Lärmreduktion durch Behandlung der Schienenoberflächen
Erstellt am: 27.06.2003 | Stand des Wissens: 17.05.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Verfahren zur Behandlung der Schienenoberflächen werden primär zur Entfernung von Schienenfehlern eingesetzt, seit einigen Jahren allerdings auch zur Lärmminderung [CzDi13]. Das an der Kontaktfläche zwischen Rad und Schiene entstehende Rollgeräusch ist eine sehr bedeutsame Lärmquelle im Schienenverkehr. Für die Entstehung des Rollgeräusches ist neben anderen Einflussfaktoren die Oberflächenbeschaffenheit der Schienen von großer Bedeutung. Prinzipiell gilt: Je glatter die Fahrfläche, desto geringer ist die durch Zugfahrten verursachte Schallabstrahlung. Durch eine maschinelle Bearbeitung der Schienenfahrflächen (zum Beispiel Schleifen, Hobeln, Fräsen) können Oberflächenunregelmäßigkeiten behoben werden.
Unebenheiten der Schienenkopfoberfläche sind typische Verschleißerscheinungen aufgrund der enormen Krafteinwirkungen an der Kontaktfläche Rad-Schiene. Zusätzliche Beschädigungen resultieren aus dem Überfahren mit schadhaften Rädern. Die Oberflächenfehler treten als Riffel und Wellen sowie als Einzelfehler auf. Sie haben eine Erhöhung der Lärmemission von bis zu 10 Dezibel(A) zur Folge. Daneben sinkt der Fahrkomfort für Reisende durch die höhere Lärmentwicklung und den unruhigen Lauf. Ab einer Riffeltiefe von 0,1 Millimeter ist ein deutlich höherer Verschleiß des Schienenoberbaus festzustellen. Die Oberflächenbehandlung verringert Rauheiten und beseitigt Oberflächenfehler [HeRu00, S. 16 f.; BaTe02b, S. 33 f.].
Mit Hilfe von Schienenschleifen lässt sich bei Instandhaltungsmaßnahmen eine Oberflächengüte sicherstellen, die in der Vorschrift Schall 03 als durchschnittlicher Schienenzustand bezeichnet wird. Die Emissionswerte dieser akustisch durchschnittlich guten Gleise liegen bis zu 10 Dezibel(A) unter denen schlecht gewarteter Gleise. Gegenüber der Verbindung "raue Schiene - raues Rad" kann die glatte Beschaffenheit beider Komponenten sogar einen um 15 Dezibel(A) verminderten Schallpegel aufweisen [Hart05, S. 324; 16. BImSchV, Anlage 2 "Schall03"].
Abbildung 1 verdeutlicht am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland den Anstieg des Geräuschemissionspegels mit Beginn des Schleifens. Die Höhe des Anstiegs ist abhängig von der auf den Gleisen verkehrenden Fahrzeugart. "Bei den leisesten Fahrzeugen (mit Scheibenbremsen und daher mit glatteren Rädern) liegt er mit 0,9 Dezibel(A) pro Jahr ungefähr dreimal so hoch wie bei Güterwagen mit Grauguss-Bremsklötzen, bei denen der Unterschied beinahe im vernachlässigbaren Bereich liegt. Nach acht Jahren entspricht das Niveau der Geräuschemissionen dem bei einem durchschnittlich glatten Gleis" [EUKOM03d, S. 19 f.]. Das Lärmminderungspotenzial verbesserter Schienenschleifverfahren nimmt also mit steigender Glätte des Rades zu.
Abb. 1: Lärmemissionspegelanstieg nach Schienenschleifen [EUKOM03d, S. 21]
Auch neue Schienen werden beim Bau von Neu- und Ausbaustrecken bereits vor dem ersten Befahren geschliffen, da sich die Riffelbildung durch Entfernen der oberen kohlenstoffarmen Schichten deutlich hinauszögern lässt. Gleichzeitig werden aus dem Baubetrieb resultierende Oberflächenschädigungen beseitigt [HeRu00, S. 16 f.].
Aufgrund des niedrigen Arbeitstempos konventioneller Schleifmaschinen war das Schleifen im normalen Betrieb ohne Streckensperrpause bislang nicht möglich. Mit der neu entwickelten Technik des Hochgeschwindigkeitsschleifens (englisch High-Speed Grinding) können entsprechende Arbeiten nun mit einer Geschwindigkeit von bis zu 80 Kilometer pro Stunde durchgeführt werden; damit kann ein Schleifvorgang künftig in den Fahrplan integriert werden. Das sogenannte präventive Schleifen sorgt dafür, dass Verriffelungen und andere Schienenfehler, die erhöhte Schallemissionen nach sich ziehen, gar nicht erst entstehen. [Püsc09]
Abb. 2: Schienenschleifzug im Einsatz [BaTe01c]
Kopfgehärtete Schienen
Darüber hinaus wurden in den vergangenen Jahren neue Schienen auf Schnellfahrstrecken eingebaut und getestet. Anstelle der herkömmlichen UIC-60-Schienen kamen sogenannte Head Special Hardened rails (HSH-Schienen) zum Einsatz, deren Köpfe in einem Spezialverfahren gehärtet werden. Untersuchungsergebnisse zeigen, dass die Riffelbildung von Schienen der naturharten Güteklassen zwei- bis dreimal so hoch ist wie die der HSH-Schiene. Gleichzeitig sind die Schädigungstiefen geringer, wodurch Schleifzüge bei kopfgehärteten Schienen Risse und Riffel mit weniger Aufwand und außerdem erheblich schneller beseitigen können [BaTe03b, S. 31].
