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Radverkehrsführung außerorts

Erstellt am: 26.09.2003 | Stand des Wissens: 04.03.2021
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Bezüglich der Führung des Radverkehrs auf Außerortsstraßen sind besondere Anforderungen an die Planung geknüpft, da eine große Geschwindigkeitsdifferenz zwischen den Verkehrsteilnehmern (Rad und Pkw, aber auch Rad und Fußgänger, falls vorhanden) herrscht. Je nach Führungsform kann es auch zu geringen Abständen bei Überholvorgängen kommen. Zwar geschehen nur knapp zehn Prozent der Unfälle mit verunglückten Radfahrern außerorts, jedoch ist das Potential für schwere Unfälle an Außerortsstraßen für Radfahrer deutlich höher als innerorts [STBU17e, S. 13]. Daher ist es besonders wichtig, diese Netzteile bei der Planung der Radverkehrsinfrastruktur nicht zu vernachlässigen.
Radverkehrsanlagen entlang von Straßenverkehrsanlagen im Außerortsbereich (in der Regel gemeinsame Geh- und Radwege) haben in den vergangenen Jahrzehnten erheblich zugenommen. So verlaufen inzwischen etwa 19.000 Kilometer Radverkehrsinfrastruktur an Bundesstraßen sowie an Landesstraßen rund 25.000 Kilometer und an Kreisstraßen rund 16.000 Kilometer [BMVBS12q, S. 22]. Im Bundesdurchschnitt sind rund 40 Kilometer der Bundesstraßen, etwa 25 Prozent der Landesstraßen und rund 16 Prozent der Kreisstraßen mit Radverkehrsanlagen ausgestattet. In der Abbildung 1 sind diese Anteile nach Bundesländern aufgeschlüsselt.

58000_Radverkehrsanlagen_ausserorts.pngAbbildung 1: Anteil der mit Radverkehrsanlagen ausgestatteten Bundes- Landes- und Kreisstraßen (nach Bundesländern) [BMVI14u, S. 21]
Es ist in der Abbildung 1 zu erkennen, dass es regionale Schwankungen betreffend der Radverkehrsinfrastruktur gibt, zu erklären ist das unter anderem mit der vorherrschenden Topographie selbstständige Radwege sind in der Grafik nicht berücksichtigt.
Außerhalb geschlossener Ortschaften sollte das Radewegenetz in wesentlichen Teilen abseits der Straßenverbindungen angeordnet sein, was insbesondere dem Freizeitverkehr und dem Tourismus entgegenkommt. Dabei sind die Belange des Natur- und Landschaftsschutzes analog zu den einschlägigen Vorschriften zu berücksichtigen [ERA10].
Außerorts muss von einem größeren Raumanspruch seitens der Radfahrer ausgegangen werden, da hier häufig in Gruppen und mit Gepäck gefahren wird. Bei der Netzplanung sollten landwirtschaftliche Wege auch unter Inkaufnahme kleinerer Umwege bevorzugt werden. Gegebenenfalls sind diese Wege mit Wegweisern auszustatten und fahrradgerecht auszubauen. Sind derartige Wegeverbindungen nicht existent oder entstehen durch sie größere Umwege, so sind die Radverkehrsanlagen entlang der Straßen zu errichten. Die Wahl der Radverkehrsführung kann dabei den Empfehlungen für Radverkehrsanlagen [ERA10] entnommen werden. Diese richtet sich bei "[...] Neu-, Um- und Ausbau von Landstraßen [nach] deren Entwurfsklasse (EKL) nach den RAL [...]" [ERA10, S. 66]. Die Führung des Radverkehrs auf Schutzstreifen (auch Angebotsstreifen genannt) im Außerortsbereich wird aktuell im Rahmen des Modellversuches "Modellversuch zur Abmarkierung von Schutzstreifen Außerorts und zur Untersuchung der Auswirkungen auf die Sicherheit und die Attraktivität im Radverkehrsnetz" als Teil des "Nationalen Radverkehrsplans 2020 - Den Radverkehr gemeinsam weiterentwickeln" untersucht und wissenschaftlich begleitet. Der Schlussbericht dieser Untersuchung liegt bereits dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur vor, ist aber noch nicht vollständig geprüft [BMVI16o].
Generell kann in verschiedene Arten der Radverkehrsführung außerorts unterschieden werden.
Seiten- oder Radfahrstreifen sind ausschließlich bei vorhandenen Straßen mit entsprechender Breite sinnvoll. Da Seitenstreifen außerorts unerlaubterweise von Lkw mitbenutzt werden, stellen sie keine dauerhafte Lösung dar. Werden sie dennoch realisiert, so sollte der Seitenstreifen entweder auf einer Seite durch eine Schutzplanke oder durch einen Pflanzstreifen in einen gegenüber der Fahrbahn gesicherten Zweirichtungsradweg oder in Radfahrstreifen auf beiden Seiten der Fahrbahn von rund 1,60 Meter Breite umgewandelt werden [ERA10].
