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Bestimmung der zertifikatspflichtigen Einheiten (sogenannter Point of Regulation)

Erstellt am: 14.11.2010 | Stand des Wissens: 16.02.2024
Ansprechpartner
IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.

Im Konzeptionsprozess eines Emissionshandelssystems muss festgelegt werden, an welchem Punkt der Wertschöpfungskette die Zertifikatspflicht ansetzen soll (sogenannter Point of Regulation). Aufgrund des festen Verhältnisses von Kohlenstoffgehalt und Kohlendioxidemission bei fossilen Energieträgern ist dies an verschiedenen Stellen möglich [StBL02, S. 210]. In die Entscheidung sollten Aspekte wie Machbarkeit, Transaktionskosten, Anzahl und Marktmacht der regulierten Einheiten, sowie die Frage, ob wirksam Anreize zur Emissionsreduktion gesetzt werden, einfließen. Letztlich ist eine Abwägung erforderlich, deren Ergebnis stark von der regulierten Thematik abhängig ist. [EuKom21d, S. 240] Ziel muss es sein, die Effektivität und Durchführbarkeit des Emissionshandelssystems bestmöglich zu gewährleisten. [Deu02, S. 43]
Im Folgenden werden die möglichen Regulierungspunkte am Beispiel des Verkehrssektors analysiert:
Downstream-Modell
Bei einem Downstream-Emissionshandelssystem ist der Emittent der CO2-Emissionen, also der Endverbraucher des Energieträgers, zertifikatspflichtig. [Herm14, S. 20; BT18, S. 12] Würde man im Verkehrssektor ein Downstream-Modell einführen, wären zum Beispiel Personen, die ihre Fahrzeuge mit fossilen Brennstoffen antreiben, von der Zertifikatspflicht betroffen. [UBA23h]
Der Vorteil ist, dass die Emittenten ihre Vermeidungsoptionen kennen und diese unmittelbar ergreifen können. Damit ist eine deutliche Anreizwirkung zu erwarten. Im Verkehrssektor ist denkbar, dass Pkw-Fahrer ihre Mobilitätsentscheidungen nach Einführung einer Zertifikatspflicht revidieren. [EuKom21d, S. 253; Deu02, S. 53] Ferner können im Rahmen eines Downstream-Ansatzes Ausnahmeregelungen leichter individuell festgelegt werden. Das Downstream-Modell kann so besser schrittweise in unterschiedlichen Teilmärkten eingeführt werden [PWC02, S. 32]. Zudem ist der Downstream-Ansatz leichter politisch durchsetzbar, da er besser mit dem Vergabemodus des Grandfathering, der kostenlosen Zuteilung von Zertifikaten auf Basis des historischen Verbrauchs, vereinbar ist. [Deu02, S. 46, 55]
Jedoch beeinträchtigt eine große Anzahl an Zertifikatspflichtigen die Durchführbarkeit und Effizienz und führt zu hohen Transaktionskosten. Auch im Verkehrssektor ist ein Downstream-Ansatz aufgrund der großen Anzahl an CO2-Emittenten und der Einbeziehung privater Haushalte nicht sinnvoll einsetzbar [Deu02, S. 46; ScPe99; PWC02; UBA21q, S. 3; EuKom21d, S. 238]). Stattdessen kommt ein Upstream-Modell in Betracht. Ein Downstream-Ansatz bietet sich dagegen für die Regulierung großer Punktquellen an, zum Beispiel Industrieanlagen. [Agor19a, S. 17] Der Europäische Emissionshandel, der insbesondere große Energieanlagen und energieintensive Industrieanlagen umfasst, adressiert diese Emittenten. [UBA23h]
Midstream-Modell
Anders als beim Downstream-Modell setzt die Zertifikatspflicht bei einem Midstream-Modell früher, also im mittleren Bereich der Wertschöpfungskette, an. [BT18, S. 12] Zertifikatspflichtig ist das Inverkehrbringen oder Verarbeiten von Gütern, die einen Bezug zum Emissionsausstoß aufweisen. Denkbar ist beispielweise im Verkehrssektor die Verpflichtung von Automobilherstellern. Ein Nachteil ist, dass ein ausreichend enger Zusammenhang zwischen Güterproduktion und Emissionsausstoß nicht immer sicher herzustellen ist. [Agor19a, S. 18]
Upstream-Modell
Ein Upstream-Emissionshandelssystem verpflichtet Inverkehrbringer von Energieträgern, also Importeure und Produzenten, zum Zertifikatserwerb bereits am Anfang der Wertschöpfungskette. Vorteil ist, dass die Anzahl der Zertifikatspflichtigen und die Transaktionskosten verringert werden können. Dies vereinfacht die Organisation des Emissionshandelssystem. [Deu02, S.46] Zu eng darf der Kreis der Verpflichteten allerdings auch nicht gezogen werden: Eine zu geringe Anzahl regulierter Einheiten birgt das Risiko großer Marktmacht in den Händen einzelner Akteure. [EuKom21d, S. 240]
Als Nachteil eines Upstream-Systems gilt der geringe Einfluss der Zertifikatspflichtigen auf Minderungsmaßnahmen der in der Wertschöpfungsstufe nachfolgenden Akteure [PWC02, S. 30]. Zwar schafft die Umlage/Weitergabe der (Zertifikats-)Preise an die Emittenten (ähnlich wie bei einer CO2-Steuer) grundsätzlich Anreize zur Emissionsreduktion. Zu beachten ist aber, dass Konsumenten nicht durchgehend auf Preissteigerungen reagieren. [Deu02, S. 46] Dennoch kann die Festlegung einer ambitionierten Gesamtemissionsmenge im Cap-and-Trade-System die ökologische Treffsicherheit garantieren.
