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Zuverlässigkeit des Personenverkehrsangebotes

Erstellt am: 26.11.2021 | Stand des Wissens: 17.01.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch

Die Zuverlässigkeit des Personenverkehrsangebotes stellt eine ganz wesentliche Voraussetzung dar, um die Verkehrsnachfrage privater Haushalte abwickeln zu können. Die Verkehrssysteme sollen auch im Krisenfall ihre Leistungsfähigkeit beibehalten und möglichst auch krisenbedingte Veränderungen der Verkehrsnachfrage bewältigen können. Krisen wirken sich in erster Linie auf die Verkehrsinfrastruktur aus. Dies gilt in besonderem Maße für durch den Klimawandel bedingte Phänomene, die in Häufigkeit, Intensität und Ausmaß in naher und ferner Zukunft zunehmen werden [BMVI20at, S. 22].

In Krisen können sich die Anteile von Wegzwecken verändern: Beispielsweise können Besorgungs- und Begleitwege wichtiger werden, während Freizeit- und Arbeitswege an Bedeutung verlieren. Auf Freizeit- und Arbeitswegen werden vergleichsweise größere Distanzen zurückgelegt als dies auf Besorgungswegen der Fall ist. [BMVI19bc, S.62] Daher gewinnt die Mobilität im Nahbereich im Vergleich mit der regionalen oder überregionalen Mobilität an Bedeutung. Dies hat wiederum Auswirkungen auf die benutzten Verkehrsmittel. Die innerstädtische Verkehrsnachfrage wird überwiegend über das Straßennetz abgewickelt, sei es zu Fuß, mit dem Fahrrad, dem Pkw oder dem Bus; in einigen Städten kommen auch Straßenbahnen oder U- und S-Bahnen hinzu. Dementsprechend steigt die Bedeutung dieser Verkehrsmittel in einer Extremsituation. Dagegen werden die Verkehrsmittel, die den regionalen, überregionalen oder Fernverkehr dominieren, weniger genutzt. Dies betrifft den Schienenfernverkehr, die Fern- und Reisebusse und die Flugzeuge. [IFV15, S. 86] Da die Pkw sowohl im Nahbereich als auch für größere Entfernungen genutzt werden, ist bei ihnen eine Verringerung der Fahrtweiten zu beobachten. [IFV14, S.90]

In Deutschland rechnet man klimawandelbedingt mit einer Zunahme an Hitzetagen, Starkregenereignissen und Stürmen. Diese Ereignisse wirken sich auf alle für den Personenverkehr relevanten Verkehrsinfrastrukturen aus, das heißt auf Straßen, Schienen und die Flughäfen. Häufig sind mehrere Verkehrsträger gleichzeitig betroffen. Auf die Betroffenheit von Infrastrukturen muss daher ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Die Zunahme von Hitzetagen kann zu Material- und Strukturschäden und Verformung an Straßenbelägen, Schienen, Start- und Ladebahnen führen. Schäden auf Straßen können wiederum Rutschgefahr bei Nässe zur Folge haben. Im schlimmsten Fall führen Schäden am Gleiskörper zu Entgleisungen. Mehr Hitze bedeutet auch, dass die Gefahr der Überhitzung und damit die Ausfallgefahr an der Elektrik, zum Beispiel bei Signalen im Schienenverkehr, steigt. Fahrzeuge können ebenfalls überhitzen, wodurch der Reisekomfort stark beeinträchtigt wird. Darüber hinaus stellen Vegetations-, Böschungs- und Schwellenbrände entlang von Schienen und Straßen eine Gefahr dar. [UBA09f, S. 5] Dies gilt insbesondere für regionale und Fernverkehrswege. Der Betrieb von Zügen, Bussen und Flugzeugen wird gefährdet, genauso wird der Betrieb des eigenen Pkw erschwert.

