Finanzielle Aspekte der Teilhabe
Erstellt am: 19.12.2019 | Stand des Wissens: 10.11.2023
Synthesebericht gehört zu:
Im Kontext der Mobilität können finanzielle Handlungsspielräume auch räumliche Aspekte der Teilhabe beeinflussen. Besitz und Nutzung von Mobilitätswerkzeugen wie Pkw oder (Zeit)Karten für öffentliche Verkehrsmittel kosten Geld und ohne sie können schon relativ geringe Distanzen eine hohe Barrierewirkung entfalten. Dadurch können mögliche Arbeitsstellen oder andere Orte der Teilhabe für einzelne Personen und Haushalte unerreichbar werden oder aber die benötigte Mobilität wird so kostspielig, dass an anderer Stelle Einschränkungen in Kauf genommen werden müssen [FREB09]. Generell kann festgestellt werden, dass Haushalte in dünner besiedelten Räumen deutlich häufiger über mindestens einen Pkw verfügen als jene in urbanen Bereichen [Nobi18]. Damit einhergehend tragen sie auch höhere Mobilitätskosten, besonders in Relation zum Haushaltseinkommen [FREB09].
Gerade die Möglichkeit, einen Arbeitsplatz zu erreichen ist in Bezug auf Teilhabe also doppelt relevant, denn die zentrale Einkommensquelle im Zusammenhang mit der Teilhabedebatte sind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Bartelheimer [BAPE07] bezeichnet die Teilhabe an Erwerbsarbeit als erste der vier Teilhabedimensionen. Sie misst sich in Deutschland traditionell daran, ob eine Person einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgeht. Diese Situation wurde lange in der (Bundes-)deutschen Volkswirtschaft als Normalfall angesehen und zwar in Form einer unbefristeten Vollzeitanstellung, die dem Arbeitnehmer ein sicheres Einkommen und eine Vorsorge für das Alter ermöglicht. Auch heute noch basieren die Absicherungssysteme darauf, dass ein Teil des Erwerbseinkommens angespart und in Ansprüche für den Fall der Arbeitslosigkeit bzw. des altersbedingten Ausscheidens aus der Erwerbsarbeit umgewandelt wird (ebd.).
Natürlich können auch selbstständig Beschäftigte von monetären Einschränkungen ihrer sozialen Teilhabemöglichkeiten betroffen sein. Im Jahr 2019 gab es in Deutschland 4,08 Millionen selbstständig Beschäftigte, das entspricht 9,6 Prozent der Erwerbstätigen. 2,2 Millionen waren Soloselbstständige und 1,8 Millionen waren Selbstständige mit Beschäftigten [IAQ20]. Die zweite Gruppe schneidet durchschnittlich in Bezug auf das bedarfsgewichtete Nettoeinkommen besser ab als sowohl Solobeschäftigte als auch Arbeitnehmer [BRBE16]. Außerdem verfügen Selbstständige im Schnitt über mehr eigenes Vermögen als Arbeitnehmer. Gleichzeitig führen Freibetragsgrenzen dazu, dass Soloselbstständige, die am unteren Ende der Einkommensskala zu finden sind, gar nicht statistisch erfasst werden [BRBE16]. Brenke und Beznoska konstatieren zudem, dass es nicht möglich ist, festzustellen, inwiefern jene, die nicht regelmäßig in Renten- oder Lebensversicherungen einzahlen, durch ein eigenes Vermögen abgesichert sind (und somit nicht im Fokus der Teilhabedebatte stehen). Generell werden die Selbstständigen in der Teilhabedebatte nicht gesondert behandelt und entweder in die Gruppe der Erwerbstätigen subsumiert oder aber auf Grund der schwierigen Datenlage ausgeklammert, selbst wenn klar sein muss, dass manche Problematiken dadurch ggf. nur teilweise oder verzerrt erfasst werden können.
Gemessen am jüngeren Aufschwung der deutschen Volkswirtschaft und dem resultierenden Mehrbedarf an Arbeitskräften [Kink18] sollte die ökonomische Teilhabe der Mehrheitsbevölkerung im Sinne der Teilhabe an Erwerbsarbeit gesichert sein: die Zahl sozialversicherungspflichtiger Arbeitsverhältnisse befindet sich auf einem Rekordhoch seit 2006. Auch die Arbeitslosenquote ist mit 5,3 vergleichsweise klein. Die Covid-19-Pandemie hat vor allem im Jahr 2020 für einen Rückgang der Arbeitsverhältnisse bzw. Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt, die aber laut der Arbeitsmarktstatistik zum Zeitpunkt Anfang 2022 weitgehend ausgeglichen sind [BfA22; BfA22a].
Es ist jedoch zu beobachten, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten neben den regulären Beschäftigungsverhältnissen ein wachsender Niedriglohnsektor herausgebildet hat. Ursprünglich als Zwischenlösung für Saisonkräfte und als (Wieder-)Einstiegshilfe in das klassische Arbeitsverhältnis geplant, sind geringfügige Beschäftigungen (Monatseinkommen bis zu 450 Euro, vgl. Paragraf 8(1)1 Sozialgesetzbuch IV) zur Dauererwerbstätigkeit vieler Menschen, insbesondere Frauen, geworden [WIPP12; MEIS18]. 4,7 Millionen Menschen in Deutschland bezogen im Jahr 2016 ihr Haupteinkommen aus diesen so genannten Minijobs, aus denen sie in der Regel keine Beiträge für die gesetzliche Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung generieren [MEIS18].
