Tunnel als besondere Gefahrenpunkte im Schienenverkehr
Erstellt am: 28.11.2003 | Stand des Wissens: 23.02.2017
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Prinzipiell besteht für Reisende und Personal in Eisenbahntunneln ein geringeres Unfallrisiko als auf dem sonstigen Schienennetz. Grund hierfür ist das Fehlen einiger potenzieller Unfallquellen wie beispielsweise Konflikte mit anderen Verkehrsträgern (Bahnübergang), Personenunfälle beim Überschreiten von Gleisen oder Rangieraktivitäten. Auch sind in der Bundesrepublik Deutschland bei zweigleisigen Tunneln fahrplanmäßige Begegnungen zwischen Reise- und Güterzügen nicht zugelassen. Untersuchungen in der Schweiz ergaben, dass in Tunneln pro Streckenkilometer durchschnittlich viermal weniger tödliche Unfälle auftreten als auf freier Strecke [Zube03a, S. 26; BAV01].
Katastrophenpotenzial und Sicherheitskonzepte
Trotz dieser positiven Risikobilanz stellen Tunnel besondere Gefahrenpunkte innerhalb des Systems Bahn dar. Neben der für Hilfskräfte generell erschwerten Zugänglichkeit zu einer etwaigen Unfallstelle begünstigt die geschlossene Tunnellage eine starke Hitze- und Rauchentwicklung im Brandfall, weshalb insbesondere sog. "heiße Ereignisse" (Feuer, Explosionen mit Brand, Freisetzung von gefährlichem Gasen oder Rauch) wesentlich schwerere Auswirkungen nach sich ziehen als auf freier Strecke [DBAG03p, S.6]. Der geringen Ereigniseintrittswahrscheinlichkeit steht somit ein deutlich gesteigertes Schadensausmaß gegenüber, welches im Unglücksfall entsprechend hohes Katastrophenpotenzial birgt.
Bezug nehmend auf die am 20.12.2007 seitens der EU-Kommision verabschiedete Technische Spezifikation für die Interoperabilität (TSI) "Sicherheit in Eisenbahntunneln (Safety in Railway Tunnels, SRT)" [2008/163/EG] umfasst die Vorgehensweise zur Erhöhung der Sicherheit in Tunneln vier aufeinander folgende Ebenen:
Katastrophenpotenzial und Sicherheitskonzepte
Trotz dieser positiven Risikobilanz stellen Tunnel besondere Gefahrenpunkte innerhalb des Systems Bahn dar. Neben der für Hilfskräfte generell erschwerten Zugänglichkeit zu einer etwaigen Unfallstelle begünstigt die geschlossene Tunnellage eine starke Hitze- und Rauchentwicklung im Brandfall, weshalb insbesondere sog. "heiße Ereignisse" (Feuer, Explosionen mit Brand, Freisetzung von gefährlichem Gasen oder Rauch) wesentlich schwerere Auswirkungen nach sich ziehen als auf freier Strecke [DBAG03p, S.6]. Der geringen Ereigniseintrittswahrscheinlichkeit steht somit ein deutlich gesteigertes Schadensausmaß gegenüber, welches im Unglücksfall entsprechend hohes Katastrophenpotenzial birgt.
Bezug nehmend auf die am 20.12.2007 seitens der EU-Kommision verabschiedete Technische Spezifikation für die Interoperabilität (TSI) "Sicherheit in Eisenbahntunneln (Safety in Railway Tunnels, SRT)" [2008/163/EG] umfasst die Vorgehensweise zur Erhöhung der Sicherheit in Tunneln vier aufeinander folgende Ebenen:

Hierbei leisten vorbeugende Maßnahmen, durch welche die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Unglücks weitestmöglich reduziert werden soll, den größten Sicherheitsbeitrag. Vorkehrungen zur Ausmaßminderung von Unfallereignisfolgen bilden hierauf aufbauend die zweitwichtigste Handlungsebene. Mittels Evakuierungs- sowie Rettungskonzepten kann darüber hinaus das verbleibende Restrisiko weiter reduziert werden. Während dabei die Evakuierung bauliche und organisatorische Maßnahmen umfasst, welche Aktivitäten des Zugpersonals und der Reisenden zur Selbstrettung unterstützen, wird unter dem Aspekt der Rettung das Vorgehen zur Fremdrettung betroffener Personen durch Feuerwehr und andere Hilfskräfte verstanden. Auch diese Sicherheitsebene kann mit Hilfe baulicher Einrichtungen gefördert werden (vgl. Abb. 1.).
Trotz prinzipiell einheitlicher Funktionsebenen ergeben sich jedoch in Abhängigkeit der jeweiligen Tunnellänge unterschiedliche Anforderungen an die konkrete Ausgestaltung des Sicherheitskonzeptes. So setzen bspw. sehr lange Tunnel (gem. [EBA08, S. 6] Bauwerke mit einer Länge von über 20 km Länge) eine gesonderte Sicherheitsuntersuchung voraus, da in diesem Fall geltende brandschutztechnische Vorgaben für Reisezugwagen, welche unter Vollbrandbedingungen eine Lauffähigkeit des Rollmaterials bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h über 15 Minuten gewährleisten sollen, nicht hinreichend sind, um das entsprechende Bauwerk vollständig zu durchfahren [DBAG03p]. Erläuterungen verschiedener Sicherheitskonzepte anhand von Beispielen finden sich bei [Krus02], [Brux02] und [VeKa00].
