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Integraler Taktfahrplan in der Schweiz

Erstellt am: 29.07.2021 | Stand des Wissens: 29.07.2021
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Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch

Im Rahmen des so genannten Spinnerclubs entwickelte der Bauingenieur Samuel Stähli als Reaktion auf die abnehmende Konkurrenzfähigkeit der Schweizerischen Bundesbahnen im Jahr 1969 federführend Grundlagen für einen netzübergreifenden Taktfahrplan im Schienenverkehr der Schweiz. Die SBB, die einen Taktfahrplan nach dem niederländischen Vorbild zuvor noch abgelehnt hatte, ließ sich von dem Konzept überzeugen und realisierte 1982 erstmals einen integrierten Fahrplan mit stündlichem Takt auf allen Bahn- und Postautolinien. [WiMe10, S.35-40]

Dieses Konzept wurde alle zwei Jahre weiterentwickelt, bis 1987 in einer bundesweiten Volksabstimmung das Infrastrukturprogramm Bahn 2000 beschlossen wurde. [Schw20] Das mehrere Etappen umfassende Programm beinhaltete 136 Bauprojekte zur Qualitätssteigerung des Verkehrsträgers Schiene. Der geplante Projektumfang der ersten Etappe wurde aufgrund des strengen Kreditrahmens von circa 7,4 Milliarden Schweizer Franken zunächst deutlich reduziert. Im Jahr 2004 wurde die erste Etappe dann erfolgreich abgeschlossen. [BAV07]

Die Schweiz ist für einen Integralen Taktfahrplan (ITF) gut geeignet, da das Hauptsiedlungsgebiet eher langgestreckt und wenig gebirgig ist. Die wichtigsten Knoten sind in etwa gleich weit voneinander entfernt, mit einer Fahrzeit zwischen benachbarten Städten von etwa einer halben Stunde. Dies illustriert Abbildung 1, wobei das Hauptsiedlungsgebiet die Städte Zürich, Basel, Bern, Luzern und Biel umfasst, mit Ausläufern nach Thun (Interlaken), St. Gallen, Lausanne und Genf.
bevoelkerungsdichte_schweiz.pngAbb. 1: Bevölkerungsdichte der Schweiz 2019, eigene Darstellung
Durch die Inbetriebnahme der im Rahmen von Bahn 2000 fertiggestellten Neubaustrecke Mattstetten - Rothrist mit einer Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h konnte die Fahrzeit zwischen den Hauptknoten Olten und Bern von 40 Minuten auf 26 Minuten gesenkt werden. Weitere Kantenzeiten wurden zum Beispiel durch den Einsatz von Neigetechnik soweit reduziert, dass 2004 erstmalig ein Halbstundentakt mit den Vollknoten Bern, Olten, Basel und Zürich zur vollen und halben Stunde möglich wurde (siehe Abbildung 1). Die Kantenzeiten nach Lausanne und Biel konnten mit den ersten Infrastrukturmaßnahmen noch nicht auf ein Vielfaches von 30 Minuten reduziert werden. Die Fahrzeit zwischen Lausanne und Bern wurde in diesem ersten Ausbauschritt des Knotensystems sogar bewusst von 66 Minuten [Schw85, S.210] auf 75 Minuten erhöht, um hier wie auch in Biel einen Knoten zur Viertelstunde vor und nach der vollen Stunde einrichten zu können.

Mit dem Abschluss der ersten Etappe von Bahn 2000 konnte die durchschnittliche Reisezeit um sieben Prozent gesenkt und die Pünktlichkeit der Züge verbessert werden, bei gleichzeitiger Steigerung der Betriebsleistung (Zugkilometer) um 30 Prozent. [BAV07a] Im Rahmen der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) und der Eröffnung des Lötschberg-Basistunnels 2007 wurde das Knotensystem um den Vollknoten Visp ergänzt. Darüber hinaus wurde ein Vollknoten in Interlaken eingerichtet (vgl. Abbildung 2).

