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Qualität des deutschen Schienenpersonenfernverkehrs

Erstellt am: 28.07.2021 | Stand des Wissens: 28.07.2021
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Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch

Die DB Fernverkehr AG bietet ein engmaschiges Netz von in der Regel stündlich oder halbstündlich vertakteten Hochgeschwindigkeitszügen Intercity Express (ICE) an. Zusammen mit einem umfangreichen Netz aus Intercity-Zügen (IC) ergibt sich ein vergleichweise dichtes Verkehrsangebot im deutschen Schienenpersonenfernverkehr. Ergänzt wird dieses Angebot durch die von Wettbewerben der DB Fernverkehr AG befahrenen Trassen, welche im Folgenden jedoch nicht weiter betrachtet werden. Diese bestehen aus den von Flixtrain befahrenen Strecken Berlin Stuttgart, Hamburg Köln und Leipzig Aachen sowie den Nachtzügen der österreichischen Bundesbahnen.
intercity_netz.pngAbb. 1: Intercity Fernverkehrsnetz der Deutschen Bahn [DBFV19a] (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)
ice_netz.pngAbb. 2: Intercity-Express Fernverkehrsnetz der Deutschen Bahn [DBFV19b] (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)
Viele deutsche Großstädte können von einer guten Anbindung an das Schienenfernverkehrsnetz profitieren. In einer Erhebung aus dem Jahr 2019 kritisiert die Bundestagsfraktion der Grünen jedoch, dass elf der 80 deutschen Großstädte überhaupt nicht, und weitere sieben nur mangelhaft an das Fernverkehrsnetz angebunden seien. [Grün19]
Ab 1988 gab es zusätzlich zu den Schnellzügen zwischen den großen Städten auch weitere, vertaktete Fernverkehrszüge (sogenannte Interregio), die zusätzliche Städte an das Fernverkehrsnetz angebunden haben. Beginnend mit dem Programm Marktorientiertes Angebot im Personenverkehr aus dem Jahr 2000 wurde jedoch das Fernverkehrsangebot zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit gerade auf Strecken mit geringem Verkehrsaufkommen reduziert. [Bung11a] Auf entsprechenden Relationen musste als Folge davon immer häufiger auf Angebote des Nahverkehrs zurückgegriffen werden. Dies führte zu der Kritik der Länder, die dem Bund bis heute vorwerfen, seiner Verantwortung für den Schienenfernverkehr nicht ausreichend nachzukommen.
Verkehrsaufkommen und -leistung des Schienenpersonenfernverkehrs stiegen seit 2007 an (vgl. Abbildung 1). 2019 fuhren nach Angaben der Bundesnetzagentur 151 Millionen Fahrgäste insgesamt circa 45 Milliarden Personenkilometer im deutschen SPFV. [BNA18, S.19]
entwicklung_verkehrsaufkommen.pngAbb. 3: Entwicklung des Verkehrsaufkommens und der Verkehrsleistung im SPFV, eigene Darstellung mit Daten aus [BNA19] (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)
Häufig kritisiert wird die Verlässlichkeit des deutschen Schienenverkehrs. So sind 42 Prozent der deutschen Fahrgäste unzufrieden mit der Pünktlichkeit der Züge im Fernverkehr. Die Unzufriedenheit über die mangelnde Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit ist mit 47 Prozent innerhalb der Europäischen Union nur in Frankreich höher. [EuKo13j, S.65] Im Jahr 2018 hatten 24,9 Prozent aller Fernverkehrszüge der Deutschen Bahn eine Verspätung von mindestens fünf Minuten. [DB19e] Von den Personenzügen des schweizerischen Eisenbahnverkehrsunternehmen SBB erreichten im selben Jahr nur 9,9 Prozent ihren Zielort mit einer Verspätung. [DB19e] Hinzu kommen ausfallende Züge; nach einem Bericht aus der Wochenzeitung Die Zeit fielen im Jahr 2019 etwa 2 Prozent der Züge der DB Fernverkehr aus. [Zeit19a]
