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Fahrgemeinschaften und Gelegenheitsmitfahrten

Erstellt am: 05.05.2004 | Stand des Wissens: 07.02.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Als Fahrgemeinschaft wird eine Gruppe von zwei oder mehr Personen definiert, die sich für einen oder mehrere Fahrzwecke ein Auto teilt. Fahrgemeinschaften können außerhalb des Berufsverkehrs (sogenannte Gelegenheitsmitfahrten) oder im Berufsverkehr stattfinden.
Fahrgemeinschaften außerhalb des Berufsverkehrs lassen sich unterscheiden in
  • private Mitnahme im Einkaufs- und Freizeitverkehr [DHHK98],
  • vermittelte Mitfahrten im Fernreiseverkehr [DHHK98] und
  • unorganisiertes Mitfahren (Trampen).
Private Mitnahme im Einkaufs- und Freizeitverkehr wird in der Regel "innerhalb abgegrenzter sozialer Gruppen" [DHHK98, S. 48] (Nachbarschaft, Familie, Freunde) für Fahrten im Nahbereich praktiziert (Einkauf, Disco und andere) und häufiger in ähnlicher Besetzung durchgeführt. In vielen Fällen werden insbesondere Personen mitgenommen, die kein eigenes Auto besitzen oder schlecht an den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) angebunden sind. Bei Fahrten zur Disko ist die gemeinschaftliche Anreise bereits Teil des Events.
Vermittelte Mitfahrten im Fernreiseverkehr: Der Aufwand für eine Fahrtvermittlung wird in der Regel nur bei größeren Distanzen (also im Fernverkehr, das heißt gemäß [Mehl01a, S. 221] ist das eine Beförderung mit einer Fahrtweite über 50 Kilometer) in Kauf genommen. Die wesentliche Motivation hierfür sind die Kostenaspekte und die fehlende Pkw-Verfügbarkeit.
Die Vermittlung erfolgt heute im Regelfall über elektronische Mitfahrzentralen im Internet oder in sozialen Netzwerken. Vor allem in der Vergangenheit wurden die Fahrten auch über "schwarze Bretter" (Heimfahrten von Studierenden oder Ähnliches) oder über Telefon (zum Beispiel Mitfahrzentralen mit der bundeseinheitlichen Rufnummer) vermittelt.
Fahrgemeinschaften im Berufsverkehr: Laut [infas18] werden vier Prozent der Arbeitswege als "Pkw-Mitfahrer" und 59 Prozent der Arbeitswege als Fahrer durchgeführt [infas18, Tabelle W10.3]. Das Verhältnis von Mitfahrern zu Fahrer liegt bei etwa 1:15. Der durchschnittliche Besetzungsgrad im Berufsverkehr ist damit der niedrigste aller Fahrtzwecke und liegt bei rund 1,1 Personen pro Pkw (ungewichtet).
Wesentliche Auslöser für die Bildung von Fahrgemeinschaften im Berufsverkehr sind die Fahrtkosten. Dazu zählen zum einen die Kraftstoffpreise, welche nach einem starken Anstieg bis zum Jahr 2013 zwar wieder leicht gesunken sind, dennoch mit 1,58 Euro pro Liter (Benzin, 2020) weit teurer als zu Beginn des Jahrtausends liegen [BMDV22h, S. 309]. Für Berufspendler hat sich die Kostensituation zudem durch die Reduktion der Entfernungspauschale verschärft. So bekamen Pendler zunächst bis zehn Kilometer jeweils 36 Cent pro Kilometer und ab dem elften Kilometer 40 Cent angerechnet. Im Jahr 2004 wurde dieser Betrag schließlich einheitlich auf 30 Cent pro Kilometer gesetzt. Mit Beschluss des Klimapaketes wurde im Jahr 2019 bekanntgegeben, dass die Entfernungspauschale über fünf Jahre von 2021 bis 2026 sukzessive auf 35 Cent pro Kilometer steigen soll, wobei dies erst ab dem 21. Kilometer gilt [BMF19a]. Aufgrund des Energie-Entlastungspakets der Bundesregierung gilt rückwirkend zum 1.1.2022 eine Pauschale von 38 Cent ab dem 21. Kilometer. Geringverdienende können auf Antrag statt der Entfernungspauschale auch eine Mobilitätsprämie erhalten.
Mittlerweile gibt es mehrere Anbieter für die Organisation von Mitfahrgelegenheiten und Fahrgemeinschaften. Dazu zählen unter anderen "fahrgemeinschaft.de" oder der französische Anbieter "BlaBlaCar". Die Verwaltung erfolgt hierbei über Online-Portale, wobei Fahrer eine Fahrt inserieren und Mitfahrer sich in diese dann eintragen. Vorreiter auf diesem Gebiet war "mitfahrgelegheiten.de". Dieses Portal wurde im Jahr 2001 als Studentenprojekt in München gestartet und wurde bis 2013 zum Marktführer in Europa. Erst durch die Einführung eines Bezahlsystems schauten sich Nutzer nach einer kostenlosen oder kostengünstigeren Alternative um. Das System wurde schließlich im Jahr 2015 von "BlaBlaCar" übernommen.
