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Der Schienenpersonenfernverkehr in Deutschland

Erstellt am: 28.07.2021 | Stand des Wissens: 28.07.2021
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Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch

Mit über 85 Prozent der insgesamt zurückgelegten Personenkilometer bleibt der Pkw in Deutschland das dominierende Verkehrsmittel für den Personenverkehr. Der Anteil des Schienenpersonenverkehrs am Modal Split blieb in den vergangenen Jahrzehnten relativ konstant: Von 2008 bis 2018 stieg dessen Anteil an der Gesamtverkehrsleistung geringfügig von 8,1 Prozent auf 9,1 Prozent. [Eurostat17b] Im Rahmen des insgesamt gestiegenen Verkehrsaufkommen stieg in den letzten Jahren jedoch gerade im Personenfernverkehr auch die Verkehrsleistung des Schienenverkehrs: Fuhren im Jahr 2007 im deutschen Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) 119 Millionen Fahrgäste zusammen 34 Milliarden Personenkilometer, waren es im Jahr 2019 bereits 151 Millionen Fahrgäste mit fast 44,7 Milliarden Personenkilometern. [BNA19] Die Corona-Jahre 2020 und 2021 haben einen drastischen Einbruch der Verkehrsleistung gebracht, [BNA20] doch ist es durchaus möglich, dass nach der Überwindung dieses Ereignisses zum früheren Trend zurückgekehrt wird.
Seit der Bahnreform im Jahr 1994 gibt es im deutschen Schienenfernverkehr offenen Netzzugang (Open access) für alle potenziellen Wettbewerber. Dennoch wird der Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) von der DB Fernverkehr AG nach wie vor mit einem Marktanteil von über 99 Prozent dominiert. [MPK17] Derzeit gibt es im Personenfernverkehr nur zwei Wettbewerber: Zum einen befährt Flixtrain das deutsche Schienennetz mit drei Linien (Berlin Stuttgart, Hamburg Köln, Leipzig Aachen), zum anderen übernahmen die österreichischen Bundesbahnen 2017 das Nachtzugangebot der DB Fernverkehr AG.
Die Fernverkehrssparte der Deutsche Bahn AG konnte ihren Umsatz in zehn Jahren von 3,35 Milliarden Euro um ca. 49 Prozent auf 5,05 Milliarden Euro im Jahr 2019 steigern und trägt mit 426 Millionen Euro im Jahr 2019 einen großen Anteil zum Nettoergebnis des Mutterkonzerns bei. Die DB Fernverkehr AG ist durchgängig profitabel. [DBFV19]
Das Fernverkehrsangebot der DB Fernverkehr AG ist regelmäßig Gegenstand von Kritik. Einige Bundesländer werfen dem Bund als Eigentümer vor, seiner Zuständigkeit für den SPFV nicht ausreichend nachzukommen. [BR16] Neben dem mangelnden Angebotsumfang gerade auf Strecken mit geringem Verkehrsaufkommen wird die Pünktlichkeit des deutschen Schienenfernverkehrs kritisiert. Diese ist mit 75,1 Prozent [DB19e] deutlich geringer als in der Schweiz, in der über 90 Prozent [SBB19] aller Fernverkehrszüge ihren Zielort pünktlich erreichen. Auch die Reisezeiten des deutschen SPFV sind im europäischen Vergleich allenfalls durchschnittlich. Während die Durchschnittsgeschwindigkeiten der deutschen Fernverkehrszüge zwar deutlich über denen der Schweiz liegen, [BMVI15x, S.9] erreichen viele französische TGV deutlich schnellere Durchschnittsgeschwindigkeiten. An einigen Beispielen illustriert: Der TGV fährt auf der Strecke Paris Marseille mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 228 km/h, der deutsche ICE befährt die Strecke München Hamburg im Durchschnitt mit lediglich 136 km/h, in der Schweiz wird die zentrale Relation Zürich Genf mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 97 km/h befahren. [Stat20r]
In einem Bericht der Stiftung Warentest werden der Fahrkomfort und die Preise des deutschen SPFV positiv bewertet. [SWT] Häufig werden allerdings die Preise auch als zu hoch kritisiert: Die circa 1.000 Befragten einer Umfrage des Verkehrsclub Deutschland vergeben der DB Fernverkehr in der entsprechenden Kategorie im Durchschnitt die Schulnote 3,4. [VCD19] Nach einer Untersuchung des britischen Portals Vouchercloud ist der deutsche SPFV mit 13,2 ct/km allerdings deutlich günstiger als etwa in Frankreich (20,3 ct/km) oder der Schweiz (19 ct/km). [Vouc20]
