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Zeitliche Aspekte der Teilhabe

Erstellt am: 19.12.2019 | Stand des Wissens: 10.11.2023
Synthesebericht gehört zu:

Die gesellschaftliche Teilhabe wird neben dem räumlichen Aspekt auch durch eine zeitliche Komponente beeinflusst. Dies betrifft zum einen die Abhängigkeit von Öffnungszeiten der Daseinsvorsorgeeinrichtungen. Wenn beispielsweise ein Behördenzentrum nur an vier Stunden pro Woche Besuchszeiten anbietet oder wenn mit unkalkulierbaren Wartezeiten zu rechnen ist, können nicht alle Menschen diese Angebote wahrnehmen. Es besteht zwar inzwischen vermehrt die Möglichkeit, bestimmte Behördengänge durch einen Zugriff auf Online-Dienste zu ersetzen. Dieses ist jedoch von den jeweiligen Aufgabenträgern abhängig und viele wichtige Angebote (bzw. Verpflichtungen) sind weiterhin nur persönlich wahrnehmbar.
Generell begrenzen zeitliche Rahmensetzungen durch Lohnarbeit, Care-Arbeit (wie Pflege und Kindererziehung) und Unterwegszeiten die Möglichkeit der Einzelnen, tägliche Bedürfnisse zu befriedigen. Eingebettet ist dies in das Erleben einer Beschleunigung des allgemeinen Lebenstempos. Diese schlägt sich in einer "Steigerung der [Handlungsepisoden] pro Zeiteinheit" nieder [ROSA05, S. 135]: Es wird weniger Zeit für einzelne Aktivitäten aufgewendet (beispielsweise für Zeit mit der Familie, Essen, Schlaf), während die nicht genutzte Leerzeit zwischen den Aktivitäten minimiert wird.
Der subjektive, in Industriegesellschaften verbreitete Eindruck, in einem Regime sich verknappender Zeitverfügbarkeit gefangen zu sein, führt zum (empfundenen) Zwang, an der Beschleunigung teilzunehmen. Die Kehrseite davon ist die Furcht, in einer schneller werdenden Gesellschaft den Anschluss zu verlieren [ROSA05].
Bezogen auf Bartelheimers Modell der gesellschaftlichen Teilhabe, kann sich die Beschleunigung auf alle vier Dimensionen der Teilhabe auswirken. Im Erwerbsleben führen beispielsweise Strukturwandel und Flexibilisierung der Arbeitszeitmodelle zu einer Zunahme der Pendeldistanzen [DIMA15], die wiederum auf die (empfundene) Zeitknappheit zurückwirken und oft die Verkehrsmittelwahl einschränken.
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Soziale Dimension von Mobilität und Verkehr (Stand des Wissens: 24.06.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?507232
Literatur
[DIMA15] Ditton, Hartmut, Maaz, Kai Sozioökonomischer Status und soziale Ungleichheit, veröffentlicht in Empirische Bildungsforschung. Gegenstandsbereiche, Ausgabe/Auflage 2. überarb. Aufl., Wiesbaden: Springer VS, 2015
[ROSA05] Rosa, Hartmut Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne, Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 1760), 2005

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?507129

Gedruckt am Freitag, 19. April 2024 20:58:45