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Direkter Wettbewerb und Randwettbewerb zum Deutschland-Takt

Erstellt am: 29.07.2021 | Stand des Wissens: 29.07.2021
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch

Wenn ein Deutschland-Takt umgesetzt ist, können daneben auch noch andere Angebote des Schienenpersonenfernverkehrs (SPFV) existieren, die nicht in den Deutschland-Takt integriert sind und sich vielleicht sogar explizit als Alternativangebote davon abgrenzen. Denn der Zugang zum Schienennetz bleibt grundsätzlich frei (Paragraph 10 Eisenbahnregulierungsgesetz, Artikel 10 EU-Richtlinie 91/440/EWG). Solche Angebote werden im Folgenden als Wettbewerb zum Deutschland-Takt bezeichnet. Ferner soll zwischen direktem Wettbewerb und Randwettbewerb zum Deutschland-Takt unterschieden werden.
Direkter Wettbewerb zum Deutschland-Takt liegt dann vor, wenn ein Wettbewerber weitgehend parallel zu einem Zug des Deutschland-Taktes operiert. Durch Preis- und Qualitätsgestaltung oder einfach durch die von ihm angebotene zusätzliche Beförderungskapazität versucht er, direkt an den Umsteigemöglichkeiten des Deutschland-Taktes diesem Kunden streitig zu machen. Gleichzeitig bietet er seinen Passagieren gute Umsteigemöglichkeiten in Züge des Deutschland-Taktes (jedoch ohne Durchtarifierung). Diese direkte Form des Wettbewerbs würde den Deutschland-Takt unter einen starken Preis- und Qualitätsdruck setzen und könnte dadurch zu einer Verbesserung der Deutschland-Takt-Angebote führen. Dies könnte sogar zu der Befürchtung führen, dass direkter Wettbewerb auf ausgewählten Strecken ein eigenwirtschaftlich aufgesetztes Taktsystem so stark unter Druck setzen würde, dass es in seiner Existenz gefährdet wäre. Dies würde dem Modell der Hit-and-run-Konkurrenz entsprechen, zumal ein Taktsystem relativ starr ist und sicherlich auch in seiner Preisbildung nicht leicht auf einen flexiblen Wettbewerber reagieren kann. [Weim06, S.342] Eine Konsequenz dieser Überlegung könnte also sein, dass direkter Wettbewerb zu verbieten wäre.
Allerdings greift diese einfache Überlegung zu kurz. Denn ein solcher direkter Wettbewerber steht auch selbst unter starkem Konkurrenzdruck durch die Deutschland-Takt-Angebote. Insbesondere aufgrund von der Netzbildungsfähigkeit der Deutschland-Takt-Angebote kann diese Resistenz so stark sein, dass ein direkter Wettbewerber am Markt nicht bestehen kann. [HeMi97] Das gilt erst recht, wenn die Deutschland-Takt-Angebote auch noch subventioniert wären. Zudem werden die Infrastrukturkapazitäten insbesondere im Bereich der Knoten für einen perfekt eingetakteten direkten Wettbewerb sehr knapp sein. Denn profitable direkte Wettbewerbsangebote sind nur auf den stark nachgefragten Hauptstrecken zwischen den Großstädten denkbar, und gerade dort sind die Infrastrukturkapazitäten knapp.
In allen Branchen versuchen neue Marktteilnehmer, sich von den bisherigen Angeboten zu unterscheiden, um bestimmte Kundensegmente besser bedienen zu können und den Konkurrenzdruck abzumildern. Aus diesem Grund und den anderen genannten Gründen ist perfekter direkter Wettbewerb zum Deutschland-Takt nicht zu erwarten. Aber dort, wo der Deutschland-Takt ein Stundentakt ist, könnte ein Wettbewerber jeweils in die halbe Stunde dazwischen gehen. Dann sind die Personenbahnhöfe und die dazu gehörigen Knoteninfrastrukturen frei, und die Passagiere können unter Inkaufnahme einer halbstündigen Wartezeit immer noch recht gut in die Züge des Deutschland-Taktes umsteigen oder aus diesen kommen.
Die mit dem Deutschland-Takt verbundenen Infrastrukturausbauten und Vereinheitlichungen der Betriebsprogramme verbessern eigentlich die Voraussetzungen für einen zeitlich versetzten, imperfekten direkten Wettbewerb zum Deutschland-Takt. Denn der gesamte getaktete Personenverkehr, einschließlich des Nahverkehrs, soll ja zeitlich soweit wie möglich auf die Taktstunde konzentriert werden, und die Knotenkapazitäten sollen für diese hohe Belastung ausgebaut werden. Die Folge wird sein, dass in der halben Stunde dazwischen in den Knoten viel freie Infrastruktur zur Verfügung stehen wird. Da aktuell die meisten Infrastrukturengpässe in den Knoten zu finden sind, sollte ein Wettbewerber dann zwischen den Taktwellen die benötigten Trassen finden können. Allerdings werden zwischen den Taktwellen die Strecken zwischen den Knoten und die von den Bahnhöfen weiter entfernten Bereiche der Knoten auch vom Güterverkehr stark genutzt, so dass die Wettbewerber hier auf Infrastrukturengpässe treffen können.
