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Zukünftiger Finanzierungsbedarf des ÖPNV

Erstellt am: 26.11.2020 | Stand des Wissens: 06.12.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Bahnverkehr, öffentlicher Stadt- und Regionalverkehr, Prof. Dr.-Ing. R. König

Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) ist für einen nachhaltigen Verkehr unverzichtbar und hat durch seine Systemeigenschaften Vorteile gegenüber dem privaten Pkw hinsichtlich aller drei Dimensionen der Nachhaltigkeit (sozial, ökologisch, ökonomisch) [FGSV20]. Für die Klima- und Umweltziele ist deswegen ein weiterer Angebots- und Qualitätsausbau des ÖPNV erforderlich, was ebenfalls mit Kosten für Fahrzeuge und Infrastruktur inklusive ihrer Instandhaltung verbunden ist.
Als ein Beispiel der möglichen Angebotsausweitung kann man die von der KCW erarbeiteten und berechneten Szenarien nennen. Die Szenarien (siehe Abbildungen 1, 2 und 3) unterscheiden sich hinsichtlich des Umfangs, in dem eine Angebotsausweitung stattfinden soll. Innerhalb der Szenarien geht man von einer durchschnittlichen, deutschlandweiten Angebotsausweitung aus. Im Szenario I wird der ÖPNV vor allem dort verbessert, wo heute im Vergleich zu Großstädten und Ballungsräumen ein deutlich schlechteres Angebot vorhanden ist und wo keine weiteren Infrastrukturmaßnahmen erforderlich sind. Das zweite Szenario ist angelehnt an reale Ausweitungsszenarien, wie sie für Städte oder Länder entwickelt wurden. Das Szenario III würde einen erheblichen Impuls auf die Nachfrage auslösen und verdoppelt den Aufwuchs zwischen Szenario I und II. [KCW19]
KCW_OPNV_Finanzierung_Angebotserweiterung.jpgAbbildung 1: Abschätzung der jährlichen Mehrkosten für die ÖPNV-Angebotserweiterung [KCW19]
Da vor allem in ländlichen Räumen Deutschlands nicht einmal eine ÖPNV-Grundversorgung gesichert ist, wäre insbesondere die gesetzliche Verpflichtung der Aufgabenträger zur Definition lokal- und regionalspezifischer Mindestbedienungsstandards notwendig. Der dafür geeignete Rahmen ist der Nahverkehrsplan, der nach den ÖPNV-Gesetzen der meisten Bundesländer vom Aufgabenträger verpflichtend aufzustellen ist. Für die Ausgestaltung der Parameter bei einer entsprechenden Festlegung zeigt der Regionalverkehr in der Schweiz mögliche Wege [FES10a]. Bisher wird die Entscheidung der Bedienstandards und die damit verbundene gesellschaftliche Verantwortung zu weiten Teilen den Aufgabenträgern und Verkehrsunternehmen selbst überlassen. Künftig sollten ein klarer Handlungsauftrag formuliert und entsprechende Ressourcen bereitgestellt werden. Flankierend ist ein Rahmen herzustellen, der eine effiziente und zielgerichtete Finanzierung sicherstellt.
Ein größeres Angebot ist insbesondere in den obengenannten Szenarien II und III nur mit einem Ausbau der Netze möglich. In vielen Städten stoßen die vorhandenen ÖPNV-Systeme infrastrukturseitig bereits heute an ihre Grenzen. Im Szenario I überwiegen die Ersatzinvestitionen [KCW19].
KCW_OPNV_Finanzierung_Infrastruktur.jpgAbbildung 2: Abschätzung der jährlichen Mehrkosten für die ÖPNV-Infrastruktur [KCW19]
Neben der Ausweitung des Angebots sollen aus klimapolitischen Erwägungen auch die spezifischen Emissionen des ÖPNV sinken, und die Fahrzeugflotte (Bahnen und Busse) muss auf alternative Antriebe umgerüstet werden (zum Beispiel eine Umstellung von Diesel- auf Elektrotraktion der Eisenbahn nach der Elektrifizierung von Schienenstrecken, Umstellung der Busflotten auf Batterie- oder Wasserstoffantrieb) [KCW19].
KCW_OPNV_Finanzierung_Antriebswende.jpgAbbildung 3: Abschätzung der jährlichen Mehrkosten für die ÖPNV-Antriebswende [KCW19]
Außerdem wird der zukünftige Finanzierungsbedarf von der Entwicklung verschiedener Kostenkomponenten beeinflusst. Diese ist von gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen und von der Gesetzgebung abhängig. Dabei entwickeln sich die verschiedenen Kostenkomponenten weder in der gleichen Richtung oder Intensität noch sind sie immer prognostizierbar. Relevant sind vor allem die allgemeine Wirtschafts-, Personalkosten- und Energiepreisenentwicklung [FGSV20].