Besonders überwachtes Gleis
Ein spezielles Schleifen kann unter akustischen Gesichtspunkten eine weitere dauerhafte Lärmreduktion um 3 Dezibel(A) bewirken, die als Abschlag bei der Schallberechnung angesetzt werden kann [DBAG09d, S. 17]. Ein so behandeltes, akustisch optimiertes Gleis wird in der Schall 03 ein "besonders überwachtes Gleis (BÜG)" genannt. Die betreffenden Streckenabschnitte werden in regelmäßigen Abständen - durchschnittlich zweimal jährlich - mit einem Schallmesszug überprüft und, falls notwendig, anschließend nachgeschliffen. Das seit 1998 angewandte Verfahren soll stufenweise auf eine Streckenlänge von 1000 Kilometer Neu- und Ausbaustrecke ausgeweitet werden. Da das Eisenbahn-Bundesamt die effektive Schallminderung des BÜG anerkannt hat, werden so Einsparungen bei der Lärmvorsorge und -sanierung ermöglicht. Denn mit Einrichtung des BÜG können gleichzeitig Anzahl beziehungsweise Dimensionen von Schallschutzwänden und -fenstern reduziert werden [Brei02a, S. 344; BaTe01c; BaTe02b, S. 35]. Entsprechend rechnet sich das BÜG mit seinen höheren Instandhaltungskosten nur in der Nähe von Wohngebieten [KnKl02, S. 48]. Die Kosten für eine zweigleisige Strecke bei jährlichem Schleifen werden auf etwa 7.500 Euro pro Kilometer und pro Jahr beziffert [HeRu00, S. 48]. Weitere Details zum BÜG finden sich in der EU-Studie Noise as part of a European rail grinding strategy [EUKOM04aj, S. 23 ff.].
Detektion von Schienenfehlern
Um die Qualität des Gleises überwachen zu können, werden die Schienen der wichtigen Netzabschnitte regelmäßig mit Schienenprüfzügen auf Basis eines Ultraschallverfahrens kontrolliert. Dabei handelt es sich um ein Volumen-Prüfverfahren. Dieses lässt zwar die Untersuchung eines vergleichsweise großen Schienenquerschnittsbereiches zu, die Fahrkanten lassen sich jedoch mit dieser Methode nur sehr schwer überprüfen. Durch den verstärkten Einsatz von härteren Stahlsorten und Härtungen am Schienenkopf als Reaktion auf die höheren Streckenbelastungen haben sich zudem die Schadensbilder an der Schiene verändert. So treten inzwischen vermehrt sogenannte head checks auf (kleine Risse), da sich der Materialabtrag durch Verschleiß bei den härteren Schienen verringert hat. Nun ist er nicht mehr groß genug, als dass Oberflächendefekte durch den normalen Fahrbetrieb abgetragen werden könnten. Daher wurde 2003 von der DB Netz AG eine Wirbelstromprüftechnik vorgestellt, die Oberflächenschäden zuverlässiger und frühzeitiger detektieren kann [Müll03c, S. 46; ERI03a, S. 280].
Kritik an der Wirksamkeit des Schienenschleifens
Untersuchungen des Umweltbundesamtes haben allerdings gezeigt, dass die Gleis-Schleifverfahren zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen. "Das 'Oberbauschleifen' der Gleise, das meist der Betriebssicherheit dient, bringt bei Zügen mit Graugussklotz-gebremsten Wagen mit nur 1,5 Dezibel(A) wenig Geräuschreduzierung. Scheibengebremste Züge erreichen hingegen eine Pegelminderung von 3 bis 4 Dezibel(A). Um die Vorgaben der Berechnungsverfahren hier einzuhalten, müssten im Mittel alle neun Jahre die Gleise geschliffen werden. Das aufwändigere, 'akustische Schleifen' - Bestandteil der Lärmminderungsmaßnahme 'Besonders überwachte Gleis' - reduziert bei scheibengebremsten Zügen die Geräuschentwicklung um 6 bis 7 Dezibel(A). Bei Zügen mit Graugussklotzbremsen aber ergibt sich durch diese Schleiftechnik auch hier nur eine Verbesserung von 1,5 Dezibel(A). Um den Zielwert für das 'Besonders überwachte Gleis' einzuhalten, müsste - über alle Züge gemittelt - alle zwei Jahre ,'akustisch' geschliffen werden" [UBA04b].
Auch in puncto Kosten-Nutzen-Verhältnis kann sich das Schienenschleifen ohne flankierende Maßnahmen gegenüber anderen Maßnahmen nicht durchsetzen. Das liegt in der oben erwähnten fehlenden Wirksamkeit von glatten Schienen bei Kontakt mit rauen Rädern. Deshalb wird eine Kombination von Schienenschleifen mit dem Einsatz von K-Bremssohlen, Schallabsorbern und optimierten Rädern sowie Lärmschutzwänden als günstigste Kosten-Nutzen-Alternative empfohlen. [OsPr12]