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Sicherheitsempfinden als Bedingung der Teilhabe

Erstellt am: 19.12.2019 | Stand des Wissens: 10.11.2023
Synthesebericht gehört zu:

Der Zugang zum öffentlichen Raum ist nicht nur durch die Gestaltung des Raumes bedingt (beispielsweise durch physische Barrieren oder Infrastruktur), sondern ist vom subjektiven Sicherheitsempfinden der Einzelnen abhängig.
Eine etablierte Messgröße für das situative Sicherheitsempfinden ist die Kriminalitätsfurcht, die als "emotionale Reaktion gegenüber Kriminalitätsgefahren, die als persönliche Bedrohung empfunden werden" definiert wird ([BOKL02, S. 1401; zitiert aus [HIHS18, S. 460]). Abgefragt wird die Kriminalitätsfurcht in der Regel über das situative Sicherheitsgefühl. Eine der am häufigsten eingesetzten Fragen lautet "Wie sicher fühlen Sie sich oder würden Sie sich fühlen, wenn Sie nach Einbruch der Dunkelheit in Ihrer Wohngegend alleine draußen sind?" [HIHS18, S. 461]. Kriminalitätsfurcht ist in der Gesellschaft nicht gleich verteilt. Sie wird überdurchschnittlich häufig durch Frauen und ältere Menschen geäußert. Auch eine schlechte finanzielle Situation und ein niedriges Bildungsniveau wirken sich verstärkend auf das Unsicherheitsgefühl aus [HUMM17].
Um das Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen, bedarf es nicht erst sichtbarer Kriminalität. Schon die Präsenz sogenannter Incivilities wirken sich negativ aus. Der aus dem Englischen entlehnte Sammelbegriff beschreibt "Verletzungen gemeinschaftlicher Standards, die eine Erosion anerkannter Werte und sozialer Normen signalisieren" [HAEF13, S. 21]. Incivilities umfassen beispielsweise öffentlichen Alkoholkonsum, in Gruppen laut Musik hörende Jugendliche oder wahrnehmbare Zerstörungsspuren an Gebäuden oder Gegenständen. Incivilities können straf- oder ordnungsrechtlich relevant sein (beispielsweise Drogenhandel, zerstörte Bushaltestellen), wirken aber häufig auch unterhalb dieser Schwelle abschreckend (beispielsweise Gruppen herumhängender Jugendlicher) [HAEF13] selbst wenn objektiv keine Bedrohung besteht.
Um das Sicherheitsgefühl der Fahrgäste zu verbessern und dem Vandalismus vorzubeugen, setzen einige Verkehrsunternehmen eigene oder externe private Ordnungs- oder Sicherheitsdienste ein, die auf Bahnhöfen und in Fahrzeugen patrouillieren (oft zu Tagesrandzeiten, bei Großereignissen oder in Vergnügungsvierteln). Diese Ordnungsdienste können das Sicherheitsempfinden allerdings durch ihre Präsenz auch negativ beeinflussen, gerade wenn sie ihre Aufgabe uniformiert und bewaffnet ausüben. Insbesondere für Menschen, die behördliche Repression erfahren haben, können sie zudem eine Abschreckung darstellen.
Schlecht beleuchtete oder schlecht einsehbare Räume wie Fußgängerunterführungen oder dunkle Wege können zu Angsträumen werden und die subjektive Bewertung von Bewegungsmöglichkeiten einschränken.
Eine weitere Dimension des Sicherheitsempfindens, die insbesondere ältere sowie körperlich eingeschränkte Menschen betrifft, ist die körperliche Sicherheit vor Unfällen. Die Angst vor Stürzen beispielsweise beeinträchtigt Menschen im höheren Lebensalter insofern, als dass die Betroffenen ihre Mobilität vorsorglich einschränken [ADLR07]. Dieser Form körperlicher Unsicherheit kann vorgebeugt werden, indem öffentlicher Raum barrierefrei und nach dem Leitbild des "Design für alle" gestaltet wird [BMVBS08g]. Für bewegungseingeschränkte Menschen ist auch die Verfügbarkeit von Sitzmöglichkeiten im öffentlichen Raum ein wichtiger Faktor, der ihre Mobilität beeinflusst.
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Soziale Dimension von Mobilität und Verkehr (Stand des Wissens: 24.06.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?507232
Literatur
[ADLR07] Anders, J., Dapp, U., Laub, S., Renteln-Kruse, W. von Einfluss von Sturzgefährdung und Sturzangst auf die Mobilität selbstständig lebender, älterer Menschen am Übergang zur Gebrechlichkeit. Screeningergebnisse zur kommunalen Sturzprävention. , veröffentlicht in Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, Ausgabe/Auflage 40 (4), 2007, Online-Referenz doi:10.1007/s00391-007-0473-z
[BMVBS08g] Dr.-Ing. Helmut Grossmann, STUVA, Köln, Dipl.-Ing. Volker König, Wedel, Dipl.-Ing. Carsten Ruhe, Taubert und Ruhe GmbH, Halstenbek HINWEISE Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum für seh- und hörgeschädigte Menschen, Wirtschaftsverlag NW, Verlag für neue Wissenschaft GmbH, 27568 Bremerhaven, 2008, ISBN/ISSN ISBN: 978 3 86509 867 2, ISSN: 0941 8644
[BOKL02] Boers, Klaus Furcht vor Gewaltkriminalität, veröffentlicht in Internationales Handbuch der Gewaltforschung, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2002
[HAEF13] Häfele, Joachim Die Stadt, das Fremde und die Furcht vor Kriminalität, Springer Fachmedien Wiesbaden, 2013
[HIHS18] Hirtenlehner, Helmut, Hummelsheim-Doss, Dina, Sessar, Klaus Kriminalitätsfurcht. Über die Angst der Bürger vor dem Verbrechen, veröffentlicht in Kriminalsoziologie. Handbuch für Wissenschaft und Praxis, Nomos, 2018
[HUMM17] Hummelsheim-Doss, Dina Objektive und subjektive Sicherheit in Deutschland. Eine wissenschaftliche Annäherung an das Sicherheitsgefühl, veröffentlicht in Aus Politik und Zeitgeschichte, Ausgabe/Auflage 32-33, 2017

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?507141

Gedruckt am Freitag, 19. April 2024 04:55:44