Forschungsinformationssystem des BMVI

zurück Zur Startseite FIS

Straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung

Erstellt am: 28.04.2004 | Stand des Wissens: 13.09.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Neben baulichen Maßnahmen bietet vor allem die Straßenverkehrsordnung [StVO] Möglichkeiten zur Anordnung geschwindigkeitsdämpfender und verkehrsbeschränkender Maßnahmen. Bei diesen Maßnahmen handelt es sich zumeist um Ver- oder Gebote. Das Ziel besteht vordergründig darin, Kfz-Verkehr zu vermeiden, zu verlagern, verträglich zu gestalten und Angebote für den nichtmotorisierten Verkehr zu schaffen.
Durch die [StVO] können folgende straßenverkehrsrechtliche Verkehrsberuhigungsmaßnahmen umgesetzt werden [Kord05]:
  • (Zonen-) Geschwindigkeitsbegrenzungen,
  • Vorfahrtsregelungen,
  • Zufahrtsbeschränkungen,
  • Fußgängerzonen,
  • Verkehrsberuhigte (Geschäfts-) Bereiche,
  • Radwege, Fahrrad- und Öffentliche Personennahverkehrs (ÖPNV)-Straßen sowie
  • Umweltzonen.
Zum Zweck der erleichterten Umsetzung von Tempo-30-Zonen in den Städten und Gemeinden wurde in der Vergangenheit die Straßenverkehrsordnung [StVO] novelliert. Hauptmerkmal der Neufassung war der Verzicht auf die Formulierung einer Maximalgröße von Zonen. Ferner sind flankierende bauliche Maßnahmen nicht mehr zwingend.
Die Änderung der Vorfahrtsregelungen, meist durch "Rechts-vor-Links" zwingt den Fahrzeugführer bei jeder Abzweigung zu besonderer Vorsicht. Dies trägt zur Dämpfung der Geschwindigkeit und einer vorsichtigen Fahrweise bei [TCS02].
Punktuelle Geschwindigkeitsbegrenzungen werden meist an Stellen eingesetzt, wo bereits umgesetzte (bauliche) Gestaltungsmaßnahmen nicht zu der gewünschten Reduzierung der Kfz-Geschwindigkeit geführt haben [TCS02]. Die Ausweisung von Zonengeschwindigkeitsbeschränkungen wie beispielsweise "Tempo-30-Zonen" wurden bislang für geschlossene Stadtgebiete in der Regel Wohnquartiere, die von "Vorbehaltsstraßen" umgeben sind, angeordnet [SCHNA11, S. 510].
In der im Jahr 2016 vom Umweltbundesamt veröffentlichten Meta-Studie zu den Wirkungen von Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen [UBA16j], wird festgestellt, dass Tempo 30 auch an Hauptverkehrsstraßen positive Wirkungen auf Lärm- und Schadstoffbelastung sowie Verkehrssicherheit zeigt, ohne die Leistungsfähigkeit des Verkehrsnetzes einzuschränken. Daher sprechen sich mittlerweile mehr als 800 Städte und Kommunen dafür aus, die StVO erneut so umzuformulieren, dass Städte und Kommunen Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen auch ohne ausführliche Begrünungen anordnen können (vgl. lebenswerte-städte.de).
Durchgangs- oder Schleichverkehre, die sich durch eine Geschwindigkeitsdämpfung nur marginal begrenzen lassen, können wirksam durch die Beschränkung von Abbiegemöglichkeiten, Einbahnstraßen, Sackgassen, zeitliche Einschränkung zur Nutzung der Straßen (Nachtfahrverbot für Lkw) oder Einfahrverbote für bestimmte Fahrzeugarten reduziert werden. Dadurch können mit einfachen Mitteln direkte Verbindungsmöglichkeiten beschränkt oder unterbrochen werden [TCS02; Kord05].
Um den speziellen Belangen des Nichtmotorisieren Verkehrs, besonders dem Fußgängerverkehr in zentralen städtischen Bereichen, gerecht zu werden, können Bereiche eingerichtet werden, die diesem vorbehalten sind. Ferner ist die Anordnung verkehrsberuhigter Bereiche ein häufig angewandtes Mittel zur Geschwindigkeitsdämpfung und zur straßenräumlichen Aufwertung insbesondere in Straßen mit nahezu ausschließlicher Aufenthalts- und Erschließungsfunktion. Mit diesen Maßnahmen soll unter anderem eine Wohnumfeldverbesserung (Lärm, Abgase, Flächenbedarf usw.) und eine Förderung des Nichtmotorisierten Verkehrs in besonders schützenswerten Gebieten erreicht werden [SCHNA11, S. 508].
Durch die Anlage von Fahrradstraßen oder ÖPNV-Straßen soll die Attraktivität dieser Verkehrsmittel gesteigert und so auch eine Reduzierung des Kfz-Verkehrs erreicht werden.