Starkregenereignisse können sich auf Straße, Schiene und Flughäfen auswirken. Zum einen kann es zu einer Überlastung von Drainagesystemen kommen, die eine Überschwemmung von Straßen, Schienen und Tunneln zur Folge haben kann. Zum anderen kann im Bahnverkehr durch Erosion und Unterspülungen die Stabilität von Bahndämmen und Gleisbetten gefährdet werden. Die durch Starkregen steigende Bodenfeuchte kann die Stabilität von Brücken, Tunneln und Straßen gefährden. Darüber hinaus steigt die Gefahr für Erdrutsche. Außerdem kann Starkregen die Fahrsicherheit und Pünktlichkeit auf Straßen und Schienen sowie auch im Luftverkehr beeinträchtigen [UBA09f, S. 5f.]. Die geringere Fahrsicherheit ist in Kombination mit höheren Geschwindigkeiten außerhalb geschlossener Ortschaften besonders gefährlich.

Stürme und Starkwindereignisse können Schäden an hochragenden Anlagen wie etwa Oberleitungen, Signalen, Verkehrsschildern oder Brücken verursachen. Außerdem erhöht sich das Risiko für umgestürzte Bäume und Gegenstände, die auf Straßen und Schienen geweht werden, sodass diese nicht mehr befahrbar sind. Dies geschieht vor allem außerorts. Die küstennahe Verkehrsinfrastruktur ist besonders gefährdet, da Schäden durch Überschwemmungen bei Sturmfluten und starken seeseitigen Windböen möglich sind. Sie können langfristig eine Verlegung der Trassen notwendig machen [UBA09f, S. 6].

Die Zuverlässigkeit der Verkehrsinfrastruktur ist wesentlich um Mobilität nachhaltig zu gestalten und für die Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Aktivität. Daher muss die Infrastruktur auch unter ungünstigen Bedingungen in der Lage sein, ihre Aufgaben situationsangepasst zu erfüllen [BMVI20au] Grundsätzlich erleichtern Redundanzen im Verkehrsnetz die Abwicklung des Verkehrs, auch im Krisenfall. Diese sind eher im Straßen- als im Schienennetz zu finden.

Das deutsche Verkehrsnetz ist in weiten Teilen des Landes alt und teils deutlich höheren Belastungen ausgesetzt als zu den Zeiten der Planung und des Baus erwartet wurde. Da Verkehrsinfrastrukturelemente langlebig sind, ist es sinnvoll, bei derzeit durchgeführten Wartungs-, Reparatur- und Instandsetzungsmaßnahmen Ereignisse, die zukünftig auf die Anlagen wirken werden, zu berücksichtigen. Die Deutsche Anpassungsstrategie (DAS) bildet einen politischen Rahmen für Anpassungen an den Klimawandel in Deutschland. Sie legt als Aufgabe des Bundes unter anderem fest, ob und inwieweit Bundesfernstraßen mittelfristig mit modifizierten Baustoffen an verlängerte Hitzeperioden und mit einer veränderten Dimensionierung der Entwässerungsinfrastruktur an stärkere Niederschläge angepasst werden sollen [UBA09f, S. 3; BURE20]. Die Auswahl der Maßnahmen richtet sich nach den drei aus der Vulnerabilitätsanalyse bekannten Kriterien Exposition, Vulnerabilität und Kritikalität: Zunächst werden Streckenabschnitte identifiziert, entlang derer Naturgefahren aktuell und zukünftig auftreten können. Danach wird bestimmt, welche Streckenabschnitte aufgrund ihrer Eigenschaften besonders anfällig sind. Abschließend erfolgt eine Bewertung der Streckenabschnitte aus verkehrlicher Sicht [BMVI20as, S. 9].