Einseitig angeordnete gemeinsame Geh- und Radwege sollten außerorts eine Breite von 2,50 Meter aufweisen. Werden Gehwege in diesen Bereichen höher frequentiert, sollten die Rad- und Gehwege jeweils 2,00 Meter breit sein. Entstehen Radwege nicht zeitgleich entlang der Straßen, sind die einzelnen Abschnitte zunächst dort umzusetzen, wo die Gefährdungen am größten sind. Außerorts sind Radwege mit ausreichender Beleuchtung auszustatten. Dies dient insbesondere der sozialen Kontrolle und an Knotenpunkten der Sicherheit [ERA10].
Ein zusätzliches Angebot auf Straßen bieten land- und forstwirtschaftliche Wege. Eingeschränkt wird die Nutzung derartiger Wege durch mangelnde Beleuchtung und die daraus resultierende unzureichende soziale Kontrolle. Der Einbezug dieser Wege setzt deren ganzjährige Befahrbarkeit voraus. Ferner ist eine flächendeckende Wegweisung notwendig. Werden diese Wege stärker frequentiert, so ist eine Oberfläche aus Asphalt sinnvoll. Für Radfahrer freigegebene land- und forstwirtschaftliche Wege sind durch die Schilder 260 StVO [StVO] ("Verbot für Krafträder und Kraftwagen" mit den Zusatzschildern "Landwirtschaftlicher bzw. forstwirtschaftlicher Verkehr frei") und 250 StVO [StVO] ("Verbot für Fahrzeuge aller Art" mit den Zusatzschildern "Landwirtschaftlicher bzw. forstwirtschaftlicher Verkehr frei" und "Radfahrer (Sinnbild) frei") zu kennzeichnen.
Besonderes Augenmerk ist auf die Radverkehrsführung an Knotenpunkten zu legen, da außerhalb bebauter Gebiete in der Regel höhere Geschwindigkeiten des Motorisierten Individualverkehrs (MIV) auftreten. Zumeist handelt es sich in diesen Bereichen um einseitig angeordnete, gemeinsam mit dem Fußverkehr genutzte Radwege. Daher sind Begreifbarkeit, gute Sichtverhältnisse und eine eindeutige Führung besonders wichtig. Handelt es sich um einen Knotenpunkt, an dem die Vorfahrt durch Verkehrszeichen geregelt ist, sollte die Radverkehrsführung entlang der Vorfahrtstraße verlaufen. Prinzipiell sollte das indirekte Linksabbiegen ermöglicht werden. Für Radfahrer als besonders gefährlich haben sich Rechtsabbiegespuren für schnelles Abbiegen mit Dreiecksinseln herausgestellt die Furt sollte nach den Richtlinien für die Anlage von Landstraßen (RAL) angepasst und je nach Vorfahrtssituation eingefärbt, beziehungsweise nicht eingefärbt werden [RAL11, S. 79 f., DIFU12a]. Die Rotfärbung der Furt verdeutlicht dabei die Wartepflicht der Kraftfahrzeuge [ERA10].
Kraftfahrzeuge müssen außerdem laut der StVO-Novelle im Jahr 2020 einen Mindestabstand von 2,00 Meter auch gegenüber den Radfahrenden beim Überholen einhalten. Davor wurde nur ein "ausreichender Sicherheitsabstand" vorgeschrieben [Bmvi20f]. 
Werden Knotenpunkte mit Lichtsignalanlagen geregelt, sind an Straßen mit gleichzeitiger Geh- und Radwegeführung gemeinsame Signalgeber für Fußgänger und Radfahrer vorzusehen. Seitenstreifen an Knotenpunkten sollten rechtzeitig vor Beginn der Abbiegestreifen in Radfahrstreifen (die eine Roteinfärbung mit Piktogrammen aufweisen sollten) überführt werden [ERA10].
In den Niederlanden werden bereits neue Ansätze verfolgt, wie außerorts mit dem Radverkehr umgegangen wird. Straßen sind aufgrund der vielen Gewässer und der häufigen Dammlage nur sehr aufwendig für Radfahrer zu verbreitern. Somit werden Elemente der Geschwindigkeitsdämpfung, die sonst innerorts eingesetzt werden, auch außerorts erprobt: schmale Querschnitte, Zonierung der Fahrbahn mit verschiedenartigen Belägen, Plateaus, relativ kleine Straßenwegweiser [DIFU12a].

Radwege außerorts sicher und attraktiv zu gestalten ist zunächst eine Frage der guten Planung. Dabei muss auf die Bedürfnisse des Radverkehrs eingegangen werden und mitunter nach neuen Lösungen und Konzepten gesucht werden, wie es in den Niederlanden zu sehen ist. Den Radverkehr außerorts zu benachteiligen, wäre eine Mobilitätseinschränkung für alle Nichtnutzer des Kfz in strukturschwachen Regionen mit wenig öffentlichen Verkehrsangeboten vor allem Kinder und Jugendliche, aber auch Ältere sind dabei zu nennen. Die Verkehrssicherheit spielt hier eine besondere Rolle.
