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Das Roadtrain Fahrzeugkonzept

Erstellt am: 24.02.2005 | Stand des Wissens: 23.12.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig

Die Geschwindigkeit schwerer Nutzfahrzeuge ist in Deutschland gesetzlich auf 80 Kilometer pro Stunde begrenzt. Auf Autobahnen mit hohen Verkehrsdichten entstehen aufgrund von spurwechselnden Nutzfahrzeugen häufig lokale Verkehrsbehinderungen, sodass insgesamt die Durchschnittsgeschwindigkeit und der mögliche Durchsatz (Verkehrsstärke) mit steigendem Lkw-Anteil sinkt. Nach Untersuchungen des Instituts für Kraftfahrwesen (ika) der RWTH Aachen könnte eine Steigerung der zulässigen Lkw-Geschwindigkeit zu einer Erhöhung des Verkehrsdurchsatzes und zu einer Reduzierung der Staugefahr führen. Alternative Strategien bestehen in der Erhöhung der Nutzlast und des Transportvolumens je Fahrzeug [SaLa01].

In Untersuchungen des ika wurde festgestellt, dass mit der heutigen Fahrzeugtechnologie übliche Lastzüge mit Auflieger, an denen über ein spezielles Mittelglied ("Dolly") ein weiterer Auflieger gekoppelt wird, mit Tempo 100 betrieben werden könnten [SaLa01]. Die Bezeichnung "Roadtrain-Konzept" wurde aus Australien übernommen. Die dort eingesetzten Lastzugkombinationen (Roadtrains) dürfen auf öffentlichen Straßen ein maximales Gesamtgewicht von bis zu 149 Tonnen haben, bis zu 53,5 Meter lang sein und mit bis zu 100 Kilometer pro Stunde verkehren (zum Teil abweichende Bestimmungen in den verschiedenen Bundesstaaten) [TOA21].

Abb. 1: Prinzipielle Darstellung eines Roadtrains für europäische Fernstraßen [NeWa03]
(Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)

Mit dem vom ika vorgeschlagenen 31 Meter langen und bis zu 56 Tonnen schweren "Roadtrains" wäre es möglich, gegenüber einem herkömmlichen Lastzug rund die doppelte Menge zu befördern [SaLa01].