Auch die Fahrzeiten sind hierzulande oft länger als im europäischen Ausland: Nur auf wenigen Strecken können die Höchstgeschwindigkeiten der Züge voll ausgeschöpft werden. Hierzu gehören etwa die 2017 eröffnete Schnellfahrstrecke Berlin München mit bis zu 300 km/h zugelassener Höchstgeschwindigkeit, die Schnellfahrstrecke Hannover Würzburg mit bis zu 280 km/h sowie die Schnellfahrstrecke Köln Rhein/Main mit bis zu 300 km/h. Dennoch fahren die deutschen Fernverkehrszüge mit höheren Durchschnittsgeschwindigkeiten (bis zu 170 km/h) als in der Schweiz (circa 100 km/h). [BMVI15x] Schnellzüge in Frankreich und Spanien können jedoch deutlich höhere Durchschnittsgeschwindigkeiten erreichen. So erreicht der französische TGV auf der Strecke Paris Marseille eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 228 km/h und spanische Hochgeschwindigkeitszüge auf der Strecke Barcelona Sevilla Durchschnittsgeschwindigkeiten von 194 km/h. [Stat20r]
In einer Studie der Stiftung Warentest beantworteten 22 Prozent - und damit unter allen Antwortoptionen der größte Anteil aller 1.452 Befragten - die Frage Was hat Sie bei Ihrer letzten Reise mit einem Fernzug am meisten gefreut? mit Komfortables, bequemes Reisen. Mit 20 Prozent empfindet ein ähnlich großer Anteil der Befragten den günstige[n] (Spar-)Preis als besonders erfreulich. [SWT] Gerade die 2003 im Rahmen eines neuen Preissystems eingeführten Sparpreise und BahnCard-Rabattierungsmodelle der Deutschen Bahn sollen bei rechtzeitiger Buchung attraktive Preise ermöglichen. Die Höhe der Ticketpreise wird jedoch auch kritisiert: Die ca. 1.000 Befragten einer Umfrage des Verkehrsclub Deutschland vergeben der DB Fernverkehr in der entsprechenden Kategorie im Durchschnitt die Schulnote 3,4. [VCD19]
Laut Daten der Deutsche Bahn AG lag die Kundenzufriedenheit bei der DB Fernverkehr im Jahr 2019 bei ca. 76,5 von 100 Zufriedenheitsindexpunkten und stagniert damit bereits seit einigen Jahren. [DB20, S. 119] Nach einer Eurobarometer-Studie aus dem Jahr 2018 sind deutsche Bahnkunden besonders unzufrieden: Beim Vergleich der allgemeinen Zufriedenheit im Bahnverkehr belegt Deutschland EU-weit den 19. Platz. [EuKo13j, S.119]
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Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Potenziale und Herausforderungen des Deutschland-Takts im Schienenpersonenfernverkehr (Stand des Wissens: 29.07.2021)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?538968
Literatur
[BMVI15x] IGES Institut GmbH Machbarkeitsstudie zur Prüfung eines Deutschland-Takts im Schienenverkehr, 2015
[BNA18] Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Hrsg.) Marktuntersuchung Eisenbahnen 2018, 2018
[BNA19] Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Hrsg.) Jahresbericht 2019 - Netze für die digitale Welt, 2019
[Bung11a] Bunge, Stephan Defizite in der Bedienung durch den SPFV in Deutschland, veröffentlicht in Schriftenreihe der deutschen verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft, Ausgabe/Auflage 342, 2011
[DB19e] Deutsche Bahn AG Konzern (Hrsg.) Pünktlichkeitswerte, 2019
[DB20] Deutsche Bahn AG Konzern (Hrsg.) Integrierter Bericht 2019, 2020
[DBFV19a] DB Fernverkehr AG (Hrsg.) ICE-Netz 2020, 2019
[DBFV19b] DB Fernverkehr AG (Hrsg.) EC-/IC-Netz 2020, 2019
[EuKo13j] Europäische Kommission (Hrsg.) Europeans' satisfaction with rail services, 2013
[Grün19] Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen (Hrsg.) In jeder 7. Großstadt halt kein Fernzug, 2019
[Stat20r] Statista (Hrsg.) Durchschnittsgeschwindigkeit auf Strecken zwischen ausgewählten großen Städten in Europa und Japan mit der Bahn und dem Auto, 2020
[SWT] Stiftung Warentest (Hrsg.) Der große Bahn-Check, 2018
[VCD19] Verkehrsclub Deutschland (VCD) e. V. (Hrsg.) Bahntest 2019/20, 2019
[Zeit19a] ZEIT ONLINE (Hrsg.) Zwei Prozent aller Fernzughalte 2018 ausgefallen, 2019
Glossar
Personenkilometer
Die Einheit Personenkilometer [Pkm] beschreibt die im Rahmen einer Personenbeförderung erbrachte Verkehrsarbeit. Diese definiert sich als Produkt der Verkehrsmenge (Summe der beförderten Personen) und der von dieser dabei zurückgelegten Wegstrecke in km.