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Bahnverkehr, öffentlicher Stadt- und Regionalverkehr, Prof. Dr.-Ing. R. König
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Zukünftige Finanzierung des ÖPNV (Stand des Wissens: 06.12.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?218979
Literatur
[FES10a] René Bormann, Tilman Bracher, Oliver Dümmler, Ludwig Dünbier, Martin Haag, Helmut Holzapfel, Friedemann Kunst, Oliver Mietzsch, Joan Mirbach, Holger Mossakowski, Jobst-Hinrich Ubbelohde, Jan Werner, Holger Zoubek Neuordnung der Finanzierung des Öffentlichen Personennahverkehrs, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn, 2010
[FGSV20] Lothar H. Fiedler, Carsten Sommer, Oliver Dümmler, Ulrich-Karl Engel, Jürgen Gies, Stefan Groer, Franz Lambrecht, Thomas Petersen, Jochen Sauer, Gregor Waluga, Michael Wendt, Meinhard Zistel Hinweise zur Einführung und Anwendung neuer Finanzierungsinstrumente im ÖPNV, Ausgabe/Auflage 2020, FGSV-Verlag, Köln, 2020
[KCW19] René Naumann, Stephanie Pasold, Jonas Fröhlicher Finanzierung des ÖPNV - Status quo und Finanzierungsoptionen für die Mehrbedarfe durch Angebotsausweitungen, KCW, Berlin, 2019/07
Glossar
Aufgabenträger
Aufgabenträger bestellen bei den Verkehrsunternehmen die im Rahmen der Daseinsvorsorge gewünschten Nahverkehrsleistungen. Dabei gibt es Unterschiede zwischen dem Schienenpersonennahverkehr (SPNV) und dem straßengebundenen öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV).
Im SPNV sind seit Bahnreform und ÖPNV-Regionalisierung im Jahr 1995/96 anstelle des Bundes die Länder für die Planung, Organisierung und Finanzierung verantwortlich. In einigen Ländern sind die Aufgabenträger für das gesamte Land zuständig, wie in Bayern, in anderen betreuen sie regional abgegrenzte Gebiete, wie in Nordrhein-Westfalen. Teilweise wird die Aufgabenträgerschaft den Verkehrsverbünden zugewiesen, wie in Hessen.
Die Aufgabenträgerfunktion für den straßengebundenen ÖPNV ist den Landkreisen oder kreisfreien Städten zugeordnet.
Traktion Unter Traktion versteht man im Schienenverkehrsbereich die kraftgetriebene Fortbewegung von Triebfahrzeugen. Bei der Art des Antriebssystems unterscheidet man heutzutage i. d. R. Triebfahrzeuge mit dieselelektrischen oder -hydraulischen bzw. rein elektrischen Aggregaten zur Kraftübertragung (auch: Diesel- bzw. Elektrotraktion).  Die Traktionsart Dampf wird hierzulande nur noch im Bereich von Museumsbahnen eingesetzt. Mehrere gekoppelte Triebfahrzeuge bilden eine sog. Mehrfachtraktion. Üblicherweise werden diese nach der Anzahl der eingesetzten Triebfahrzeuge benannt (z. B. Doppel- oder Dreifachtraktion).
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.
Energiewende im Verkehr
Mit der Energiewende im Verkehr (auch Antriebswende genannt), soll der Endenergiebedarf des Verkehrssektors mit klimaneutraler Antriebsenergie gedeckt und die verwendeten Energien sparsam genutzt werden. Dementsprechend ist die Energiewende im Verkehr insbesondere eine technische Herausforderung, bei der die Verbrennung fossiler Energieträger im Straßen-, Schienen-, Luft- und Schiffsverkehr durch die Nutzung von erneuerbarem Strom, grünem Wasserstoff, Biokraftstoffen und strombasierten synthetischen Kraftstoffen ersetzt wird.
Szenarien Ein Szenario ist ein Bild der Zukunft, das sich aus einer bestimmten Kombination von relevanten Einflussfaktoren und Rahmenbedingungen entwickelt. Das grundsätzliche Anliegen von Szenarien besteht darin, verschiedene Handlungsoptionen zu verdeutlichen und ihre Folgewirkungen transparent zu machen.
Instandhaltung
Im Kontext des Erhaltungsmanagements bezeichnen die Begriffe "Instandhaltung" und "bauliche Unterhaltung" bauliche Maßnahmen kleineren Umfangs zur Substanzerhaltung von Verkehrsflächen, die mit geringem Aufwand in der Regel sofort nach Auftreten eines örtlich begrenzten Schadens ausgeführt werden.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?514636

Gedruckt am Freitag, 29. März 2024 00:06:25