Da unter anderem die geringfügige Beschäftigung je nach Haushaltszusammensetzung (beispielsweise Alleinverdiener oder nicht) oft nicht zur Sicherung des Existenzminimums reicht, beziehen 865.000 Menschen zusätzlich zu ihrem Arbeitseinkommen sogenannte Hartz-IV-Leistungen (formal: Arbeitslosengeld bzw. ALG II). Wenn der Arbeitslohn nicht das Existenzminimum deckt, empfangen sie als sogenannte Ergänzer entweder Sozialleistungen, oder ergänzen umgekehrt ihre Hartz IV-Bezüge durch ein geringes Erwerbseinkommen [BUA18a; BUA18b].
Bereits lange vor diesen Entwicklungen hat der Soziologe Ulrich Beck in den 1980er-Jahren das Ende des "System[s] standardisierter Vollbeschäftigung" diagnostiziert [BEUL86, S. 222]. Abgelöst werde es, so Beck, von einem "risikoreichen System flexibler, pluraler, dezentraler Unterbeschäftigung" [BEUL86, S. 227]. Bestätigt wird Becks Postulat vom Anstieg der Arbeitsverhältnisse im Niedriglohnbereich (Einkommen geringer als zwei Drittel des nationalen Medianeinkommens) [SCHM10b]. Diese geben den Betroffenen keine Möglichkeit, eine finanzielle Reserve anzulegen bzw. für das Alter vorzusorgen. Die Niedriglohn-Jobs gelten daher als Vorläufer der Altersarmut [SCHM10b] die ihrerseits die Teilhabechancen von Millionen von Menschen gefährdet.
Aus finanzieller Perspektive haben die Teilhabechancen armer Menschen trotz der gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen auf Grund einer zunehmenden Ungleichverteilung des Wohlstands jedoch insgesamt abgenommen. Das durchschnittliche verfügbare Haushaltseinkommen der am wenigsten verdienenden 20 Prozent der deutschen Bevölkerung (Abbildung 1: 1. und 2. Dezil) ist zwischen 1991 und 2016 zurückgegangen, während das Einkommen der Besserverdienenden gestiegen ist. Die 10 Prozent mit dem höchsten Einkommen (10. Dezil) konnten im selben Zeitraum einen überdurchschnittlichen Zuwachs im Einkommen von mehr als 30 Prozent verzeichnen [MaJa19].
Gerade die Möglichkeit, einen Arbeitsplatz zu erreichen ist in Bezug auf Teilhabe also doppelt relevant, denn die zentrale Einkommensquelle im Zusammenhang mit der Teilhabedebatte sind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Bartelheimer [BAPE07] bezeichnet die Teilhabe an Erwerbsarbeit als erste der vier Teilhabedimensionen. Sie misst sich in Deutschland traditionell daran, ob eine Person einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgeht. Diese Situation wurde lange in der (Bundes-)deutschen Volkswirtschaft als Normalfall angesehen und zwar in Form einer unbefristeten Vollzeitanstellung, die dem Arbeitnehmer ein sicheres Einkommen und eine Vorsorge für das Alter ermöglicht. Auch heute noch basieren die Absicherungssysteme darauf, dass ein Teil des Erwerbseinkommens angespart und in Ansprüche für den Fall der Arbeitslosigkeit bzw. des altersbedingten Ausscheidens aus der Erwerbsarbeit umgewandelt wird (ebd.).
Natürlich können auch selbstständig Beschäftigte von monetären Einschränkungen ihrer sozialen Teilhabemöglichkeiten betroffen sein. Im Jahr 2019 gab es in Deutschland 4,08 Millionen selbstständig Beschäftigte, das entspricht 9,6 Prozent der Erwerbstätigen. 2,2 Millionen waren Soloselbstständige und 1,8 Millionen waren Selbstständige mit Beschäftigten [IAQ20]. Die zweite Gruppe schneidet durchschnittlich in Bezug auf das bedarfsgewichtete Nettoeinkommen besser ab als sowohl Solobeschäftigte als auch Arbeitnehmer [BRBE16]. Außerdem verfügen Selbstständige im Schnitt über mehr eigenes Vermögen als Arbeitnehmer. Gleichzeitig führen Freibetragsgrenzen dazu, dass Soloselbstständige, die am unteren Ende der Einkommensskala zu finden sind, gar nicht statistisch erfasst werden [BRBE16]. Brenke und Beznoska konstatieren zudem, dass es nicht möglich ist, festzustellen, inwiefern jene, die nicht regelmäßig in Renten- oder Lebensversicherungen einzahlen, durch ein eigenes Vermögen abgesichert sind (und somit nicht im Fokus der Teilhabedebatte stehen). Generell werden die Selbstständigen in der Teilhabedebatte nicht gesondert behandelt und entweder in die Gruppe der Erwerbstätigen subsumiert oder aber auf Grund der schwierigen Datenlage ausgeklammert, selbst wenn klar sein muss, dass manche Problematiken dadurch ggf. nur teilweise oder verzerrt erfasst werden können.