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Radverkehrsanlagen (Stand des Wissens: 05.12.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?300774
Literatur
[BMVBS12q] Bundesministerium für Digitales und Verkehr Nationaler Radverkehrsplan 2020, Berlin, 2012/10
[BMVI14u] Bundesministerium für Digitales und Verkehr Radverkehr in Deutschland. Zahlen, Daten, Fakten., 2014/08, ISBN/ISSN 978-­3­88118­-533­-2
[BMVI16o] Bundesministerium für Digitales und Verkehr Ergebnis des Modellversuchs "Fahrradschutzstreifen außerorts" - Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, 2016/06/17
[Bmvi20f] Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) (Hrsg.) Wir machen den Straßenverkehr noch sicherer, klimafreundlicher und gerechter, 2020
[DIFU12a] Deutsches Institut für Urbanistik Forschung Radverkehr. Radverkehrsanlagen außerorts., 2012/08
[ERA10] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA), FGSV Verlag 2010, 2010, ISBN/ISSN 978-3-941790-63-6
[RAL11] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. Richtlinien für die Anlage von Landstraßen (RAL), Köln, 2011
[STBU17e] Statistisches Bundesamt (Hrsg.) Verkehrsunfälle. Kraftrad- und Fahrradunfälle im Straßenverkehr. 2016, 2017/08/24
Weiterführende Literatur
[BMVI23a] Einladende Radverkehrsnetze, 2023/04
[BMVBW98h] o.A. Erster Bericht der Bundesregierung über die Situation des Fahrradverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 1998/03
[Bmvi21ad] Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Sinus - Markt- und Sozialforschung GmbH (Hrsg.) Fahrrad-Monitor Deutschland 2021, 2021/11/21
[HBS01] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen, Ausgabe/Auflage FGSV-Nr. 299, Fassung 2015, FGSV Verlag GmbH, Köln, 2001, ISBN/ISSN 978-3-941790-35-3
[FGSV05a] Angenendt, Wilhelm, Dipl.-Ing. Hinweise zur Signalisierung des Radverkehrs - HSRa, 2005, ISBN/ISSN ISBN 3-937356-68-1
[TUD2011] Technische Universität Dresden, Fakultät Verkehrswissenschaften "Friedrich List", Schiller, C. (Projektleiter), Zimmermann, F., Bohle, W. (Bearbeiter) Hochrechnungsmodell von Stichprobenzählungen für den Radverkehr - Abschlussbericht, Dresden, 2011/10/31
[Brach02] Bracher, Tilman , Haase, Michael Radverkehrsplanung für Alltagsverkehr und Tourismus außerhalb städtischer Gebiete, veröffentlicht in Straßenverkehrstechnik, Ausgabe/Auflage 5, 2002
[BaSt05g] Angenendt, W., Blase, A., Klöckner, D., et al. Verbesserung der Radverkehrsführung an Knoten, Wirtschaftsverlag NW / Bremerhaven, 2005, ISBN/ISSN 3-86509-322-1
[StVO] Straßenverkehrs-Ordnung (StVO)
Glossar
Lkw Lastkraftwagen (Lkw) sind Kraftfahrzeuge, die laut Richtlinie 1997/27/EG überwiegend oder sogar ausschließlich für die Beförderung von Gütern und Waren bestimmt sind. Oftmals handelt es sich dabei um Fahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse zwischen 3,5 und 12 Tonnen. In Einzelfällen kann die zulässige Gesamtmasse diese Werte jedoch auch unter- beziehungsweise überschreiten, sofern das Kriterium der Güterbeförderung gegeben ist. Lastkraftwagen können auch einen Anhänger ziehen.
Knotenpunkt
Ein Knotenpunkt im Verkehr ist ein Ort, bei dem sich mehrere Verkehrswege gleicher Art kreuzen oder ein Verkehrsweg in einen Verkehrsweg gleicher Art einmündet. In einem Verkehrsknotenpunkt befinden sich mehrere Verkehrsknoten von Verkehrswegen unterschiedlicher Art in unmittelbarer Nähe. In einem Verknüpfungspunkt kann der Übergang zwischen Fahrzeugen eines Verkehrssystems oder zweier verschiedener Verkehrssysteme erfolgen.
Motorisierter Individualverkehr Als motorisierter Individualverkehr (MIV) wird die Nutzung von Pkw und Krafträdern im Personenverkehr bezeichnet. Der MIV, als eine Art des Individualverkehrs (IV), eignet sich besonders für größere Distanzen und alle Arten von Quelle-Ziel-Beziehungen, da dieser zeitlich als auch räumlich eine hohe Verfügbarkeit aufweist. Verkehrsmittel des MIV werden von einer einzelnen Person oder einem beschränkten Personenkreis eingesetzt. Der Nutzer ist bezüglich der Bestimmung von Fahrweg, Ziel und Zeit frei (örtliche, zeitliche Ungebundenheit des MIV).
StVO Die Straßenverkehrsordnung  legt Regeln für sämtliche Straßenverkehrsteilnehmer fest und bildet somit eine Rechtsverordnung der Bundesrepublik Deutschland.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?58000

Gedruckt am Dienstag, 16. April 2024 08:10:25