Wo der Deutschland-Takt zum Halbstundentakt verdichtet wird, wird es für einen Wettbewerber schwieriger, sich in die Viertelstunde dazwischen zu setzen. Sollte es ihm gelingen, werden seine Umsteigemöglichkeiten zum Takt durch die geringere Wartezeit noch besser. Doch ist dann das Deutschland-Takt-Angebot an sich schon sehr erdrückend in Hinblick auf die vorhandene Nachfrage, und es wird deutlich schwerer sein, zwischen den dichten Taktwellen Lücken auf der Infrastruktur zu finden.
Ein Wettbewerber könnte versuchen, einen Geschwindigkeitsvorteil gegenüber dem Deutschland-Takt dadurch zu erlangen, dass er nicht an allen Knoten hält und dass seine Halte von kürzerer Dauer sind. Das kann aber auf der langen Strecke nur funktionieren, wenn er die Takt-Züge überholen kann. Zudem müsste an den Knoten der zeitliche Versatz zum Takt variabel sein, nicht immer genau zur halben Zeit. Ob die Knoten- und Streckenkapazitäten des Netzes dies hergeben, wird vom Einzelfall abhängen. Als flächendeckendes Geschäftsmodell ist es schwer vorstellbar.
Wettbewerber werden daher vorwiegend dort eintreten, wo der Deutschland-Takt im Verhältnis zur Nachfrage Schwächen aufweist, und sie werden zeitlich oder in der Streckenführung oder in den von ihnen angesprochenen Personengruppen den Deutschland-Takt-Angeboten tendenziell ausweichen: Randwettbewerb.
Die aktuellen Konkurrenzangebote von FlixTrain zur DB Fernverkehr AG sind als Randwettbewerb zu bezeichnen. Einige Linienführungen von FlixTrain weichen von denen der DB Fernverkehr AG in bestimmten, aber wichtigen Abschnitten ab. Ein Beispiel hierfür ist die Strecke Stuttgart Berlin (FLX 10) über Hannover, Göttingen und Frankfurt (die vergleichbare ICE-Linie der DB Fernverkehr AG hält nicht in Hannover). Andere Linien laufen zwar parallel (zum Beispiel Hamburg Köln), doch adressieren sie nach Preis und Gestaltung nur ein bestimmtes Publikum. So bieten die Züge von FlixTrain etwa nur eine Wagenklasse und keinen Speisewagen. Im Rahmen von plakativen Rabattaktionen werden Fahrkarten regelmäßig zu sehr geringen Preisen (zum Teil unter 5 Euro) angeboten. Zudem fahren die Züge von FlixTrain viel seltener als die Züge der DB Fernverkehr AG (je nach Strecke ein bis drei Zugpaare täglich) und stellen schon aus diesem Grund ein Randphänomen dar. [Flix20] Dennoch kann auch diese beschränkte Form des Wettbewerbs für die Kunden, den Markt und die zukünftige Marktentwicklung bedeutsam sein und auch einen gewissen Preis- und Qualitätsdruck auf die Deutschland-Takt-Angebote ausüben.
Die hier verwendete begriffliche Abfolge von perfektem direkten Wettbewerb über imperfektem direkten Wettbewerb bis hin zum Randwettbewerb beschreibt eine graduelle Abfolge unterschiedlicher Geschäftsmodelle mit abnehmender Wettbewerbsintensität zum Deutschland-Takt.
Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Potenziale und Herausforderungen des Deutschland-Takts im Schienenpersonenfernverkehr (Stand des Wissens: 29.07.2021)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?538968
Literatur
[Flix20] FlixMobility GmbH (Hrsg.) Flixtrain, 2020
[HeMi97] Hendricks, Ken, Michelle, Piccione, Goufu, Tan Entry and Exit in Hub-Spoke Networks, veröffentlicht in RAND Journal of Economics, Ausgabe/Auflage 28 ( 2, 1997
[Weim06] Weimann, Joachim Die Regulierung Natürlicher Monopole, veröffentlicht in Wirtschaftspolitik, Springer / Berlin, 2006, Online-Referenz doi:10.1007/3-540-28857-0_7
Glossar
Deutschland-Takt Der Deutschland-Takt ist ein Ansatz zur netzweiten Optimierung des Schienenpersonenverkehrs in Deutschland. Den Kernpunkt bildet hierbei die Einführung eines Integralen Taktfahrplans (ITF), die notwendigerweise mit koordinierten Infrastrukturverbesserungen verbunden ist. Das Ziel soll eine Steigerung der Fahrgastzahlen durch ein attraktiveres, vertaktetes und gut verknüpftes Verkehrsangebot sowohl im Schienenpersonenfernverkehr als auch Schienenpersonennahverkehr sein.
Geschäftsmodell
Ein Geschäftsmodell besteht allgemein aus den drei Hauptkomponenten Nutzenversprechen (value proposition), Architektur der Wertschöpfung und Ertragsmodell.
Schienenpersonenfernverkehr
Der Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) ist die Beförderung von Reisenden mit Eisenbahnzügen über längere Strecken mit mehr als einer Stunde Fahrzeit oder 50 km Entfernung. Im Gegenzug zum Schienenpersonennahverkehr (SPNV) bzw. dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) wird der SPFV eigenwirtschaftlich betrieben und muss sich betriebsökonomisch selbst tragen.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?538956

Gedruckt am Donnerstag, 28. März 2024 18:50:31