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Ökonomische Anreizsysteme für den Betrieb lärmarmer Schienenfahrzeuge

Erstellt am: 27.06.2003 | Stand des Wissens: 07.11.2018
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Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

In der Praxis wird eine Umsetzung marktreifer lärmarmer Technologien durch die fehlende, aber notwendige Aussicht auf Amortisation der zusätzlichen Fahrzeuginvestitionen gehemmt. Insbesondere der teuren Umrüstung des bestehenden Fahrzeugparks standen bei den Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) bis zum Fahrplanwechsel 2012/13 keine zusätzlichen Einnahmen oder Kostenreduktionen gegenüber [BMVI19as, S. 43]. Neben der Einführung von Emissionsgrenzwerten sowie staatlich unterstützter Umbauprogramme wird über reduzierte Trassengebühren für lärmarme Fahrzeuge ein Umrüstanreiz gesetzt, welcher eine Migration lärmarmer Fahrzeugtechnologien beschleunigen soll.

Mit dem Fahrplanwechsel 2012/13 führte die DB Netz AG als größtes deutsches Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) das lärmabhängige Trassenpreissystem (laTPS) ein. Dabei wird bei Güterwagen, welche noch nicht mit lärmarmen Technologien ausgestattet sind, ein Zuschlag in Höhe von einem Prozent beziehungsweise ab der Netzfahrplanperiode 2016/17 von 3 Prozent des Trassenentgelts erhoben. Bei einer Zugkomposition von 80 Prozent (ab 2016: 90 Prozent) lärmarmen Fahrzeugen wird dieser Zuschlag erlassen. [ BMVI15m, S. 43]. Als nicht lärmarme Technologien zählen in diesem Kontext insbesondere Grauguss-Bremsen, mit denen ein Großteil der derzeit verkehrenden Güterwagen ausgestattet ist. [Butz12]

Die Einnnahmen aus der lärmabhängigen Entgeltkomponente dienen der Subventionierung der Güterwagenumrüstung von Grauguss- auf die lärmärmeren LL-Sohlen. Der sogenannte Lärmminderungsbonus beträgt 0,28 Cent je Achskilometer und geht somit von einer Refinanzierung der Umrüstkosten innerhalb von 5,22 Jahren aus (Annahme: 30.000 Betriebskilometer/Jahr, 1.754 Euro Umrüstkosten je 4-achsigem-Wagen). Für diese Maßnahme stellt das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) weitere 16 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung, jedoch maximal 152 Millionen Euro (50 Prozent der Umrüstkosten). Dieser Bonus geht direkt an die Wagenhalter. [Spec12, S. 9 ff.]

Kritiker bezeichnen die Höhe der Anreize als zu niedrig, um eine Amortisation der Umrüstkosten seitens der Logistikunternehmen betriebswirtschaftlich zu rechtfertigen [DVZ12; Spec12]. Auch sei durch die Nicht-Berücksichtigung von bereits umgebauten und neuen Fahrzeugen bei den Bonuszahlungen eine Benachteiligung der Pioniere zu erkennen. Ferner fehle eine Staffelung des Boni für die bessere Förderung etwaiger noch lärmärmerer Technologien. [Spec12, S. 9 f.] Ein weiterer Kritikpunkt ist der Verwaltungsaufwand für die Erfassung der Laufleistungen, die Beantragung der Auszahlung und die Überprüfung der Vergütung, der sich verdoppelt, wenn die Wagenhalter das gleiche Verfahren mit den EVU abwickeln müssen [Hein12a]. Eine deutliche Erhöhung der jährlichen Beiträge könnte eine Lösung der anfallenden Mehrkosten darstellen; eine Beschleunigung der Umrüstung hingegen die Aufnahme in das mittlerweile mit 120 Millionen Euro jährlich dotierte Lärmsanierungsprogramm [Tusc12, S. 122; Kloc14, S. 17].