Rechtliche Grundlagen und Verantwortlichkeiten der Gefahrenabwehr
Mit dem Inkrafttreten des Eisenbahnneuordnungsgesetzes [ENeuOG] im Jahre 1994 ist die gesetzliche Verantwortung zur Gefahrenabwehr von den Rechtsvorgängern der Deutschen Bahn AG auf die Bundesländer übergegangen und wird dort durch kommunale Brandschutzstellen wahrgenommen [Bieg09; Vogt04]. Gemäß §4 Absatz 1 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) sind Eisenbahnunternehmen allerdings dazu verpflichtet, "an Maßnahmen des Brandschutzes und der Technischen Hilfeleistung mitzuwirken" [AEG]. Im Zuge einer vertraglichen Vereinbarung mit den Innenministern der Bundesländer wurden 1998 die hieraus für die DB AG erwachsenden Pflichten konkretisiert, zu deren Erfüllung das Eisenbahnunternehmen ein eigenes Notfallmanagement betreibt. Speziell für Unglückssituationen in Tunneln beinhaltet dieses Maßnahmenpaket u. a. eine Vorhaltung besonderer Rettungssysteme, welche die DB AG, wie im Falle von Notfallzügen, entweder selbst betreibt oder örtlichen Feuerwehrkräften zur Verfügung stellt. (In diesem Zusammenhang sei bspw. auf Zweiwege-Löschfahrzeuge verwiesen [DBAG09b, S. 26 ff.].)
Bauliche, technische, betriebliche und organisatorische Vorgaben zur Gewährleistung des Brand- und Katastrophenschutzes in Eisenbahntunneln finden sich u. a. in folgenden gesetzlichen Regelwerken:
Die Technische Spezifikation für die Interoperabilität bezüglich "Sicherheit in Eisenbahntunneln" im konventionellen transeuropäischen Eisenbahnsystem und im transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsbahnsystem (TSI SRT, Richtlinie der EU-Kommision) [2008/163/EG] ist maßgebend für alle Tunnelneubauten auf den TEN-Korridoren und umfasst neben dem Bereich der Infrastruktur auch Maßnahmenpakete für die Teilsysteme "Energie", "Zugsteuerung, Zugsicherung und Signalgebung", "Fahrzeuge" sowie "Verkehrsbetrieb und Verkehrssteuerung". Mit Hilfe der hierin definierten Vorgaben soll "auf wirtschaftliche Weise ein optimales Sicherheitsniveau in Tunneln ermöglicht" und eine länderübergreifende Harmonisierung entsprechender Sicherheitsbedingungen herbeigeführt werden [2008/163/EG, S. 10]. Dabei zielen die vorgeschriebenen Maßnahmen darauf ab, eine effektive Reaktion auf "Heiße Ereignisse" (s. o.), "Kalte Ereignisse" (Zusammenstoß, Entgleisung) sowie längere Halte in Tunneln, welche ein unkontrolliertes Verlassen des Zuges seitens der Fahrgäste nach sich ziehen können, sicherzustellen. Die TSI SRT wurde am 20. Dezember 2007 durch die EU-Kommission verabschiedet und trat zum 1. Juli des Folgejahres in Kraft. Die Spezifikation wurde 2011 mit dem Beschluss der TSI "Lokomotiven und Personenwagen" geringfügig modifiziert [2011/291/EU].
Im Rahmen der Anforderungen des Brand- und Katastrophenschutzes an den Bau und Betrieb von Eisenbahntunneln ("Tunnelrichtlinie", Richtlinie des Eisenbahn-Bundesamtes) werden "Art und Umfang der baulichen und betrieblichen Sicherheitsmaßnahmen, die nach dem Stand der Technik notwendig sind, um in Eisenbahntunneln die Selbstrettung der Reisenden und des Eisenbahnpersonals, sowie den Einsatz der Rettungsdienste zu ermöglichen" dargestellt [EBA08, S. 4]. Grundsätzlich genießen bereits existierende Tunnel Bestandschutz, sodass sie von den Regelungen dieser Richtlinie nicht betroffen sind. Neben deren verbindlichen Charakter für sämtliche neue Bauwerke von mehr als 500 m Länge (ausgenommen sind lediglich Stadtschnellbahntunnel) ist jedoch im Falle einer umfassenden Erneuerung bestehender Tunnel zu prüfen, inwiefern die beschriebenen Maßnahmen unter Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Verhältnismäßigkeit auch auf ältere Bauwerke Anwendung zu finden haben. Die ursprüngliche Fassung der EBA-Tunnelrichtlinie fand zum 01.07.1997 Anwendung; in Folge der nationalen Einführung o. g. TSI SRT besitzt seit dem 01.07.2008 eine aktualisierte Version Gültigkeit.
Tunnelbestand und Sanierungstätigkeiten
Die DB Netz AG verfügt gegenwärtig über 798 Tunnel mit einer Gesamtlänge von knapp 515 km [DBAG2010, S. 20]. Etwa 60 Prozent dieses Bestandes stammen aus der Zeit zwischen 1837 und 1940 [Simo04, S. 56]. Im Rahmen eines durch Bundesmittel finanzierten Programms zur Nachrüstung bestehender Fernverkehrsbauwerke von mehr als 1.000 m Länge wurden bzw. werden die Sicherheitseinrichtungen von 22 Altnetz- sowie 49 Schnellfahrstreckentunneln unter Berücksichtigung der technischen und wirtschaftlichen Verhältnismäßigkeit an die Tunnelrichtlinie des Eisenbahn-Bundesamtes angeglichen. Entsprechende Maßnahme umfassen dabei bspw. das Anbringen von Fluchtwegkennzeichnungen, eine Installation von Energieversorgungseinrichtungen, Löschwasserleitungen und Sicherheitsbeleuchtungssystemen sowie das Anlegen von Rettungsplätzen und Zufahrten [DBAG09b; BMVBS09b, S. 8].