Deutschland-Tarif
Erstellt am: 29.07.2021 | Stand des Wissens: 29.07.2021
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Bei der Vergabe von Trassen an verschiedene Schienenverkehrsunternehmen entstehen für einige Fahrgäste im integralen Taktfahrplan zwangsläufig Umsteigebeziehungen zwischen den Zügen verschiedener Betreiber. Das Angebot des Schienenverkehrs ist jedoch für Kunden nicht attraktiv, wenn sie sich bei der Planung ihrer Reise mit den unterschiedlichen Tarifstrukturen und Rabattierungsmodellen mehrerer Eisenbahnverkehrsunternehmen auseinandersetzen müssen. Die Initiative Deutschland-Takt argumentiert deshalb, dass ein integraler Taktfahrplan für den deutschen Schienenverkehr nur dann richtig wirken könne, wenn mit ihm auch ein Deutschland-Tarif eingeführt werden würde. [IDT20] Dieser solle folgende Eigenschaften erfüllen [Leis13, S.20]:
- Enge Abstimmung mit regionalen Verbundtarifen
- Diskriminierungsfreie Anwendung durch alle beteiligten Verkehrsunternehmen
- Möglichkeit zur Preisdifferenzierung
- Integration von Verbundtickets
- Faire Einnahmeaufteilung bei Beteiligung mehrerer Verkehrsunternehmen
- Durchgehende Tarifierung durch Harmonisierung der Definitionen für Kinder, Familien, Gruppen und Niedrigpreiszeiten
Die gegenwärtige Regelung des Paragraph 12 des Allgemeinen Eisenbahn-Gesetzes verlangt jedoch keine vereinheitlichten Tarife für Eisenbahnverkehrsunternehmen. [AEGb] [IDT20] Die Ausgestaltung eines solchen Tarifs ist nicht Gegenstand der 2015 veröffentlichten Machbarkeitsstudie für die Umsetzbarkeit eines Deutschland-Takts. Ob und wie ein Deutschland-Tarif umgesetzt werden werden soll, ist noch offen.
Die Frage nach einem einheitlichen Tarif nur für den Schienenpersonenfernverkehr (SPFV), also ohne Berücksichtigung des Nahverkehrs, wird erst dann virulent, wenn im Rahmen eines Deutschland-Takts mit einer Veränderung der Wettbewerbsstruktur im SPFV zu rechnen ist. Trotz Open Access dominiert die DB Fernverkehr AG den deutschen SPFV momentan mit einem Marktanteil von über 99 Prozent [MPK17]. Unter diesen Bedingungen ist der zu erwartende Anteil der Fahrgäste, deren Reise im Schienenfernverkehr von mehr als einem Verkehrsunternehmen abgewickelt wird, vernachlässigbar gering. Je nach Ausgestaltung kann der Deutschland-Takt aber auch zu einem verstärkten Wettbewerb beitragen, und dann wäre die Tarifgestaltung mitzubeachten.
Die besondere Herausforderung eines Deutschland-Tarifs, die sich jetzt schon stellt, besteht darin, Tarifstrukturen für Fern- und Nahverkehr wenigstens teilweise zu vereinheitlichen. Dies erfordert also auch eine Vereinheitlichung unter den verschiedenen regionalen Tarifsystemen des Schienenpersonennahverkehrs. Eine Vereinheitlichung sollte jedoch die Preisflexibilität der einzelnen Anbieter nicht unnötig einschränken. Denn, wie die Luftfahrtbranche gezeigt hat, ist ein flexibles System aus verschiedensten Preisdifferenzierungen (yield management oder revenue management) ökonomisch hoch effizient und kann unter Wettbewerbsbedingungen zu einer starken Senkung der durchschnittlichen Fahrpreise führen.
Sinnvoll erscheinen insbesondere eine Harmonisierung der Definitionen für Kinder, Familien und Gruppen und Erleichterungen bei der Ausstellung durchgebundener Tickets oder der Kombination verschiedener Tickets mit Anwendungssoftware. Auf der anderen Seite sollte es den Unternehmen immer möglich sein, besonders vergünstigte Tickets unter speziellen Bedingungen anzubieten.