr (MIV) und dem Nichtmotorisierten Individualverkehr (NMV) unterschieden. Der IV deckt zudem alle Arten von Quelle-Ziel-Beziehungen ab und das Verkehrsmittel wird von einer bestimmten Person oder einem beschränkten Personenkreis eingesetzt. Dabei ist der IV örtlich sowie zeitlich ungebunden.
CO
= Kohlenstoffmonoxid. CO ist eine chemische Verbindung aus Kohlenstoff und Sauerstoff und gehört damit neben Kohlenstoffdioxid zur Gruppe der Kohlenstoffoxide. Es ist ein farb-, geruch- und geschmackloses Gas. Kohlenstoffmonoxid beeinträchtigt die Sauerstoffaufnahme von Menschen und Tieren. Schon kleine Mengen dieses Atemgiftes haben Auswirkungen auf das Zentralnervensystem.
Es entsteht bei der unvollständigen Oxidation von kohlenstoffhaltigen Substanzen. Dies erfolgt zum Beispiel beim Verbrennen dieser Stoffe, wenn nicht genügend Sauerstoff zur Verfügung steht oder die Verbrennung bei hohen Temperaturen stattfindet. Kohlenstoffmonoxid selbst ist brennbar und verbrennt mit Sauerstoff zu Kohlenstoffdioxid. Hauptquelle für die CO-Belastung der Luft ist der Kfz-Verkehr.
EU-Emissionshandelssystem Das EU-Emissionshandelssystem (EU ETS) ist ein 2003 vom Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament beschlossenes marktwirtschaftliches Instrument, die im Kyoto-Protokoll gesetzten Klimaschutzziele zu erreichen. Anlagenbetreiber (zur Zeit sind etwa 11.000 Fabriken und Kraftwerke erfasst) müssen bei Überschreiten der ihnen fest vorgegebenen Emissionsberechtigungen Strafen bezahlen (100 Euro pro Tonne CO2), sofern keine Zertifikate zur Tilgung vorgelegt werden können. Diese Zertifikate vergeben solche Betreiber, die die o.g. Grenzwerte unterschritten haben. Die Nachweispflicht liegt in jedem Fall bei dem Anlagenbetreiber.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?92904

Gedruckt am Donnerstag, 28. März 2024 17:46:54