Doch auch und vor allem in Unternehmen eignen sich Mitfahrgelegenheiten und Fahrgemeinschaften sehr gut, um die Mitarbeiter zu ihrem Arbeitsplatz zu bringen. Neben den bereits genannten Portalen gibt es hier zum Beispiel auch das "pendlerportal.de", welches sich direkt an die Berufspendler richtet. Auch finden sich in diesem Segment Anbieter von Software, um solche Fahrgemeinschaften Unternehmensintern zu organisieren.
Zur Förderung von Fahrgemeinschaften in Deutschland wären unter dem Gesichtspunkt staatlicher Förderaktivität die folgenden Maßnahmen zu nennen: Einrichtung von Stellplätzen für Fahrgemeinschaften und Fahrspuren, Einbindung von Fahrgemeinschaften in Mobilitätsmanagement-Ansätze sowie Parkraumbewirtschaftungen [DHHK98, Schä02].
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Effizientere Formen der Autonutzung und Kollektivierung des MIV (Stand des Wissens: 07.02.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?303288
Literatur
[BMDV22h] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Verkehr in Zahlen 2022/2023, 2022/12/09
[BMF19a] Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.) Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung zur Umsetzung des Klimaschutzplans 2050, 2019/09/20
[DHHK98] H. Dürholt , R. Hamacher , H. Hautzinger , B. Krämer , L. Neumann , Th. Pischner , B. Schaaf Strategien zur Erhöhung des Besetzungsgrades im Pkw-Verkehr, Heilbronn, 1998/06
[infas18] DLR - Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Institut für Verkehrsforschung, infas 360 GmbH, infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft , IVT Research GmbH Mobilität in Deutschland 2017 - Tabellenband, 2018/12
[Mehl01a] Mehlhorn, G. Verkehr Straße, Schiene, Luft, veröffentlicht in Ingenieurbau, Ernst & Sohn, 2001, ISBN/ISSN 3-433-01576-7
[Schä02] Schäfer, Marco Fahrgemeinschaften im Berufsverkehr - in Deutschland auch in Zukunft nur die Nische in der Nische?, veröffentlicht in Planungsrundschau, Ausgabe/Auflage Ausgabe 05, Cottbus , 2002
Weiterführende Literatur
[StSt06] Strauß, Christoph, Stegmüller, Susanne Internetbasierte Mitfahrzentralen - Sozial-ökologischer Baustein eines modernen Verkehrssystems?, veröffentlicht in Internationales Verkehrswesen, Ausgabe/Auflage 09, 2006/09
[BITKOM11] Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. Millionen Deutsche bilden Fahrgemeinschaften per Internet, Berlin, 2011/12/16
[infas10] DLR - Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Institut für Verkehrsforschung, infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft Mobilität in Deutschland 2008 (MiD 2008) , 2010/02
[UBA20d] Heinitz, Prof. Dr. Florian Potenziale und Hemmnisse für Pkw-Fahrgemeinschaften in Deutschland, Ausgabe/Auflage Texte | 216/2020, 2020/11, ISBN/ISSN 1862-4804
Glossar
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.
Besetzungsgrad Unter Besetzungsgrad wird die Auslastung von Verkehrsmitteln verstanden. Im Öffentlichen Personennahverkehr entspricht das Platzangebot dabei i. d. R. der Summe aus den Sitzplätzen und 4 Plätzen je m² Stehfläche. Der Besetzungsgrad wird hierbei in % angegeben. Er liegt im Durchschnitt bei rd. 20 % und erreicht in der Spitze Werte zwischen 80 und 100 %. Vor allem bei besonderen Veranstaltungen kann der Besetzungsgrad im ÖPNV auch über 100 % betragen. In Analogie hierzu wird auch im Individualverkehr oft dieser Begriff verwendet; damit sind jedoch häufig die Anzahl der (durchschnittlich) im Auto befindlichen Personen gemeint (z. B. 1,2 Personen) und nicht die Platzauslastung. Zum Teil wird daher auch der Begriff "Besetzungszahl" verwendet. Der Quotient aus der Summe der Personenfahrten im Pkw und der Anzahl der Pkw-Fahrten wird auch als "ungewichteter Besetzungsgrad" bezeichnet. Daneben gibt es den seltener verwendeten "gewichteten Besetzungsgrad", der die Fahrtlängen berücksichtigt. Da mit zunehmender Fahrtlänge die Besetzung höher ist, liegt der gewichtete Besetzungsgrad um ca. 0,1 höher als der ungewichtete.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?85241

Gedruckt am Donnerstag, 18. April 2024 02:44:55