Bedeutende Einflussfaktoren für die Konkurrenzfähigkeit des Schienengüterverkehrs im intermodalen Wettbewerb
Erstellt am: 13.09.2002 | Stand des Wissens: 17.06.2020
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Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn
Die sich im letzten Jahrzehnt regressiv verändernde Marktposition europäischer Bahnen im intermodalen Wettbewerb ist das Resultat auf Veränderungen insbesondere folgender Rahmenbedingungen des Schienengüterverkehrs (SGV):
- Wettbewerbsbedingungen im Vergleich zu den konkurrierenden Verkehrsträgern
- Liberalisierung des Verkehrssektors
- Güterstruktureffekt
- Logistikeffekt
Nachfolgend sollen die von diesen Determinanten ausgehenden Effekte auf die Konkurrenzfähigkeit schienengebundener Warentransportdienstleistungen näher erläutert werden.
Verkehrsträgerspezifische Wettbewerbsbedingungen
Im Wettbewerb mit den übrigen Verkehrsträgern hat sich die Position des europäischen SGV bis Anfang dieses Jahrtausends kontinuierlich verschlechtert. Während das Schienennetz in den vergangenen Jahrzehnten reduziert wurde, profitierte der Hauptkonkurrent Straßenverkehr von einem erheblichen Infrastrukturausbau. Europaweit existiert darüber hinaus kein kohärentes und umfassendes intermodales System für die Erhebung von Infrastrukturnutzungsentgelten (Trassenentgelten), welche im Falle des SGV einen Anteil von bis zu 30 Prozent an den Produktionskosten einnehmen [HiSc02, S. 48; HoL05, S. 19]. Die Eisenbahn wird somit im Vergleich zum Güterkraftverkehr und zur Binnenschifffahrt [mutmaßlich] stärker durch Infrastrukturkosten belastet.
Ferner ergeben sich für den schienengebundenen Warentransport gegenüber intermodalen Wettbewerbern systemische Nachteile. So ist die Notwendigkeit zur detaillierten Fahrplangestaltung mit einer eingeschränkten zeitlichen Flexibilität der Beförderungsangebote verbunden. Auch die den Bahnbetrieb kennzeichnenden hohen Sicherheitsstandards erweisen sich als bedeutendes Wettbewerbshindernis. Während beispielsweise entsprechende Sicherheitsvorkehrungen auf der Schiene nahezu lückenlosen Kontrollen unterliegen, wird die Einhaltung von Lenkzeiten- und Sozialvorschriften im Straßengüterverkehr nicht vollumfänglich sondern nur stichprobenartig überprüft.
Zahlreiche technische und organisatorische Inkompatibilitäten, welche aus der historisch bedingten nationalen Marktabschottung im Eisenbahnsektor resultieren, führen darüber hinaus im grenzüberschreitenden Transport zu bedeutenden Wettbewerbsnachteilen gegenüber anderen Verkehrsträgern. So sind internationale Güterbeförderungsleistungen im EU-Binnenraum auf der Straße sowie den Binnengewässern prinzipiell mit keinerlei Grenzaufenthaltszeiten verbunden, während Maßnahmen zur Überbrückung der oben genannten Hemmnisse (wie beispielsweise Triebfahrzeugwechsel, Einsatz von Mehrsystemlokomotiven, Umspuranlagen und Anderen) beim SGV sowohl höhere Transportkosten als auch längere Beförderungszeiten nach sich ziehen. Aufgrund des mit einer entsprechenden Harmonisierung verbundenen Investitionsbedarfs wird diese für das System Bahn unvorteilhafte Situation nur langfristig behoben werden können. [Ross11c, S. 18 f.]
Hinsichtlich des Marktliberalisierungsprozesses wird dem straßengebundenen Warentransport gegenüber SGV-Angeboten ein zeitlicher Vorsprung zuteil [Puls14, S. 36 ff.]. Resultierend hieraus hat sich im Güterkraftverkehr ein ausgeprägter intramodaler Wettbewerb entwickelt, welcher wiederum einen deutlichen Rückgang der Frachtsätze nach sich zog. Auch das Binnenschifffahrtsgewerbe weist aufgrund hohen Konkurrenzdrucks ein vergleichsweise niedriges Transportpreisniveau auf [MONO07, S. 7, 42]. Im Falle der Eisenbahn zeichnen sich dagegen unterschiedliche Liberalisierungsgeschwindigkeiten und demzufolge nationale Differenzen in der Streckennetzzugänglichkeit sowie der damit einhergehenden Wettbewerbsintensität ab (vergleiche hierzu zum Beispiel [Lenn09a, S. 37 ff.]). Sich hierin widerspiegelnde mangelnde Marktwirtschaftsstrukturen wirken sich negativ auf die intermodale Konkurrenzfähigkeit des Gesamtsystems Bahn aus. Trotz der durch die Europäische Kommission initiierten, im Jahr 2007 vollständig umgesetzten Liberalisierung des SGV-Markts bleiben beispielsweise aufgrund gegenwärtiger Trassenvergabemodalitäten und einem beschränkten Zugang zu Netznebenleistungen Diskriminierungspotentiale bestehen (vergleiche hierzu [VoRu08, S. 45 f.]), welche den ehemals als Monopolisten agierenden Staatsbahnen Instrumente zur weitreichenden Konservierung ihrer Marktmacht eröffnen. Zudem wird ein Markteintritt trotz der Liberalisierungsversuche - vor allem für mittelständische Unternehmen - durch administrative Hürden erschwert. [BAG08a, S. 27 f.]
