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Fußgänger- und Fahrradtourismus als Wirtschaftsfaktor

Erstellt am: 19.09.2003 | Stand des Wissens: 20.01.2024
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Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Der Radtourismus ist ein dynamisch wachsendes Urlaubssegment. Immer mehr touristische Regionen in Deutschland werben mit radtouristischen Leuchtturm-Projekten, also mit regionalen Radwegen, die in der Tourismusregion Sehenswürdigkeiten verbinden [BMWI09e]. Bei einem bundesweiten Vergleich ist Bayern die beliebteste Radreiseregion, gefolgt von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen [ADFC23].
Im Jahr 2022 betrug der Anteil derjenigen, die das Fahrrad für Ausflüge und Reisen benutzten, 68 Prozent. Dieser Anteil blieb im Vergleich zum Vorjahr konstant, zeigte jedoch im Vergleich zu 2019 (54,9 Prozent) eine signifikante Steigerung. Im Jahr 2022 unternahmen rund 38 Millionen Personen einen Tagesausflug mit dem Fahrrad, was einem Rückgang um 4 Millionen im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Gleichzeitig stiegen sowohl die Anzahl der Tagesausflüge pro Person als auch die zurückgelegte Streckenlänge [ADFC23].
Im gleichen Jahr unternahmen rund 4,6 Millionen Menschen eine Radreise mit mindestens einer Übernachtung. Die Gesamtzahl der Radreisenden steigt seit 2020 wieder konstant an, hat jedoch das Vor-Corona-Niveau von 2019 mit 5,4 Millionen Radreisenden noch nicht erreicht. Im Durchschnitt betrug die Anzahl der Übernachtungen für Streckentouren 7,6 Nächte und für Sterntouren 6,8 Nächte. Die meisten Radreisen sind Streckentouren (71,5 Prozent), bei der die Reisenden entlang einer Route in wechselnden Unterkünften übernachten. Dabei buchen mehr als die Hälfte aller Reisenden die Unterkunft spontan während der Reise. Die drei entscheidenden Motive für die Wahl einer Radreise als Urlaubsform sind, mehr von Land und Leuten zu entdecken, aktiv im Urlaub zu sein und die umweltfreundliche Reisemöglichkeit, die Radreisen bieten [ADFC23].
Digitale Innovationen und der technische Fortschritt spielen dabei eine immer größer werdende Rolle. Deutlich wird das an der dominierenden Quelle der Informationsbeschaffung, dem Internet und der steigenden Nutzung des Pedelecs bei Radreisen. Im Jahr 2022 nutzten etwa 84 Prozent der Radreisenden das Internet und 48 Prozent Apps für Informationen vor der Reise. Insbesondere Apps erlangen auch während der Radreise eine immer höhere Bedeutung. 38 Prozent der Personen nutzen bei Radreisen das Pedelec. Die meistgenannten Gründe sind dabei das Fahren längerer und anspruchsvollerer Strecken [ADFC23].
Das Radfahren wird immer beliebter [SWP15; BMWI09e; BMVBS12q, S. 40] und hat in Deutschland mittlerweile eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung erlangt. Der Umsatz des Fahrradtourismus verzeichnete in den vergangenen Jahren einen Anstieg und erreichte im Jahr 2022 einen Betrag von 16.380 Milliarden Euro. Ebenfalls steig die Zahl der Beschäftigten in diesem Sektor und belief sich im Jahr 2022 auf etwa 263.000 Personen [T323]. Radreisende, die übernachten haben im Jahr 2019 geschätzt durchschnittliche 70 bis 100 Euro pro Tag überwiegend für die Unterkunft und Gastronomie aus [BMVI21b].
Die vom Fahrradtourismus in Deutschland profitierenden Branchen können der Abbildung 1 entnommen werden.

Vom Fahrradtourismus in Deutschland profitierende BranchenAbbildung 1: Vom Fahrradtourismus in Deutschland profitierende Branchen [BMWI09e, S. 29, Abb. 6]
Am Beispiel Münsterland können die positiven wirtschaftlichen Effekte des Radtourismus veranschaulicht werden. Hier sind rund ein Drittel aller Übernachtungen, was circa 1 Million entspricht, radtouristisch bedingt. Hinzu kommen 12 Millionen Tagesausflüge mit dem Rad. Der radtouristische Primärumsatz beträgt in dieser Region insgesamt 289 Millionen Euro. Damit sichert der Bereich Tourismus etwa 5.000 bis 6.000 Arbeitsplätze und zieht Steuereinnahmen von circa 3 Millionen Euro nach sich [BMVBW02c]. Die Ausgaben der Radtouristen am Elberadweg betrugen von April bis Oktober 2012 90 Millionen Euro. Mit 72,88 Euro/Tag geben hier Radtouristen durchschnittlich mehr Geld aus als andere Touristen in der Region [BMVBW04g].

