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Charter- und Ferienfluggesellschaften

Erstellt am: 06.02.2018 | Stand des Wissens: 27.07.2023
Synthesebericht gehört zu:

In den 1960er und 1970er Jahren wurde das Charter-Geschäftsmodell insbesondere in Europa entwickelt, um die Nachfrage im Tourismusluftverkehr zu bedienen ohne hierfür Linienverkehrsrechte beantragen zu müssen. Der Unterschied zwischen Linienfluggesellschaften und Charterfluggesellschaften besteht darin, dass bei Linienflügen ein Flugplan veröffentlicht wird, auf dessen Grundlage Kunden Sitzplätze buchen können, während bei Charterflügen ein einziger Großkunde (Vollcharter) oder auch mehrere Großkunden (Splitcharter) einen Flug oder eine Reihe von Flügen einkaufen. Bei diesen Großkunden handelt es sich unter anderem um Reiseveranstalter, die die Plätze dann an Endkunden weiterverkaufen.

Während beim Linienflug das Auslastungsrisiko bei der Fluggesellschaft liegt, liegt es beim Charterflug bei dem Großkunden. Im Zuge der Liberalisierung der Verkehrsrechte entwickelten sich jedoch ehemalige Charterfluggesellschaften (Condor, Hapag Lloyd, LTU) zu Linienfluggesellschaften, um so Teilkapazitäten selbst am Markt verkaufen zu können (Einzelplatzverkauf), die von den Veranstaltern nicht oder nicht verbindlich ausgelastet wurden. Inzwischen hat sich das Auslastungsrisiko überwiegend zu den ehemaligen Charterfluggesellschaften verlagert, die daher wegen ihres unveränderten Schwerpunktes auf touristische Destinationen zutreffender als "Ferienfluggesellschaften" zu bezeichnen sind. Ihr Geschäftsmodell ist eine Mischung aus dem der Full-Service-Network-Carrier und der Low-Cost-Carrier (LCC).

Die Ferienflieger konzentrieren ihren Flugplan auf klassische Pauschalreiseziele ("Warmwasserdestinationen"). Die Frequenzen werden stark der erwarteten Gesamtnachfrage angepasst. Die Heimatbasen der Ferienflieger liegen in den Ländern, in denen auch die Nachfrage beheimatet ist, und für Langstreckenverkehre adaptierten die Ferienflieger zur Kapazitätsauslastung an ihrer zentralen Heimatbasis die Hub-and-Spoke-Konzepte der Netzwerk-Carrier. Daneben werden jedoch auch Flüge angeboten, die von anderen Flughäfen im Heimatland ausgehen.

Die Charter- und Ferienfluggesellschaften verfolgen im Kontinentalverkehr regelmäßig ein Einheitsklassenkonzept mit hoher Bestuhlungsdichte. Entsprechend den Anforderungen der Pauschalreiseveranstalter sind Unterhaltungs- und Verpflegungsmöglichkeiten meist im Flugpreis enthalten. Im Langstreckenverkehr werden neben einer eng bestuhlten Economy-Klasse regelmäßig auch Compartments mit komfortableren Sitzabständen und erweitertem Bordservice angeboten, um den Ansprüchen der Fernreisenden zu genügen.

An Reiseveranstalter werden über direkte Kontakte Kontingente vermarktet. Für die Einzelplatzbuchung werden die klassischen Distributionskanäle über Reisebüros und Online-Plattformen genutzt, aber auch die eigene Internetseite und Callcenter.

Das Serviceangebot am Boden ist meist auf das Notwendigste reduziert und teilweise auf das geringe Niveau von LCC gesenkt [Pomp02].

Je nach Ausmaß der Zusammenarbeit mit den Reiseveranstaltern, kann auf den Unterhalt eines aufwendigen Verkaufs- und Verwaltungsapparates verzichtet werden. Die Zahl der Management- und Steuerungsebenen ist somit ähnlich wie bei den LCC reduziert und die Hierarchiestruktur kann durch Lean Management flach gehalten werden.

Im Einzelplatzgeschäft sehen sich die europäischen Ferienflieger zunehmendem Wettbewerb durch LCC ausgesetzt, die mit ihren Angeboten für Privatreisende auch die klassischen Pauschalreiseziele bedienen [Pomp02]. In den letzten 20 Jahren wurden vor allem deutsche und britische Charter- oder Ferienfluggesellschaften (beispielweise Condor, Hapag-Lloyd Flug, LTU, Britannia und JMC Air) durch Kapitalbeteiligungen und Akquisitionen eng an große Reiseveranstalter (TUI, Thomas Cook, Rewe-Gruppe) gebunden. Durch die vertikale Integration über die gesamte touristische Wertschöpfungskette hinweg wollen die großen Reiseveranstalter ihren Einfluss auf die Produkterstellung konsolidieren, Schlüsselressourcen direkt kontrollieren und Skaleneffekte realisieren [BiLa02].
Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Personenluftverkehrsunternehmen (Stand des Wissens: 27.07.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?479035
Literatur
[BiLa02] Thomas Bieger, Christian Laesser Market Segmentation by Motivation: The Case of Switzerland, veröffentlicht in Journal of Travel Research, Ausgabe/Auflage 41, 2002/08/01
[Pomp02] Wilhelm Pompl Luftverkehr - Eine ökonomische und politische Einführung, Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 2002, ISBN/ISSN 3-540-42656-6
Glossar
Hub-and-Spoke
Hubs sind zentrale Umschlagpunkte über die Versand- und Empfangspunkte miteinander verbunden werden.
Die Empfangs- und Versanddestinationen werden auch als Speichen (Spokes) bezeichnet. Das heißt, eine Verbindungen wird nicht direkt durchgeführt, sondern über einen zentralen Knoten oder Umschlagspunkt. Es wird daher von einem Hub-and-Spoke-System oder Nabe-Speiche-System gesprochen.
LCC Die Abkürzung steht für Low Cost Carrier und bezeichnet so genannte Niedrigpreis-Fluglinien. Sie beschränken sich auf die reine Transportdienstleistung und erreichen durch weitere Kostenreduktionsmaßnahmen eine günstige Kostenstruktur, die an die Passagiere durch niedrige Flugpreise weitergegeben wird.
Economies of Scale Economies of Scale treten auf, wenn die Produktionskosten pro hergestellter Einheit mit zunehmender Produktionsmenge abnehmen.
Hub Der Begriff Hub kommt vom englischen Begriff "Hub and Spoke", was im Deutschen "Nabe und Speiche" entspricht. Der Hub dient als Sammel- und Knotenpunkt für Hauptverkehrswegen für den Umschlag und die Zusammenfassung von Warenströmen in alle Richtungen, d.h. zur Warenübergabe an regionale Verteiler. Im Postwesen handelt es sich bei Hubs häufig um Paketzentren. Die Transportmittel zur weiteren Beförderung der Sendungen variieren (Schiffe, Flugzeuge, Lkw).
Geschäftsmodell
Ein Geschäftsmodell besteht allgemein aus den drei Hauptkomponenten Nutzenversprechen (value proposition), Architektur der Wertschöpfung und Ertragsmodell.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?478984

Gedruckt am Freitag, 26. April 2024 00:43:17