Internationale Entwicklung

Erwägungen der EU-Kommission zielen auf eine länderübergreifend koordinierte sowie harmonisierte Einführung entsprechender Entgeltkonzepte für die Infrastrukturbenutzung ab. Im Zuge einer Neufassung der Richtlinie 2001/14/EG, welche unter anderem die Zuweisung von Schienenfahrwegkapazitäten sowie die Entgelterhebung für eine Nutzung von Eisenbahninfrastruktur adressiert [2001/14/EG Kapitel II und III], wird die Kommission daher eine Implementierung lärmabhängiger Trassenpreise vorgeschlagen [EUKOM08e, S. 8]. Die Studie "Analyses of preconditions for the implementation and harmonisation of noise-differentiated track access charges" widmet sich vor diesem Hintergrund der Untersuchung der für ein entsprechend harmonisiertes Vorgehen geeigneten Bedingungen [EUKOM09j].

Das Schweizer Trassenpreissystem beinhaltet seit dem 01.01.2004 sowohl eine zusätzliche Lärmkomponente als auch einen Lärmminderungsbonus. Das deutsche System ist dem des Nachbarstaates somit sehr ähnlich. Aus Praktikabilitätsgründen wird in der Schweiz keine Zählung geräuscharmer Achsen im Betriebsalltag vorgenommen. Stattdessen erfolgt eine Abschätzung basierend auf der Anzahl geräuscharmer Fahrzeuge und der jährlichen Einsatzplanung. Das Schweizer Bundesamt für Verkehr führt daher nur stichprobenartige Kontrollen durch. Der Bonus beträgt ab 2013 in der Schweiz 2,64 Cent und ist somit fast um das Zehnfache höher als in der Bundesrepublik Deutschland. [SBB04, S. 3; EUKOM09j, S. 20 f.; Spec12] Darüber hinaus werden die Umrüstkosten den Wagenhaltern vom Bund voll erstattet [Hein12a].
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Lärmemissionen des Schienenverkehrs (Stand des Wissens: 27.02.2019)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?312886
Literatur
[BMVI15m] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur Lärmschutz im Schienenverkehr - Alles über Schallpegel, innovative Technik und Lärmschutz an der Quelle, 2015/05
[BMVI19as] Bundesministerium für Digitales und Verkehr Lärmschutz im Schienenverkehr, BMVI, Berlin, 2019/05/20
[Butz12] Butzbach, Volker Nutzungsentgelte Schienennetz: Das Trassenpreissystem der DB Netz AG, veröffentlicht in Deine Bahn, Ausgabe/Auflage 04/2012, Bahn Fachverlag GmbH, Berlin, 2012/04, ISBN/ISSN 0948-7263
[DVZ12] o.A. Anreiz zur Umrüstung auf leise Bremse zu niedrig, veröffentlicht in Deutsche Verkehrszeitung - DVZ, Ausgabe/Auflage 43/44, Deutscher Verkehrs-Verlag GmbH, Hamburg, 2012, ISBN/ISSN 0342-166X
[EUKOM08e] o. A. Lärmschutzmaßnahmen am aktuellen Schienenfahrzeugbestand - Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, 2008, 2008/07/08
[EUKOM09j] o. A. ANALYSES OF PRECONDITIONS FOR THE IMPLEMENTATION AND HARMONISATION OF NOISE-DIFFERENTIATED TRACK ACCESS CHARGES - FINAL REPORT, London, 2009/10
[Hein12a] Heinrici, T. Viel gewollt, wenig erreicht, veröffentlicht in DVZ, Ausgabe/Auflage 126, DVV Media Group GmbH, Hamburg, 2012
[Kloc14] Klocksin, J. Die Herausforderung Lärmschutz an der Schiene und die Initiativen des Bundes, 2014
[SBB04] o.A. Leistungskatalog Infrastruktur, 2004
[Spec12] Speck, Georg Flüsterbremsen: Anreizsysteme für die Umrüstung von Güterwagen, veröffentlicht in Güterbahnen, Ausgabe/Auflage 01/2012, Alba Fachverlag, Düsseldorf, 2012/01, ISBN/ISSN 1610- 5273
[Tusc12] Tuscher, J. Die Sicht der Wagenhalter auf das
lärmabhängige Trassenpreissystem, veröffentlicht in EI - der Eisenbahningenieur, Ausgabe/Auflage 09, DVV Media Group GmbH | Eurailpress, Hamburg, 2012/09, ISBN/ISSN 0013-2810