Der ab dem Jahr 2027 für die Sektoren Verkehr und Gebäude geplante Europäische Emissionshandel verfolgt einen Upstream-Ansatz und verpflichtet die Inverkehrbringer fossiler Kraft- und Heizstoffe zum Emissionshandel. [UBA23h; Held22, S.227] Ebenso verfolgt der 2021 in Deutschland eingeführte nationale Emissionshandel für die Sektoren Verkehr und Gebäude einen Upstream-Ansatz. [UBA23h; Held22, S.227]
Kombination verschiedener Ansätze
Abgesehen von einer Exklusiventscheidung zugunsten eines Upstream- oder Downstream-Ansatzes ist eine Kombination der beiden Ansätze denkbar. Danach könnten Sektoren mit vielen kleinen Emittenten (wie der Verkehrssektor) in einem Upstream-Emissionshandelssystem erfasst werden, während große Anlagen (wie solche der Energiewirtschaft) durch einen Downstream-Emissionshandel einbezogen werden. [BT18, S. 23] In der Konzeption eines derart hybriden Systems müsste besonderes Augenmerk auf die Vermeidung von Schlupflöchern gelegt werden. Solche können auftreten, wenn ein Kraftstoff in einem anderen Sektor eingesetzt wird als am Anfang der Handelskette (upstream) intendiert. Auch müssen Doppelzählungen vermieden werden. Eine Doppelzählung kann auftreten, falls ein bereits upstream mit einem CO2-Preis versehener Kraftstoff am Ende der Handelskette (downstream) in einer Anlage Verwendung findet, die erneut ein Zertifikat erwerben muss. [EuKom21d, S. 261, 264]
Ansprechpartner
IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
Literatur
[Agor19a] Felix Chr. Matthes Ein Emissionshandelssystem für die nicht vom EU ETS erfassten Bereiche, 2022/09
[BT18] Deutscher Bundestag (Hrsg.) Nationale bzw. EU-weite Einbeziehung weiterer Sektoren in das Europäische Emissionshandelssystem , 2018/03/28
[Deu02] Deuber, Odette Einbeziehung des motorisierten Individualverkehrs in ein deutsches CO2-Emissionshandelssystem, 2002
[EuKom21d] Europäische Kommission (Hrsg.) Possible extension of the EU Emissions Trading System (ETS) to cover emissions from the use of fossil fuels in particular in the road transport and the buildings sector, 2021
[Held22] Christian Held, Victoria Harsch, Simon Schäfer-Stradowsky, Jonathan Metz, Greta Reeh, Alexander Dietzel, Fanny Knoll Energierecht und Energiewirklichkeit - Ein Handbuch für Ausbildung und Praxis nicht nur für Juristen, 2022, ISBN/ISSN 978-3-933283-01-6
[Herm14] Hauke Hermann, Johanna Cludius, Dr. Hannah Förster, Dr. Felix Christian Matthes, Dr. Katja Schumacher, Dr. Georg Buchholz, Dr. Markus Behnisch, Johann Berman, Vicki Duscha, Hans Marth Ausweitung des Emissionshandels auf Kleinemittenten im Gebäude- und Verkehrssektor - Gestaltung und Konzepte für einen Policy mix, veröffentlicht in CLIMATE CHANGE, Ausgabe/Auflage 03/2014, 2014/03
[PWC02] Hohenstein, Christine; , Pelchen, Dr. Arthur; , Wieler, Barbara Zertifikatehandel im Verkehrsbereich als Instrument zur CO2-Reduzierung, 2002/11
[ScPe99] Petersen, Rudolf, Prof. Dr., Schallaböck, Karl Otto, Dr. Countdown für den Klimaschutz. Wohin steuert der Verkehr?, Wuppertal, 1999/07
[StBL02] Stronzik, Markus , Bühler, Georg , Lamprecht, Udo Ansatzpunkte für einen Emissionshandel im Verkehrssektor, veröffentlicht in Zeitschrift für Energiewirtschaft - ZfE, Ausgabe/Auflage Nr. 3, Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH / Wiesbaden, 2002/03
[UBA21q] Umweltbundesamt (Hrsg.) Einführung eines Emissionshandelssystems für Gebäude und Straßenverkehr in der EU , 2021/09/01
[UBA23h] DEHSt - Nationalen Emissionshandel verstehen, 2023/02/22
Glossar
EU-Emissionshandelssystem Das EU-Emissionshandelssystem (EU ETS) ist ein 2003 vom Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament beschlossenes marktwirtschaftliches Instrument, die im Kyoto-Protokoll gesetzten Klimaschutzziele zu erreichen. Anlagenbetreiber (zur Zeit sind etwa 11.000 Fabriken und Kraftwerke erfasst) müssen bei Überschreiten der ihnen fest vorgegebenen Emissionsberechtigungen Strafen bezahlen (100 Euro pro Tonne CO2), sofern keine Zertifikate zur Tilgung vorgelegt werden können. Diese Zertifikate vergeben solche Betreiber, die die o.g. Grenzwerte unterschritten haben. Die Nachweispflicht liegt in jedem Fall bei dem Anlagenbetreiber.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?333586

Gedruckt am Samstag, 20. April 2024 13:38:32