Gemessen am jüngeren Aufschwung der deutschen Volkswirtschaft und dem resultierenden Mehrbedarf an Arbeitskräften [Kink18] sollte die ökonomische Teilhabe der Mehrheitsbevölkerung im Sinne der Teilhabe an Erwerbsarbeit gesichert sein: die Zahl sozialversicherungspflichtiger Arbeitsverhältnisse befindet sich auf einem Rekordhoch seit 2006. Auch die Arbeitslosenquote ist mit 5,3 vergleichsweise klein. Die Covid-19-Pandemie hat vor allem im Jahr 2020 für einen Rückgang der Arbeitsverhältnisse bzw. Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt, die aber laut der Arbeitsmarktstatistik zum Zeitpunkt Anfang 2022 weitgehend ausgeglichen sind [BfA22; BfA22a].
Es ist jedoch zu beobachten, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten neben den regulären Beschäftigungsverhältnissen ein wachsender Niedriglohnsektor herausgebildet hat. Ursprünglich als Zwischenlösung für Saisonkräfte und als (Wieder-)Einstiegshilfe in das klassische Arbeitsverhältnis geplant, sind geringfügige Beschäftigungen (Monatseinkommen bis zu 450 Euro, vgl. Paragraf 8(1)1 Sozialgesetzbuch IV) zur Dauererwerbstätigkeit vieler Menschen, insbesondere Frauen, geworden [WIPP12; MEIS18]. 4,7 Millionen Menschen in Deutschland bezogen im Jahr 2016 ihr Haupteinkommen aus diesen so genannten Minijobs, aus denen sie in der Regel keine Beiträge für die gesetzliche Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung generieren [MEIS18].
Da unter anderem die geringfügige Beschäftigung je nach Haushaltszusammensetzung (beispielsweise Alleinverdiener oder nicht) oft nicht zur Sicherung des Existenzminimums reicht, beziehen 865.000 Menschen zusätzlich zu ihrem Arbeitseinkommen sogenannte Hartz-IV-Leistungen (formal: Arbeitslosengeld bzw. ALG II). Wenn der Arbeitslohn nicht das Existenzminimum deckt, empfangen sie als sogenannte Ergänzer entweder Sozialleistungen, oder ergänzen umgekehrt ihre Hartz IV-Bezüge durch ein geringes Erwerbseinkommen [BUA18a; BUA18b].
Bereits lange vor diesen Entwicklungen hat der Soziologe Ulrich Beck in den 1980er-Jahren das Ende des "System[s] standardisierter Vollbeschäftigung" diagnostiziert [BEUL86, S. 222]. Abgelöst werde es, so Beck, von einem "risikoreichen System flexibler, pluraler, dezentraler Unterbeschäftigung" [BEUL86, S. 227]. Bestätigt wird Becks Postulat vom Anstieg der Arbeitsverhältnisse im Niedriglohnbereich (Einkommen geringer als zwei Drittel des nationalen Medianeinkommens) [SCHM10b]. Diese geben den Betroffenen keine Möglichkeit, eine finanzielle Reserve anzulegen bzw. für das Alter vorzusorgen. Die Niedriglohn-Jobs gelten daher als Vorläufer der Altersarmut [SCHM10b] die ihrerseits die Teilhabechancen von Millionen von Menschen gefährdet.
Aus finanzieller Perspektive haben die Teilhabechancen armer Menschen trotz der gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen auf Grund einer zunehmenden Ungleichverteilung des Wohlstands jedoch insgesamt abgenommen. Das durchschnittliche verfügbare Haushaltseinkommen der am wenigsten verdienenden 20 Prozent der deutschen Bevölkerung (Abbildung 1: 1. und 2. Dezil) ist zwischen 1991 und 2016 zurückgegangen, während das Einkommen der Besserverdienenden gestiegen ist. Die 10 Prozent mit dem höchsten Einkommen (10. Dezil) konnten im selben Zeitraum einen überdurchschnittlichen Zuwachs im Einkommen von mehr als 30 Prozent verzeichnen [MaJa19].
Abb. 1: Entwicklung der verfügbaren Haushaltseinkommen nach Dezilen [MaJa19]
Ob auf der Ebene der Sicherheit des Arbeitsplatzes, des zeitlichen Umfangs einer Beschäftigung oder der Höhe des Einkommens: der ehemalige Regelfall Vollzeit, unbefristet, sozialversichert, auskömmlich wird zunehmend abgelöst. Dieser Wandel der Erwerbsarbeit limitiert auch die finanziellen Handlungsspielräume der Erwerbstätigen sowie der ggf. von ihnen finanziell Abhängigen, insbesondere im Falle von geringfügig bezahlter und / oder prekärer Beschäftigung. Damit beschränken sich auch die gesellschaftlichen Teilhabechancen.