Weiterführende Literatur
[Frie02a] Friedrich, Axel, Dr. Anforderungen an einen verbesserten Lärmschutz im Verkehrsbereich aus Sicht des Umweltbundesamtes, veröffentlicht in VCD Tagungsband - Anforderungen an eine neue Verkehrslärmgesetzgebung, 2002/10
[DVZ07h] k.A. Bahngüterverkehr soll leiser werden, veröffentlicht in Deutsche Verkehrs-Zeitung, Ausgabe/Auflage 125, DVV Media Group, 2007/10/18
[BR06] o.A. Bundesrat fordert Lärmreduzierung beim Schienengüterverkehr, 2006/12/15
[HeSa01] Hecht, Markus, Prof. Dr.-Ing., Salz, Dorothea, Dipl.-Ing. Dieseltriebwagen für Regionalverkehr - Geräuschverhalten und Grenzwerte, veröffentlicht in Eisenbahntechnische Rundschau, Ausgabe/Auflage 10, Hestra-Verlag, 2001, ISBN/ISSN 0013 - 2845
[BMBF03a] Danzer, Peter, Dipl.-Ing. Entwicklung eines leichten und lärmarmen Güterwagen-Drehgestells - LEILA-DG Arbeitspaket 410 - Life Cycle Costs (LCC), 2003/03
[Kali05] Kalivoda, Manfred T. Fahrzeugselektive Überwachung der Geräuschemission von Schienenfahrzeugen, veröffentlicht in ZEVrail Glasers Annalen, Tagungsband SFT Graz 2005, 2005/11, ISBN/ISSN 1618-8330
[HeOt04] Othman, Dipl.-Ing. Yacin Ben, Hecht, Markus, Prof. Dr.-Ing. Kostenmindernde Einbindung der Betreiber durch lärmbasiertes Trassenpreiskonzept, veröffentlicht in Eisenbahn-Revue International, Ausgabe/Auflage 05, 2004, ISBN/ISSN 1421-2811
[BMVBS07a] o. A. Nationales Verkehrslärmschutzpaket, 2007/02/02
[2001/14/EG] Richtlinie 2001/14/EG über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn, die Erhebung von Entgelten für die [...] Eisenbahninfrastruktur und die Sicherheitsbescheinigung
[EIBV] Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung
Glossar
Eisenbahninfrastrukturunternehmen Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) ist ein Rechtsbegriff des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG). Gemäß § 2 Abs. 1 AEG sind Eisenbahninfrastrukturunternehmen öffentliche Einrichtungen oder privatrechtlich organisierte Unternehmen die eine Eisenbahninfrastruktur betreiben.
BMDV
Bundesministerium für Digitales und Verkehr (bis 10/2005 BMVBW, bis 12/2013 BMVBS und bis 11/2021 BMVI)
Eisenbahninfrastrukturunternehmen
Zur Erhaltung des Schienennetzes zählen Maßnahmen zur Instandhaltung und für die Durchführung von Ersatzinvestitionen. Grundsätzlich tragen die Eisenbahninfrastrukturunternehmen die dabei anfallenden Kosten, werden aber nach der LuFV vom Bund mit einem bestimmten Betrag jährlich unterstützt.
LL-Bremssohle
Eine LL-Bremssohle (eng. für wenig Lärm, wenig Abrieb = Low noise, Low friction) ist eine Verbundstoff-Bremssohle und stellt den zentralen Bestandteil der bei Eisenbahngüterwagen verwendeten Klotzbremse dar. Sie sind im Vergleich zur technologisch veralteten Grauguss-Bremssohle deutlich leiser und stellen eine preisgünstige Alternative zur Umrüstung mit der sog. Komposit-Bremssohle (K-Sohle) dar.
EVU Eisenbahnverkehrsunternehmen
Eisenbahnverkehrsunternehmen Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) sind öffentliche Einrichtungen oder privatrechtlich organisierte Unternehmen, die Eisenbahnverkehrsleistungen erbringen. "Eisenbahnverkehrsunternehmen" stellt einen europarechtlichen Begriff dar, welcher durch nationales Recht in Form von § 2 (1) des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) konkretisiert wird.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?49408

Gedruckt am Donnerstag, 28. März 2024 13:29:58