Mit dem Projekt HGV-Anschluss kamen bis 2013 die Knoten Schaffhausen, Kreuzlingen und Sargans in der Ostschweiz hinzu [HGVAnG]. Mit dem 2009 beschlossenen Infrastrukturpaket ZEB (Zukünftige Entwicklung Bahninfrastruktur) sowie dem langfristigen Strategischen Entwicklungsprogramm Bahninfrastruktur (STEP) sollen bis 2025 eine weitere Kante zwischen Lausanne und Visp und ein neuer Vollknoten in Lugano entstehen. Darüber hinaus sollen die Kantenzeiten Basel - Biel, Olten - Biel und Biel - Lausanne auf Vielfache von 30 Minuten reduziert werden, sodass die Züge dort zur vollen und halben Stunde ein- und abfahren können. [BAV19a] Das Zielknotensystem der Schweiz ist in Abbildung 2 abgebildet.
zielknotensystem.pngAbb. 2: Zielknotensystem der Schweiz bis 2030, eigene Darstellung in Anlehnung an [Wiki07, bearbeitet]. Zu den Bezeichnungen: An einem 0/30-Knoten halten die Züge zur vollen und zur halben Stunde. Usw.
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Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Potenziale und Herausforderungen des Deutschland-Takts im Schienenpersonenfernverkehr (Stand des Wissens: 29.07.2021)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?538968
Literatur
[BAV07] Bundesamt für Verkehr (Hrsg.) Die 1. Etappe BAHN 2000 ist ein Erfolg, 2007
[BAV07a] Bundesamt für Verkehr (Hrsg.) Evaluation 1. Etappe Bahn 2000, 2007
[BAV19a] Bundesamt für Verkehr (Hrsg.) Ausbauschritt 2035: Projekte und Nutzen, 2019
[Schw20] Bundeskanzlei Schweiz (Hrsg.) Volksabstimmung vom 06.12.1987, 2020
[Schw85] Das Schweizer Parlament (Hrsg.) Bericht über das Konzept BAHN 2000 und Botschaft über den Bau neuer Linien der Schweizerischen Bundesbahnen vom 16. Dezember 1985 , 1985
[Wiki07] Wikimedia Commons (Hrsg.) Knotensystem Schweiz mit Bahn 2000 2. Etappe 2030, 2007
[WiMe10] Willich, Andreas, Meiner, Hans 100 Jahre Gesellschaft der Ingenieure des Öffentlichen Verkehrs, 2010
Rechtsvorschriften
[HGVAnG] HGV-Anschluss-Gesetz
Glossar
ITF Integraler Taktfahrplan Nach dem Merkblatt zum Integralen Taktfahrplan lassen sich drei verschiedene Formen des ITF unterscheiden: Der Begriff des idealen ITF umfasst die Koordination der Taktfahrpläne von Linien zu einem abgestimmten, vertakteten Gesamtfahrplan, wobei eine Verknüpfung in Richtung und Gegenrichtung in ausgewählten Taktknoten mit dem Ziel erfolgt, die Anzahl optimaler Anschlüsse zu maximieren. Der modifizierte ITF schränkt die vollständige Verknüpfung entsprechend des idealen ITF ein und berücksichtigt dabei die verkehrlichen, geographischen und wirtschaftlichen Randbedingungen. Der ITF im erweiterten Sinne umfasst Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität im (Schienen-)Personennahverkehr, die nicht zwangsläufig mit der eigentlichen Definition des ITF abgedeckt sind.
Neubaustrecke Als Neubaustrecken bezeichnet man gänzlich neu errichtete Verkehrswege, die einem bestehenden Netz hinzugefügt werden. Im Eisenbahnwesen findet der Begriff zumeist auf für den Hochgeschwindigkeitsverkehr gebaute Strecken Anwendung, wobei diese entweder exklusiv durch Personenbeförderungsangebote oder gemeinsam mit dem Güterverkehr genutzt werden. Das konstruktive Anforderungsniveau von Neubaustrecken reicht dabei gemeinhin über die für Ausbaustrecken (ABS) geltende Anforderungen hinaus.
Hochgeschwindigkeitsverkehr Als Hochgeschwindigkeitsverkehr (HGV) werden Zugfahrten von Trieb[wagen]zügen (sog. Hochgeschwindigkeitszüge) bzw. dafür geeigneten lokbespannten Zügen mit mehr als 200 km/h Spitzengeschwindigkeit auf extra dafür [um]gebauten HGV-Strecken bezeichnet.
NEAT Neue Eisenbahn-Alpentransversale: Projekt zum Ausbau der Schieneninfrastruktur in der Schweiz, in dessen Rahmen u. a. der Lötschberg- und der Gotthard-Basistunnel verwirklicht werden; Ziel ist die Verlagerung des transalpinen Schwerverkehrs von der Straße auf die Schiene.
Zustandserfassung und -bewertung
Die Zustandserfassung und -bewertung (ZEB) ist ein Verfahren zur Erfassung und Bewertung des aktuellen Zustands der Verkehrsinfrastruktur anhand festgelegter Merkmale. Sie bildet die Grundlage des Erhaltungsmanagements.
Betriebsleistung
Die Betriebsleistung ist eine Kennzahl für den Umfang eines bestehenden Verkehrsangebots bezogen auf eine bestimmte Bezugsperiode (zum Beispiel ein Jahr). Sie definiert sich als Produkt einer angebotenen Kapazität (Summe eingesetzter Züge, Wagen, Fahrzeuge oder Sitzplätze) und der von ihr zurückgelegten Wegstrecke in Kilometer je betrachteter Zeiteinheit.
Betriebsleistung = (Kapazität * Wegstrecke) / Bezugsperiode
Gebräuchliche Einheiten für die Betriebsleistung sind beispielsweise Zugkilometer pro Jahr [Zugkm/a] oder Fahrzeugkilometer pro Jahr [Fzgkm/a].

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?538785

Gedruckt am Samstag, 20. April 2024 08:19:27