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Soziale Aspekte des Verkehrsunfallgeschehens

Erstellt am: 19.12.2019 | Stand des Wissens: 10.11.2023
Synthesebericht gehört zu:

Studien in den Vereinigten Staaten haben festgestellt, dass manche Bevölkerungsgruppen ein höheres Risiko tragen im Straßenverkehr zu verunglücken als andere. Cottrill und Thakuriah [COTH10] haben gezeigt, dass in sozial benachteiligten Gebieten Chicagos (Illinois), Fußgänger relativ häufiger in Unfällen mit motorisierten Fahrzeugen verunglücken als in besser gestellten Gebieten. Coughenour et al. [SCAH17] haben gezeigt, dass Afro-Amerikaner nicht nur ein höheres Risiko tragen, als Fußgänger zu verunglücken sondern dass dies unter anderem mit einem systematischen Unterschied im Verhalten von Autofahrer an Fußgängerüberwegen zusammenhängen kann (Untersuchung in Las Vegas, Nevada).
In Schweden zeigte eine Untersuchung, dass Autofahrer mit niedrigeren Bildungsabschlüssen ein höheres Risiko trugen, an Unfällen mit Verletzungsfolgen beteiligt zu sein als solche mit höherem Bildungsniveau [MURR98]. Bei Männern war dieser Effekt stärker ausgeprägt als bei Frauen.
Für die schottische Region Strathclyde wurde nachgewiesen, dass sozial am meisten benachteiligte Menschen (niedrigstes sozioökonomisches Quintil) das höchste Risiko trugen, im Straßenverkehr zu verunglücken [CSKM14].
In allen vorgenannten Studien weisen die Autor darauf hin, dass ergänzend zu den untersuchten sozioökonomischen Faktoren weitere Variablen einen Einfluss auf Unfallrisiken haben, zum Beispiel Verfügbarkeit und Nutzung verschiedener Verkehrsmittel oder die Qualität der vorhandenen Infrastruktur. Außerdem ist es schwierig, die genannten Ergebnisse auf Deutschland zu übertragen weil sich sowohl soziale als auch räumliche Strukturen und Mobilitätsmuster in den jeweiligen Ländern zum Teil stark unterscheiden.
Da es für Deutschland allerdings keine aktuellen Untersuchungen zur Frage nach der Verbindung sozialer Faktoren und Verkehrsunfallrisiken, lässt sich auch nicht ausschließen, dass hier vergleichbare Effekte existieren. Für zielgerichtete Präventionsmaßnahmen (Aufklärung, Schulung, Infrastruktur) wäre es jedoch wichtig, solche Informationen zur Verfügung zu haben.
Unter anderem aufgrund unterschiedlich entwickelter kognitiver und körperlicher Fähigkeiten ist Alter ein weiterer Faktor, der das Unfallrisiko im Straßenverkehr beeinflussen kann. Laut Hautzinger [HAUT07] ist das Unfallrisiko von Kindern bis 15 Jahren in Deutschland in den letzten Jahrzehnten zwar kontinuierlich gesunken. Dennoch wird diese Altersgruppe natürlich weiter bei Unfällen verletzt oder getötet und trägt zumindest als Fußgänger ein höheres Verletzungsrisiko als der Bevölkerungsdurchschnitt (siehe Abbildung 1).
Menschen im Alter von 65 und darüber tragen insgesamt ein geringeres Unfallrisiko als der Bevölkerungsdurchschnitt. Bei Fahrzeugführern tritt zwar in dieser Altersgruppe vermehrt ein (straßenverkehrsrechtliches) Fehlverhalten auf, dabei gefährden sie sich selbst allerdings mehr als andere [ORTL13]. Im Falle von Fußgängerunfällen tragen sie außerdem ein höheres Risiko getötet zu werden (siehe Abbildung 1), was unter anderem damit zu tun hat, dass sie an bestimmten Verletzungen eher sterben als jüngere Menschen.
Verkehrsunfaelle_2.pngAbb. 1: Anzahl der 2016 im Straßenverkehr verunglückten Personen nach Art der Verkehrsteilnahme und Altersgruppe sowie jeweiliger Anteil an der Gesamtbevölkerung in dieser Altersgruppe. Grüne Promillewerte liegen unter dem Wert für die Gesamtbevölkerung, rote liegen darüber und blaue entsprechen dem Gesamtanteil (Quelle: eigene Berechnungen auf Basis von [GovD18]). Diese Daten erlauben keine Aussage über das Unfallrisiko relativ zu zurückgelegten Wegen oder Kilometern oder der im Straßenverkehr verbrachten Zeit. (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Soziale Dimension von Mobilität und Verkehr (Stand des Wissens: 24.06.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?507232
Literatur
[COTH10] Cottrill, Caitlin D., Thakuriah, Piyushimita Vonu Evaluating pedestrian crashes in areas with high low-income or minority populations, veröffentlicht in Accident; analysis and prevention, Ausgabe/Auflage 42 (6), 2010, Online-Referenz doi:10.1016/j.aap.2010.04.012
[CSKM14] Campbell, M., Stone, D. H., Kleinberg, K. F., McLean, R. Down but not out. Incidence and estimated costs to society of road casualties in Strathclyde, veröffentlicht in Public Health, Ausgabe/Auflage 128 (4), 2014, Online-Referenz doi:10.1016/j.puhe.2013.12.014
[GovD18] Geschäfts- und Koordinierungsstelle GovData (Hrsg.) Verunglückte: Deutschland, Jahre, Geschlecht, Altersgruppen,Art der Verkehrsbeteiligung, Ortslage, Schwere der Verletzung, 2018
[HAUT07] Hautzinger, Heinz Wie sicher sind Kinder und Jugendliche im Straßenverkehr in Deutschland?, veröffentlicht in Mehr Sicherheit für Kinder und Jugendliche im Straßenverkehr. Tagungsband. Symposium. 24.-25.9, Berlin, 2007
[MURR98] Murray, Åsa The home and school background of young drivers involved in traffic accidents, veröffentlicht in Accident Analysis & Prevention, Ausgabe/Auflage 30 (2), 1998, Online-Referenz doi:10.1016/S0001-4575(97)00088-2
[ORTL13] Ortlepp, Jörg Unfallgeschehen älterer Verkehrsteilnehmer, veröffentlicht in Ältere Verkehrsteilnehmer - gefährdet oder gefährlich? Tagungsband. Kongress 2013. Bonn, Berlin, 2013
[SCAH17] Coughenour, Courtney, Clark, Sheila, Singh, Ashok, Claw, Eudora, Abelar, James, Huebner, Joshua Examining racial bias as a potential factor in pedestrian crashes, veröffentlicht in Accident; analysis and prevention, Ausgabe/Auflage 98, 2017, Online-Referenz doi:10.1016/j.aap.2016.09.031

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?507191

Gedruckt am Samstag, 20. April 2024 13:36:34