Untersuchungen mit Hilfe eines Simulationsprogramms haben gezeigt, dass durch eine Erhöhung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit für alle Nutzfahrzeuge von 80 Kilometer pro Stunde auf 100 Kilometer pro Stunde der Durchsatz [Kraftfahrzeuge pro Stunde] erhöht werden würde. Auf einem zweispurigen Autobahnabschnitt mit einem Lkw-Anteil von 25 Prozent und einer mittleren Verkehrsbelastung konnte eine Steigerung der Durchschnittsgeschwindigkeit um rund 10 Prozent, bei einer hohen Verkehrsstärke sogar um rund 14 Prozent gemessen werden [NeWa03].
Weitere Vorteile für den Einsatz von "Roadtrains" liegen in einem verringerten Kraftstoffverbrauch, geringeren Personalkosten und der Einsparung einer aufwendigen Zugmaschine. Dem stehen zulassungsrechtliche Fragen (zum Beispiel Länge, Gesamtgewicht) sowie Sicherheitsbedenken (Probleme beim Einfädeln an Knotenpunkten aufgrund der Überlänge, Unfallschwere) gegenüber. Darüber hinaus wird vermehrt infrage gestellt, inwiefern die Infrastruktur und insbesondere die Brückenbauwerke in Deutschland für den Einsatz von schwereren als den derzeit zugelassenen Lkw geeignet sind. Die Erhöhung des zulässigen Gewichtes könnte zusätzlich eine Konkurrenz zur Schiene und zum Binnenschiff bestärken, da diese Verkehrsträger vermehrt schwere Güter transportieren. Zudem gilt der schwerere Lkw in der deutschen Öffentlichkeit als emotional eher negativ besetzt  [BASt16, S.17].
Nach aktueller Rechtslage ist das vorgestellte Roadtrain-Konzept in Deutschland nicht erlaubt, da unter anderem die Gesamtmasse von maximal 40 Tonnen beziehungsweise 44 Tonnen im Kombinierten Verkehr weit überschritten würde. Ob sich hier in Zukunft neue Entwicklungen ergeben, ist derzeit nicht absehbar [BMVI21j].
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Lastzugkombinationen im Straßengüterverkehr (Stand des Wissens: 23.12.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?221041
Literatur
[BASt16] Irzik, Marco , Kranz, Thomas , Bühne, Jan-André, Glaeser, Klaus-Peter, Limbeck, Sigrid , Gail, Jost , Bartolomaeus, Wolfram , Wolf, Andreas , Sistenich, Christof, Kaundinya, Ingo , Jungfeld, Ilja, Ellmers, Uwe , Kübler, Janine, Holte, Hardy , Kaschner, Rolf Feldversuch mit Lang-Lkw, 2016/11
[BMVI21j] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.) Lang-Lkw: Streckennetz erweitert
10. Änderungsverordnung zum Lang-Lkw in Kraft, 2021
[NeWa03] Neunzig, D., Wallentowitz, H., Großpietsch, R. Roadtrains für Europa - wie werden sie möglich?, veröffentlicht in Vortrag VDI-Gesamtverkehrsforum, Braunschweig, 9.-10.10.2003, 2003/10
[SaLa01] Sandkühler, D. , Laumanns, M. , Laummans, N. Roadtrain-Konzept für den europäischen Güterverkehr, veröffentlicht in 6. Internationale VDI-Fachtagung Nutzfahrzeuge, Neu-Ulm, 06. 2001, k.A., 2001/06
Weiterführende Literatur
[Binn05] Binnenbruck, Horst Hermann, Dipl.-Volksw. Niederländische Initiative eines Modellversuchs mit 60 t-Lkw, veröffentlicht in Internationales Verkehrswesen , Ausgabe/Auflage Nr. 11 (Nov. 2005), Deutscher Verkehrs-Verlag GmbH Postfach 101609 20010 Hamburg , 2005/11
[Sand98] Sandkühler, D. Simulationstechnische Untersuchung des Fahrverhaltens von mehrgliedrigen Roadtrain-Sattelzügen, 1998
[TOA21] Transport Operations (Road Use Management) Act 1995
Glossar
Lkw Lastkraftwagen (Lkw) sind Kraftfahrzeuge, die laut Richtlinie 1997/27/EG überwiegend oder sogar ausschließlich für die Beförderung von Gütern und Waren bestimmt sind. Oftmals handelt es sich dabei um Fahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse zwischen 3,5 und 12 Tonnen. In Einzelfällen kann die zulässige Gesamtmasse diese Werte jedoch auch unter- beziehungsweise überschreiten, sofern das Kriterium der Güterbeförderung gegeben ist. Lastkraftwagen können auch einen Anhänger ziehen.
Roadtrain Der Begriff Roadtrain stammt aus Australien. Dort werden Trucks ab einer Länge von 27,5 m als Roadtrains bezeichnet, die speziell gekennzeichnet werden müssen. Sie haben ein maximales Gesamtgewicht von bis zu 149 t und sind bis zu 53,5 m lang (entspricht der 3-fachen Länge der deutschen Bestimmungen).
Verkehrsstärke
Die Verkehrsstärke ist eine Kennzahl für die Stärke eines Verkehrsstroms an einem Querschnitt, gemessen in der Anzahl der Verkehrseinheiten, die diese Stelle pro Zeiteinheit passieren. Man spricht in diesem Zusammenhang von Streckenbelastung, wenn sich die Quantifizierung des Verkehrsstroms alternativ auf einen betrachteten Streckenabschnitt und nicht auf einen Querschnitt bezieht.
Verkehrsstärke = Verkehrseinheiten am Querschnitt / Bezugsperiode
Gebräuchliche Einheiten für die Verkehrsstärke sind z. B. Fahrzeuge [Fzg] pro Tag [24h] oder Stunde [h] (z. B. durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke, kurz DTV [Fzg/24h])
Kombinierter Verkehr
Intermodaler Verkehr, bei dem der überwiegende Teil der in Europa zurückgelegten Strecke mit der Eisenbahn, dem Binnen- oder Seeschiff bewältigt und der Vor- und Nachlauf auf der Straße so kurz wie möglich gehalten wird.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?132876

Gedruckt am Donnerstag, 25. April 2024 06:31:31