Obwohl die ersten IC-Fahrpläne ab 1971 für den deutschen SPFV in ihren Grundzügen integrale Taktfahrpläne darstellten, lassen sich in aktuellen Fahrplänen der deutschen Bahn nur wenige passgenaue Umsteigebeziehungen ausmachen. Ein Beispiel für einen noch existierenden sauberen Knoten ist Mannheim, wo zwischen einigen Zügen bahnsteiggleiche Umsteigemöglichkeiten ohne Wartezeiten bestehen.
Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Potenziale und Herausforderungen des Deutschland-Takts im Schienenpersonenfernverkehr (Stand des Wissens: 29.07.2021)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?538968
Literatur
[BMVI15x] IGES Institut GmbH Machbarkeitsstudie zur Prüfung eines Deutschland-Takts im Schienenverkehr, 2015
[BNA19] Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Hrsg.) Jahresbericht 2019 - Netze für die digitale Welt, 2019
[BNA20] Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Hrsg.) Marktuntersuchung Eisenbahnen 2020, 2020
[BR16] Bundesrat (Hrsg.) Entwurf eines Gesetzes zur Gestaltung des Schienenpersonenfernverkehrs - Drucksache 745/16, 2016
[DB19e] Deutsche Bahn AG Konzern (Hrsg.) Pünktlichkeitswerte, 2019
[DBFV19] DB Fernverkehr AG (Hrsg.) Geschäftsbericht 2019, 2019
[Eurostat17b] Eurostat Personenbeförderung nach Verkehrszweig % der gesamten Personentransport km - Züge, 2017
[MPK17] Monopolkommission (Hrsg.) Bahn 2017: Wettbewerbspolitische Baustellen, 2017
[SBB19] Schweizerische Bundesbahnen (Hrsg.) Qualität, 2019
[Stat20r] Statista (Hrsg.) Durchschnittsgeschwindigkeit auf Strecken zwischen ausgewählten großen Städten in Europa und Japan mit der Bahn und dem Auto, 2020
[SWT] Stiftung Warentest (Hrsg.) Der große Bahn-Check, 2018
[VCD19] Verkehrsclub Deutschland (VCD) e. V. (Hrsg.) Bahntest 2019/20, 2019
[Vouc20] Invitation Digital Ltd. (Hrsg.) Train Prices Across Europe - UK Train Prices Compared to Europe, 2020
Glossar
Personenkilometer
Die Einheit Personenkilometer [Pkm] beschreibt die im Rahmen einer Personenbeförderung erbrachte Verkehrsarbeit. Diese definiert sich als Produkt der Verkehrsmenge (Summe der beförderten Personen) und der von dieser dabei zurückgelegten Wegstrecke in km.
Verkehrsarbeit [Pkm] = Verkehrsmenge [P] * Wegstrecke [km]
Train à grande vitesse Train à grande vitesse (TGV, dt. Zug mit hoher Geschwindigkeit, Hochgeschwindigkeitszug), ist sowohl Markenname als auch Bezeichnung mehrerer Baureihen französischer Hochgeschwindigkeitszüge. Die TGV sowie deren Geschwisterzüge Thalys und Eurostar verkehren außer in Frankreich auch in bzw. nach Deutschland, in der Schweiz, in Italien, Belgien, den Niederlanden, Großbritannien, Luxemburg und Spanien.
Modal Split
Modal Split wird in der Verkehrsstatistik die prozentuale Verteilung des Personen- und Güterverkehrs auf verschiedene Verkehrsmittel (Modi) genannt. Der Modal Split ist Folge des Mobilitätsverhaltens der Menschen und der wirtschaftlichen, insbesondere der verkehrlichen Entscheidungen von Unternehmen.
Verkehrsaufkommen Das Verkehrsaufkommen beschreibt die Anzahl der zurückgelegten Wege, beförderten Personen oder Güter pro Zeiteinheit. Im Unterschied dazu bezieht sich das spezifische Verkehrsaufkommen auf zurückgelegte Wege und beschreibt die mittlere Anzahl der Ortsveränderungen pro Person und Zeiteinheit.
Verkehrsleistung
Die Verkehrsleistung gibt Auskunft über die Inanspruchnahme von Ressourcen. Als Verkehrsleistung wird die auf eine Zeiteinheit t (zum Beispiel ein Jahr) bezogene Verkehrsarbeit definiert und als Quotient dargestellt. Die Verkehrsarbeit wird dabei als Produkt von Verkehrseinheiten (zum Beispiel Güter oder Personen) und der durch diese zurückgelegten Strecke gebildet. In der Verkehrswissenschaft sind die Einheiten Personenkilometer pro Jahr [Pkm/a] oder Tonnenkilometer pro Jahr [tkm/a] gebräuchlich.
Schienenpersonenfernverkehr
Der Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) ist die Beförderung von Reisenden mit Eisenbahnzügen über längere Strecken mit mehr als einer Stunde Fahrzeit oder 50 km Entfernung. Im Gegenzug zum Schienenpersonennahverkehr (SPNV) bzw. dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) wird der SPFV eigenwirtschaftlich betrieben und muss sich betriebsökonomisch selbst tragen.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?538668

Gedruckt am Donnerstag, 28. März 2024 13:46:55