Das fahrradtouristische Angebot in Deutschland wurde in den vergangenen Jahren zunehmend weiterentwickelt. Nach [BMWI09e; BMVBS12q, S. 41]:
  • können im Bundesgebiet mehr als 200 überwiegend regionale touristische Radwege gezählt werden,
  • bilden die zwölf Radfernwege des "Radnetzes Deutschland" die fahrradtouristische Grundlage in Deutschland - diese sind in das europäische Radfernwegenetz (EuroVelo) eingebunden,
  • bildet das touristische Radwegenetz in Deutschland eine Gesamtlänge von rund 76.000 Kilometer (gesamte Radroutennetz in Deutschland: 150.000 Kilometer).
Der Radtourismus soll in strukturschwachen Regionen als wichtiger Teil der regionalen Wirtschaftsförderung und in Städten als zentrales Element eines nachhaltigen Städtetourismus weiter vorangebracht werden. Dafür soll die Radinfrastruktur ausgebaut und Radtourist*innen dazu motiviert werden, mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen. In Zukunft soll erreicht werden, dass das touristisches und Freizeitradfahren beliebter wird und der Anteil des Radtourismus am Deutschlandtourismus steigt. Auch im Ausland soll Deutschland noch stärker als attraktive Radtourismusdestination wahrgenommen werden, sodass sich die Anzahl der ausländischen Radreisenden deutlich erhöht [BMDV23h].
Auch der Fußgängerverkehr spielt im Bereich des Städte- sowie Wandertourismus eine wichtige Rolle. Der Städtetourismus ist mit einem jährlichen Bruttoumsatz von rund 79 Milliarden Euro (Zahl berücksichtigt alle Tagesreisenden mit inländischen Ziel) und 2,84 Milliarden Tagesreisen in deutschen Tourismusstädten ein sehr bedeutender Wirtschaftszweig [DTV17]. Der Städtetourismus steht mit dem Fußgängerverkehr in engem Zusammenhang. Der Fußgängerverkehr dient dabei nicht allein der Verbindung zwischen den Stationen der Besichtigung, sondern ist eine interessante Art, die Atmosphäre der Stadt, schöne Nischen, Straßen und Plätze sowie viele Details zu entdecken. Das Erleben einer Stadt kann durch die geringe Gehgeschwindigkeit (circa 1 m/s) und den urbanen Netzwerken und Wegen, auf dem es sich abspielt, sehr gut wahrgenommen werden [Höfl04].
Unter dem Begriff Wandern werden die Aktivitäten spazieren gehen, Pilgern, Trekking, (Nordic-) Walking, aber auch Klettern und Geocaching, zusammengefasst. Jährlich werden in Deutschland rund 8,7 Millionen reine Wanderurlauber und Urlauber, die im Urlaub gewandert sind, gezählt. Der Wandertourismus in Deutschland erzielt jährlich einen Bruttoumsatz von rund 7,5 Milliarden Euro. Somit zählt der Wandertourismus zu den umsatzstärksten Tourismusbereichen [DWV10a]. Im Jahr 2022 gehörte Wandern mit einem Anteil von 32 Prozent bei Urlaubsreisen in Deutschland zu den Top-Aktivitäten [DTV23].
Angesichts der positiven wirtschaftlichen Effekte muss es das Ziel von Tourismuspolitik und -verwaltung sein, den Fahrradtourismus sowie den Städte- und Wandertourismus durch einen Ausbau der Radfahrer- und Fußgängerinfrastrukturen weiter zu fördern. Sowohl die objektiven Angebotsvoraussetzungen als auch die nachfrageseitigen Prognosen lassen erwarten, dass dieser touristische Teilbereich nicht nur eine hervorragende Marktposition innehat, sondern dass dieses Segment auch geeignet ist, weiterhin in seiner Bedeutung zu wachsen [BMWI09e; DWV10a].