Umweltzonen werden in Ballungsräumen auf der Grundlage von Immissionsmessungen und Luftreinhalteplänen eingerichtet, um die Feinstaubbelastung durch den Kfz-Verkehr zu reduzieren.
Bei der Ausweisung straßenverkehrsrechtlicher Verkehrsberuhigungsmaßnahmen ist es wichtig, die Folgen für alle Betroffenen sorgfältig abzuwägen. Es muss beispielsweise sichergestellt werden, dass die erschließungsrechtlich zu gewährende Erreichbarkeit einzelner Grundstücke oder Straßenzüge für Lieferfahrzeuge, Besucher usw. erhalten bleibt. Zudem darf der Gemeingebrauch der Straße nicht unverhältnismäßig eingeschränkt werden. Weiterhin muss gewährleistet sein, dass die Erreichbarkeit für Notdienste direkt, sinnfällig und ohne Zeitverlust gewährleistet ist. Ebenso sind die Belange des ÖPNV bei der Planung und Umsetzung von straßenverkehrsrechtlichen Verkehrsberuhigungsmaßnahmen zu beachten [Kord05; TCS02].
Soll mit den Maßnahmen der Gebrauch bzw. die Widmung des Verkehrsraumes verändert werden, sind hierfür wegerechtliche (Ent-)Widmungsverfahren durchzuführen, in denen alle Belange abzuwägen sind.
Um die angestrebten Wirkungen der straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen zu erzielen, müssen diese oft von baulichen Verkehrsberuhigungsmaßnahmen unterstützt werden [TCS02].
In den Niederlanden und in der Schweiz wurden unabhängig voneinander in den 2000ern die beiden Gestaltungsphilosophien des Shared Space und der Begegnungszone rechtlich verankert. Der Ansatz des Shared Space-Gedankens beruht auf der Idee, die Interaktion zwischen den Verkehrsteilnehmenden - insbesondere zwischen dem Kraftfahrzeugverkehr und den nicht-motorisierten Verkehrsteilnehmenden - weitestgehend ohne Verkehrsregelung umzusetzen. Gegenwärtig ist aus straßenverkehrsrechtlicher Sicht eine solche "regelfreie" Umsetzung in der Bundesrepublik Deutschland jedoch nicht möglich [FGSV14].
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung (Stand des Wissens: 13.09.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?343762
Literatur
[FGSV14] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. , Baier, Reinhold, Eilrich, Wolfgang, Gerlach, Jürgen, et al. Hinweise zu Straßenräumen mit besonderem Querungsbedarf - Anwendungsmöglichkeiten des "Shared Space"-Gedankens, veröffentlicht in Wissensdokumente (W 1), Ausgabe/Auflage FGSV 200/1, FGSV Verlag / Köln, 2014/06, ISBN/ISSN 978-3-86446-081-4
[Kord05] Korda, Martin Städtebau: Technische Grundlagen, Teubner Verlag / Wiesbaden, 2005/05, ISBN/ISSN 3-519-45001-1
[SCHNA11] Schnabel, W., Knote, T., Korn, J., Lätzsch, L. Grundlagen der Straßenverkehrstechnik und der Verkehrsplanung - Band 1 Straßenverkehrstechnik, Ausgabe/Auflage 3., vollständig überarbeitete Auflage, 2011 Beuth Verlag GmbH Berlin-Wien-Zürich Kirschbaum Verlag GmbH, Bonn, 2011, ISBN/ISSN 978-3-410-17271-0 oder 978-3-7812-1815-4
[TCS02] touring club schweiz (tcs) Sicherheit in den Quartieren Eine Informationsschrift über Strassengestaltung und Verkehrsmassnahmen, Ausgabe/Auflage 1. Auflage, Vernier, Schweiz, 2002
[UBA16j] Heinrichs, Eckhardt, Scharbarth, Frank, Sommer, Karsten Wirkungen von Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen, 2016, ISBN/ISSN 2363-832X
Rechtsvorschriften
[StVO] Straßenverkehrs-Ordnung (StVO)
Glossar
Lkw Lastkraftwagen (Lkw) sind Kraftfahrzeuge, die laut Richtlinie 1997/27/EG überwiegend oder sogar ausschließlich für die Beförderung von Gütern und Waren bestimmt sind. Oftmals handelt es sich dabei um Fahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse zwischen 3,5 und 12 Tonnen. In Einzelfällen kann die zulässige Gesamtmasse diese Werte jedoch auch unter- beziehungsweise überschreiten, sofern das Kriterium der Güterbeförderung gegeben ist. Lastkraftwagen können auch einen Anhänger ziehen.
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.
StVO Die Straßenverkehrsordnung  legt Regeln für sämtliche Straßenverkehrsteilnehmer fest und bildet somit eine Rechtsverordnung der Bundesrepublik Deutschland.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?83625

Gedruckt am Freitag, 29. März 2024 15:34:45