Ein weiterer Grund für den beobachteten Bedeutungsrückgang des SGV liegt in der nicht ausreichend schnellen Anpassung der Produktionsstrukturen der Bahnen an die neuen Transporterfordernisse, die aus dem sog. Güterstruktureffekt resultieren. Die Beförderung von bahnaffinen Massengütern hatte den Schienenverkehr einst zu großer Bedeutung geführt. In diesem Sektor kann der Schienenverkehr seine Stärken in der Massenleistungsfähigkeit, der Schnelligkeit, Planbarkeit und Pünktlichkeit von Direktzügen und niedrigen Produktionskosten voll ausspielen. Während das Massengutaufkommen jedoch einen stetigen Rückgang aufweist, nehmen Stückgutverkehre in den meisten Industrieländern eine immer größere Rolle ein (Abbildung 1). Die mit kleinen und hochwertigen Sendungen verbundenen Transportanforderungen vermögen Eisenbahnverkehrsunternehmen, unter anderem aufgrund der kostenbedingten Notwendigkeit des Zusammenschlusses mehrerer Einzelwagen zu einem Zug und der mangelnden Beförderungsgeschwindigkeiten im Einzelwagenverkehr, häufig nur in begrenztem Umfang zu erfüllen. Im durch hohe Wachstumsraten geprägten Stückgut-Markt kann die Schiene, ebenso wie das Binnenschiff, ihren Hauptsystemvorteil der Massenleistungsfähigkeit nicht ausspielen. Im Gegensatz dazu ist hier der Güterkraftverkehr - aufgrund seines feinmaschigen Wegenetzes - zu einer zeitlich ausgesprochen flexiblen Flächenbedienung in der Lage [Aber09, S. 585; KiSc08a; Bern01, S. 73 f.; ifmo10b, S. 73 und 112 ff.].
Verstärkt wird der Güterstruktureffekt durch den Logistikeffekt. Begründet durch den Trend zu einer Konzentration auf Kernkompetenzen lagern Unternehmen unter Ausnutzung standortspezifischer Vorteile vermehrt eigene Leistungsbestandteile aus. Zur effizienten Verzahnung der Produktionsprozesse ist nicht mehr die reine Transportleistung zwischen den Standorten gefragt. Stattdessen umfasst eine hochwertige logistische Dienstleistung auch den Umschlag, die Lagerung, Sendungsverfolgung etc. Systemmerkmale wie Spur- und Fahrplanbindung sowie die derzeitigen Produktionsverfahren erschweren der Eisenbahn dabei die Erlangung von Wettbewerbsvorteilen gegenüber Straßengüterverkehrsangeboten [Aber09, S. 94 f.]. In der Automobilbranche ist es den Bahnen jedoch gegen den Trend gelungen, sich als Logistikdienstleister zu positionieren.
Ein weiterer Aspekt des Logistikeffekts ist die zunehmende Internationalisierung der Produktions- und Logistikkonzepte, welche bei einer relativen Abnahme des Güterverkehrsaufkommens zu einem Anstieg der Tonnenkilometer, dem Gütermengeneffekt führt. Die Interoperabilitätsprobleme der Schiene im grenzüberschreitenden Verkehr führen hierbei zu einem weiteren Nachteil im intermodalen Wettbewerb [KiSc08a, S. 14]. Demgegenüber erweist sich beschriebener Logistikeffekt im Hinblick auf das Konkurrenzverhältnis zwischen schienengebundenen Beförderungsleistungen und der Binnenschifffahrt als weniger bedeutsam, da auch letztgenanntes Verkehrsmittel im direkten Vergleich zu Straßentransporten geringere logistische Leistungspotentiale birgt [DBT02, S. 139]. Speziell die im Zuge dargestellter Entwicklung wachsende Relevanz der Faktoren Transportzuverlässigkeit und Netzbildungsfähigkeit sowie der steigende Anteil zeitsensibler Beförderungsnachfrage beeinträchtigen die Attraktivität von Binnenschifffahrtangeboten hierbei stärker als den SGV (vergleiche hierzu beispielsweise [Aber09, S. 259]).