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Potenziale des Nichtmotorisierten Verkehrs (Stand des Wissens: 06.02.2021)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?493248
Literatur
[ADFC09] Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club (ADFC), Froitzheim, Thomas, Giebeler, Bertram, Die ADFC-Radreiseanalyse 2009 - 10. bundesweite Erhebung zum fahrradtouristischen Markt , 2009/03/12
[ADFC19a] Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club (ADFC) (Hrsg.) ADFC-Travelbike-Radreiseanalyse 2019, 2019/3/07
[ADFC23] ADFC-Radreiseanalyse für das Radreisejahr 2022. Ergebnisbericht, Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club e. V., Berlin , 2023/03
[BMDV23h] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Ergebnispapier: Radtourismus NRVP 3.0, 2023/02/20
[BMVBS12q] Bundesministerium für Digitales und Verkehr Nationaler Radverkehrsplan 2020, Berlin, 2012/10
[BMVBW02c] Bundesministerium für Digitales und Verkehr Nationaler Radverkehrsplan 2002-2012, 2002/04
[BMVBW04g] Thiemann-Linden, Jörg, Gwiasda, Peter, Miller, Gernot, Fromberg, Andrea Fahrradverkehr - Erfahrungen und Beispiele aus dem In- und Ausland, veröffentlicht in Schriftenreihe direkt, Ausgabe/Auflage 59, Wirtschaftsverlag NW, Verlag für neue Wissenschaft GmbH, Bremerhaven, 2004, ISBN/ISSN 3-86509-205-5
[BMVI21b] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Nationaler Radverkehrsplan 3.0, 2021/04/21
[BMWI09e] Deutscher Tourismusverband e.V. Grundlagenuntersuchung Fahrradtourismus in Deutschland Forschungsbericht Nr. 583, Berlin, 2009/09
[DTV17] Sarah Mempel, , Anita Wittke Wirtschaftsfaktor Tourismus, 2017/06
[DTV23] Deutscher Tourismusverband e.V. (Hrsg.) Zahlen Daten Fakten 2023 - Das Tourismusjahr 2022 im Rückblick, 2023
[DWV10a] Dicks, Ute, Neumeyer, Erik Zukunftsmarkt Wandern- Erste Untersuchungen der Grundlagenuntersuchung Freizeit- und Urlaubsmarkt Wandern, Ausgabe/Auflage 1. Auflage, Kassel, 2010/03, ISBN/ISSN 978-3-934580-091
[Höfl04] Höfler, Frank Verkehrswesen-Praxis, veröffentlicht in Bd. 1 Verkehrsplanung, Ausgabe/Auflage 1. Auflage, Bauwerk Verlag GmbH / Berlin, 2004, ISBN/ISSN 3-934369-52-9
[SWP15] Berger, Diana Radfahren wird immer beliebter, 2015/07/07
[T323] T3 Transportation Think Tank (Hrsg.) Branchenstudie zur Fahrradwirtschaft in Deutschland 2019-2022. Beschäftigung und Unternehmensumsätze, 2023
Weiterführende Literatur
[BTDrs14/3773] o.A. Bundestagsdrucksache 14/3773, 2000/07/04
[BTDrs14/6441] o.A. Bundestagsdrucksache 14/6441, Ausgabe/Auflage 14/6441, 2001
[DTV06] Habrich, Nicole, Hegemann, Iris Städte- und Kulturtourismus in Deutschland Grundlagenuntersuchung, Bonn, 2006/06
Glossar
Pedelec
Pedelec (Pedal Electric Cycle) ist ein Begriff für Elektrofahrräder, bei welchen der Fahrer vom Elektroantrieb unterstützt wird, wenn dieser in die Pedale tritt. Das Fahrrad kommt hierbei auf eine Leistung von bis zu 250 Watt, wodurch eine Geschwindigkeit von bis zu 25 Kilometer pro Stunde erreicht werden kann.
Laut § 1 Absatz 3 des Straßenverkehrsgesetztes (StVG) sind Pedelecs mit dieser Leistung einem Fahrrad rechtlich gleichgestellt.
Bei schnellen Pedelecs (S-Klasse) ist dies nicht der Fall. Diese zählen zu den Kleinkrafträdern und können bei einer maximal erlaubten Nenn-Dauerleistung von 500 Watt eine Geschwindigkeit von bis zu 45 Kilometern pro Stunde erreichen. Deshalb sind für diese eine Zulassung sowie ein Versicherungskennzeichen notwendig.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?57099

Gedruckt am Donnerstag, 28. März 2024 11:08:14