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Attraktivitätsmerkmale von Radverkehrsanlagen

Erstellt am: 25.09.2003 | Stand des Wissens: 05.12.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Die Attraktivität des Radverkehrs zu erhalten und zu steigern, ist im Hinblick auf die städtische Verkehrsplanung und deren Leitkonzepte von großer Bedeutung [UBA11b]. Dabei bilden verschiedene Merkmale von Radverkehrsanlagen die Attraktivität des gesamten Radwegenetzes.
Die Vermeidung von Umwegen stellt für Radfahrer den dominierenden Faktor der Routenwahl dar. Eine umwegarme Verbindung beschreibt aus Sicht der Radfahrer eine attraktive Verbindung. Dabei wählen viele Radfahrer eine für sie aus subjektiven Gründen unattraktivere Radwegeverbindung, wenn diese direkter zum Ziel führt. Auf dem Weg zur Arbeit werden dabei öfter Umwege in Kauf genommen als im Ausbildungsverkehr. Ferner werden auf kürzeren Wege eher Umwege akzeptiert als auf längeren [Bast98c]. In der Netzplanung des Radverkehrs wird darauf geachtet, ein möglichst komplexes Radwegenetz zu stellen und Lücken zu schließen. Dabei werden den Radwegen je nach Verbindungsfunktion und Lage im Netz verschiedene Netzkategorien und Qualitätsstandards zugeordnet [ERA10].
Die Verkehrssicherheit ist ebenfalls von zentraler Bedeutung. Streckenabschnitte, deren Merkmale das Gefühl subjektiver Sicherheit beeinträchtigen, werden in starkem Maße als unattraktiv bewertet. Das Gefühl der subjektiven Sicherheit wird durch die Existenz und Gestaltung von Radverkehrsanlagen sowie durch die Nähe des fließenden Kraftfahrzeugverkehrs geprägt. Die Abwicklung des Radverkehrs im Mischverkehr wird subjektiv als unsicherer bewertet als die separate Radwegeführung, wobei Radfahrstreifen eine schlechtere Bewertung erfahren als Radwege. Außerdem empfinden Radfahrer in verkehrsberuhigten Bereichen eine größere Sicherheit als auf Hauptverkehrsstraßen [Bast98c].
Ebenfalls spielt die soziale Sicherheit, insbesondere für weibliche Radfahrer, bei der Routenwahl eine große Rolle. Die soziale Unsicherheit bezieht sich auf die Einrichtung und Gestaltung der bebauten Umwelt sowie die des Lebensmilieus und wird als eine Verminderung der Lebens- und Wohnqualität erfahren. Sogenannte "Angsträume" können Gewerbegebiete, Wohngebiete mit vom Straßenraum abgewandter Bebauung und Eingängen, Grünanlagen, Parkplätze, Bahnhöfe sowie Unterführungen und schlecht beleuchtete Räume generell sein. Somit ist besonders nachts eine ausreichende Beleuchtung wichtig [Bast98c]. Freie Sichtbeziehungen tragen ebenso zur Vermeidung von Angsträumen bei.
Ein Attraktiveren der Anlagen findet auch durch objektiv sichere Radwege statt: generell sollten Führungsformen mit geringem Unfallrisiko gewählt werden, eine gute Erkennbarkeit, Begreifbarkeit und Akzeptanz herrschen sowie bauliche Ausführungen mit geringem Sturz- und Gefährdungsrisiko gewählt werden (beispielsweise griffige Materialien, was auch zum Fahrkomfort beiträgt) [ERA10, S. 15, Bast98c].
Für eine gute Qualität des Verkehrsablaufes sollte auf die unterschiedlichen Geschwindigkeitsniveaus der Radfahrer eingegangen werden (Überholmöglichkeiten), der erforderliche Kraftaufwand minimiert und Zeitverluste vermieden werden (zum Beispiel bei Ampelschaltungen) [ERA10, S. 15].
Außerdem sollten sichere Abstellmöglichkeiten für Fahrräder vorhanden sein. Besonders für Lastenfahrräder sind herkömmliche Fahrradständer meist unpraktisch, da diese zu wenig Platz für Lastenräder bieten und die großen Bügel zum Anschließen ungeeignet sind. Dementsprechend sind öffentliche Abstellmöglichkeiten mit angepassten Bügelsystemen und ausreichender Fläche wichtig, um die Nutzung von Lastenrädern attraktiver zu gestalten. Eine mögliche Beschilderung der Parkplätze ist durch die neue Beschilderungsmöglichkeit seit der StVO-Reform (2020) möglich [ADFC21].