Verkehrsarbeit [Pkm] = Verkehrsmenge [P] * Wegstrecke [km]
Schnellfahrstrecke
Eine Schnellfahrstrecke (SFS) ist eine Eisenbahnstrecke, die mit einer Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h oder mehr befahren werden kann. Der Begriff entstand im Rahmen der technischen Entwicklung des Hochgeschwindigkeitsverkehrs (HGV). Er ist nicht geschützt beziehungsweise einheitlich definiert. Die obere Geschwindigkeitsgrenze von SFS schwankt daher zwischen 160 und 200 km/h. Zu beachten ist, dass ab einer Geschwindigkeit von 160 km/h statt der punktförmigen (PZB) eine linienförmige Zugbeeinflussung (LZB) zur Zugsicherung notwendig ist!
Train à grande vitesse Train à grande vitesse (TGV, dt. Zug mit hoher Geschwindigkeit, Hochgeschwindigkeitszug), ist sowohl Markenname als auch Bezeichnung mehrerer Baureihen französischer Hochgeschwindigkeitszüge. Die TGV sowie deren Geschwisterzüge Thalys und Eurostar verkehren außer in Frankreich auch in bzw. nach Deutschland, in der Schweiz, in Italien, Belgien, den Niederlanden, Großbritannien, Luxemburg und Spanien.
Verkehrsaufkommen Das Verkehrsaufkommen beschreibt die Anzahl der zurückgelegten Wege, beförderten Personen oder Güter pro Zeiteinheit. Im Unterschied dazu bezieht sich das spezifische Verkehrsaufkommen auf zurückgelegte Wege und beschreibt die mittlere Anzahl der Ortsveränderungen pro Person und Zeiteinheit.
Verkehrsleistung
Die Verkehrsleistung gibt Auskunft über die Inanspruchnahme von Ressourcen. Als Verkehrsleistung wird die auf eine Zeiteinheit t (zum Beispiel ein Jahr) bezogene Verkehrsarbeit definiert und als Quotient dargestellt. Die Verkehrsarbeit wird dabei als Produkt von Verkehrseinheiten (zum Beispiel Güter oder Personen) und der durch diese zurückgelegten Strecke gebildet. In der Verkehrswissenschaft sind die Einheiten Personenkilometer pro Jahr [Pkm/a] oder Tonnenkilometer pro Jahr [tkm/a] gebräuchlich.
Marktorientiertes Angebot im Personenverkehr Das Marktorientiertes Angebot im Personenverkehr (MORA P) war ein zweistufiges Projekt des Deutschen Bahn AG Konzerns. Ziel des MORA P war es die wirtschaftliche Stabilität des Transportangebots im Schienenpersonenverkehr langfristig zu sichern.
Schienenpersonenfernverkehr
Der Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) ist die Beförderung von Reisenden mit Eisenbahnzügen über längere Strecken mit mehr als einer Stunde Fahrzeit oder 50 km Entfernung. Im Gegenzug zum Schienenpersonennahverkehr (SPNV) bzw. dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) wird der SPFV eigenwirtschaftlich betrieben und muss sich betriebsökonomisch selbst tragen.
Eisenbahnverkehrsunternehmen Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) sind öffentliche Einrichtungen oder privatrechtlich organisierte Unternehmen, die Eisenbahnverkehrsleistungen erbringen. "Eisenbahnverkehrsunternehmen" stellt einen europarechtlichen Begriff dar, welcher durch nationales Recht in Form von § 2 (1) des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) konkretisiert wird.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?538685

Gedruckt am Donnerstag, 25. April 2024 04:27:20