Die Unsicherheiten bezüglich der Auswirkungen des Klimawandels stellen eine besondere Herausforderung dar. Es besteht die Möglichkeit, Maßnahmen zu ergreifen, die unabhängig vom Klimawandel einen Nutzen haben. Diese Maßnahmen werden als No-Regret-Maßnahmen bezeichnet. Sie beziehen sich auf Herausforderungen, die bereits heute bei Extremereignissen (zum Beispiel Sturm, Hitze/Trockenheit) bestehen. Bei diesen Maßnahmen ist bereits unter den heute herrschenden Klimabedingungen der zu erwartende Nutzen größer als die Kosten für ihre Umsetzung [UBA20v]. Ein Beispiel hierfür wäre die Bereitstellung von Wetterinformationen für den Güterverkehr zur langfristigen Planbarkeit in der Transportbranche [UBA12k, S. 190]. Sogenannte Low-Regret-Maßnahmen bezeichnen Anpassungsmaßnahmen, die nur einen geringen Mehraufwand im Vergleich zu einer Maßnahme ohne Berücksichtigung des Klimawandels bedeuten. Sie verursachen nur relativ geringe Kosten, man verspricht sich aber beim Eintritt des Klimawandels im projizierten Maße einen großen Nutzen. [UBA20v] Ein Beispiel wäre die Verwendung von hitzbeständigeren Asphaltmischungen für Fahrbahnen.

Für die Zuverlässigkeit des öffentlichen Personenverkehrs ist die Sicherstellung ausreichenden Betriebspersonals besonders hervorzuheben. Dieser Aspekt spielt zum Beispiel dann eine Rolle, wenn krisenbedingt ein Schienenersatzverkehr eingerichtet werden muss. Da Busse eine geringere Kapazität als Schienenfahrzeuge aufweisen, müssen für dieselbe Transportmenge mehr Fahrzeuge und mehr Fahrpersonal eingesetzt werden. Ziel sollte sein, in solchen Situationen zeitnah eine geeignete Lösung zu finden, beispielsweise durch Absprachen der Betreiber des öffentlichen Verkehrs mit privaten Reisebusunternehmen. Idealerweise sollten bereits im Vorfeld Krisen-Vorsorge-Pläne erstellt werden, die potenzielle Krisenfälle und deren voraussichtliche Auswirkungen auf die Nachfrage berücksichtigen, um bei Eintritt entsprechender Situationen schnell handlungsfähig zu sein. [BMVI20o, S. 16]
Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Resilienz von Verkehrssystemen unter besonderer Berücksichtigung des Klimawandels (Stand des Wissens: 26.11.2021)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?543869
Literatur
[BMVI19bc] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Mobilität in Deutschland - MiD, 2019
[BMVI20as] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Klimawirkungsanalyse für die Bundesverkehrswege
Methodik und erste Ergebnisse, 2020
[BMVI20at] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Verkehr und Infrastruktur an
Klimawandel und extreme
Wetterereignisse anpassen, 2020
[BMVI20au] Bundesanstalt für Gewässerkunde, Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Verlässlichkeit der
Verkehrsinfrastruktur erhöhen, 2020
[BMVI20o] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Folgerungen für die zukünftige Verkehrspolitik nach den Erfahrungen und dem Umgang mit der COVID 19 Pandemie, 2020
[BURE20] Bundesregierung (Hrsg.) Zweiter Fortschrittsbericht zur
Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel , 2020
[IFV14] Institut für Verkehrswesen (Hrsg.) eutsches Mobilitätspanel (MOP) Wissenschaftliche Begleitung und
Auswertungen Bericht 2012/2013: Alltagsmobilität und Fahrleistung, 2014
[IFV15] Institut für Verkehrswesen (Hrsg.) Deutsches Mobilitätspanel (MOP) - Wissenschaftliche Begleitung und Auswertungen
Bericht 2013/2014: Alltagsmobilität und Fahrleistung, 2015
[UBA09f] Institut für ökologische Wirtschaftsforschung GmbH, gemeinnützig, Umweltbundesamt (Hrsg.) Arbeitspapier zur Vorbereitung des Stakeholderdialogs zu
Chancen und Risiken des Klimawandels
- Verkehrsinfrastruktur - , 2009
[UBA12k] Umweltbundesamt (Hrsg.) Kosten und Nutzen von
Anpassungsmaßnahmen an den
Klimawandel, 2012
[UBA20v] Umweltbundesamt (Hrsg.) Glossar Umweltbundesamt, 2020

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?543779

Gedruckt am Donnerstag, 28. März 2024 20:30:14