Neben grundlegenden Entwurfsanforderungen haben auch gesundheitliche sowie gestalterische Merkmale der Radverkehrsanlagen Einfluss auf deren Attraktivität.
Lärm- und Abgasbelästigungen einer Straße bedeuten für Radfahrer eine Beeinträchtigung der Qualität des Radfahrens und stellen vielfach ein Grund zur Nutzung von Nebenstraßen dar. Mittelungspegeln von LAM= 50 Dezibel (dB(A)) werden von circa 25 Prozent als "wesentlich störend" empfunden. Bei LAM= 60 dB(A) fühlen sich bereits 50 Prozent der Bevölkerung wesentlich gestört. Radfahrer, die mit akzeptablen Umwegen verbundene Wege durch Grünzüge oder Parks als Alternative zu Hauptverkehrsstraßen wählen, nennen die fehlende Belastung durch Lärm und Abgas als eines der Hauptmotive [Bast98c].
Ebenfalls attraktivitätssteigernd kann das städtebauliche Umfeld sein, das bei anliegender Begrünung und attraktiv gestalteter Bebauung ein Argument für das Radfahren sein kann [Bast98c].
Mit dem Wissen, welche Merkmale den Radverkehr attraktiv machen und was einen attraktiven Radverkehr ausmacht, kann dieser aktiv gefördert werden. Die Gründe für eine Förderung sind vielfältig so wurden mit dem Nationalen Radverkehrsplan 2020, der 2013 in Kraft trat, Grundlagen für die Entwicklung des Radverkehrs der nächsten Jahre geschaffen [BMVBS12q].
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Radverkehrsanlagen (Stand des Wissens: 05.12.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?300774
Literatur
[ADFC21] ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) (Hrsg.) Erster Lastenradparkplatz in Sachsen, 2021/10/26
[Bast98c] Wolfgang Bohle , Elke Willhaus , et al., Alrutz, Dankmar, Dipl. Ing. Bewertung der Attraktivität von Radverkehrsanlagen, veröffentlicht in Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Ausgabe/Auflage Heft V 56, Wirtschaftsverlag NW Bergisch Gladbach/Bremerhaven, 1998/09/01, ISBN/ISSN 3-89701-232-4
[BMVBS12q] Bundesministerium für Digitales und Verkehr Nationaler Radverkehrsplan 2020, Berlin, 2012/10
[ERA10] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA), FGSV Verlag 2010, 2010, ISBN/ISSN 978-3-941790-63-6
[UBA11b] Beckmann, K., Gies, J., Preuß, T., Thiemann-Linden, J., Leitkonzept - Stadt und Region der kurzen Wege, 2011/08, ISBN/ISSN 1862-4804
Weiterführende Literatur
[ADFC16a] Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club (ADFC), ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) (Hrsg.) Fahrradland Deutschland. Jetzt!
, 2016
[ADFC18] Gründe für eine Radverkehrsförderung - Position des ADFC, 2018
[FGSV21c] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. , Arbeitsgruppe Straßenentwurf (Hrsg.) Hinweise zu Radschnellverbindungen und Radvorrangrouten, Ausgabe/Auflage 2021, 2021
[FGSV21b] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. (Hrsg.) Hinweise zur einheitlichen Bewertung von Radverkehrsanlagen, 2021
[TUD2011] Technische Universität Dresden, Fakultät Verkehrswissenschaften "Friedrich List", Schiller, C. (Projektleiter), Zimmermann, F., Bohle, W. (Bearbeiter) Hochrechnungsmodell von Stichprobenzählungen für den Radverkehr - Abschlussbericht, Dresden, 2011/10/31
[BSW20] Freie und Hansestadt Hamburg , Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW) (Hrsg.) Leitfaden Fahrradparken im Quartier: Empfehlungen für die Planung von Fahrradabstellanlagen auf privaten Flächen
, 2020/12
[ADFC18a] Radverkehr aussondiert - Position des ADFC, 2018
[GDV06] BSV Büro für Stadt- und Verkehrsplanung Dr.-Ing. Reinhold Baier GmbH, Grunow, Malte, Baier, Reinhold, Dr.-Ing., Schäfer, Karl Heinz Soziale Sicherheit im Straßenraum, Gesamtverband der Deutschen Versicherer Berlin, 2006, ISBN/ISSN 3-39163-05-8
Glossar
StVO Die Straßenverkehrsordnung  legt Regeln für sämtliche Straßenverkehrsteilnehmer fest und bildet somit eine Rechtsverordnung der Bundesrepublik Deutschland.
Mischbetrieb
Als Mischbetrieb (auch: Mischverkehr, gemischter Verkehr) wird der Betrieb mit unterschiedlichen Fahrzeugen auf demselben Fahrweg bzw. im selben Verkehrsraum bezeichnet. Beispielhaft kann hier die gemeinsamen Nutzung von Eisenbahnstrecken durch Reise- und Güterzüge oder auch des Straßenraums durch Straßenbahnen und Kfz genannt werden.
dB(A) Messgröße des A-bewerteten Schalldruckpegels zur Bestimmung von Geräuschpegeln. Die dB-Skala ist logarithmisch aufgebaut, d. h. eine Verdoppelung der Lärmintensität führt zu einer Erhöhung um 3 dB. Das menschliche Ohr empfindet eine Erhöhung um 10 dB als Verdoppelung der Lautstärke. Hierzu ist eine Schallintensitätsverzehnfachung erforderlich. Der Zusatz "(A)" gibt an, dass dem betreffenden Messergebnis die standardisierte A-Berwertungskurve zugrunde liegt. Sie berücksichtigt einen nichtlinearen frequenz- und pegelabhängigen Zusammenhang zwischen subjektiv wahrgenommenem Läutstärkepegel und vorliegendem Schalldruckpegel. So empfindet das menschliche Gehör bspw. mittlere Frequenzen im Vergleich zu niedrigen Frequenzgängen als wesentlich lauter, weshalb die Einheit dB(A) entsprechende Tonhöhen stärker gewichtet. Ein gesundes Ohr kann bereits einen Schalldruck von 0 dB (A) wahrnehmen (Hörschwelle), bei Werten über 120 dB (A) wird die Geräuschbelastung unerträglich laut (Schmerzgrenze). Eine Langzeiteinwirkung von über 85 dB(A) zieht u. U. dauerhafte Gehörschäden nach sich.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?57943

Gedruckt am Donnerstag, 28. März 2024 09:18:01