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Lösungsansätze zur Reduzierung des Schienenverkehrslärms

Erstellt am: 27.06.2003 | Stand des Wissens: 01.11.2018
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Bei der Verminderung des Schienenverkehrslärms kann grundsätzlich zwischen zwei Herangehensweisen unterschieden werden: die Bekämpfung der Schallentstehung durch primäre Maßnahmen (Schallvermeidung) und die Verhinderung der Schallausbreitung durch sekundäre Maßnahmen (Schallschutz).
Maßnahmen zur Schallvermeidung
Im Emissionsbereich wird die Schallentstehung an der Quelle bekämpft, indem die schallauslösenden Schwingungen reduziert oder gedämpft werden. Von besonderer Bedeutung im Schienenverkehr ist das Rollgeräusch, das im wichtigen [mittleren] Geschwindigkeitssegment (80 bis 200 Kilometer pro Stunde) die Schallabstrahlung dominiert. Die lärmverursachenden Unebenheiten an Rad und Schiene können vor allem durch radschonende Bremstechnologien und regelmäßiges Schienenschleifen reduziert werden. Zudem kommen schwingungsdämpfende Maßnahmen am Radsatz wie auch an der Schiene zum Einsatz. Die im Hochgeschwindigkeitsbereich relevanten, aeroakustischen Schallquellen können durch die verbesserte Gestaltung der Fahrzeugverkleidung und die optimierte Konstruktion des - schalltechnisch bedeutsamen - Stromabnehmers verringert werden [HeRu00, S. 12 f.].
Schallschutzmaßnahmen
Hinsichtlich des Schallschutzes ergeben sich zwei Ansätze zur Schallausbreitungsreduktion:
Die bisher dominierende Form des Lärmschutzes im Schienenverkehr umfasst Maßnahmen, die streckenseitig im Transmissionsbereich ansetzen. Dabei versucht man jedoch nicht, die Entstehung der Schallabstrahlung zu verhindern, sondern die Weiterleitung des Schalls von der Quelle zum Empfänger zu blockieren beziehungsweise zumindest zu hemmen. Diese sogenannten aktiven Schallschutzmaßnahmen wirken direkt am Verkehrssystem Bahn (am Fahrzeug oder am Fahrweg). Die wichtigsten Beispiele hierfür sind fahrzeugseitige Laufwerksschürzen oder - als derzeit am häufigsten angewandte Maßnahme - die konventionelle Schallschutzwand. Einen Überblick über den im Rahmen des Konjunkturprogramms II der Bundesregierung erprobten Einsatzes innovativer Techniken zur aktiven Lärm- und Erschütterungsminderung am Fahrweg vermittelt der Abschlussbericht der DB NetzAG [DBAG12x, Anlage 1].
Passive Schallschutzmaßnahmen sind schalldämmende Veränderungen an vom Lärm betroffenen Gebäuden; sie setzen also erst am Immissionsort an. Hierzu zählen insbesondere der Einbau von Schallschutzfenstern, -türen und schallgeschützten Permanentlüftern sowie die Dämmung von Außenwänden und Dächern. Sie finden Verwendung, wenn der Bau der bevorzugten Schallschutzwände aus städtebaulichen, topographischen, technischen oder wirtschaftlichen Gründen abgelehnt wird [DBAG11l, S. 8 ff.].
Wirtschaftliche und ordnungspolitische Aspekte
Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass Maßnahmen an der Geräuschquelle bei makroskopischer Betrachtung ein besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweisen (Abbildung 1) [OsHi10, S.393; Brei02a, S. 344; HeRu00, S. 42 ff. u. S. 70; DBAG02e, S. 33]. Dabei werden die mit einem lärmvermeidungsrelevanten Instrumentarium (primäre Maßnahmen) erzielbaren Kostensenkungspotenziale gegenüber sekundären Maßnahmen (unter anderem passiver/aktiver Lärmschutz) auf bis zu 40 Prozent beziffert [HeOt04, S. 212]. Da jedoch Instrumente, die auf eine verminderte Geräuschentstehung abzielen, erst langfristig zu einer Reduktion des schienenverkehrsinduzierten Schallpegels führen, dominieren gegenwärtig weiterhin sekundäre, sprich konventionelle Schallschutzmaßnahmen.

Visualisierung der Ergebnisse aus STAIRRS.jpgAbb. 1: Projekt "STAIRRS - Strategies and Tools to Assess and Implement noise-reducing measures for Railway Systems", Ergebnisdarstellung [Hübn11, S. 27]


In der Praxis wird eine Umsetzung marktreifer lärmarmer Technologien durch fehlende, notwendige Amortisationsaussichten für zusätzliche Fahrzeuginvestitionen gehemmt. Die teure Umrüstung des vorhandenen Güterwagenbestands auf neue Bremstechnologien und fehlende Zusatzeinnahmen beziehungsweise Kostenreduktionen stehen sich hier fast unversöhnlich gegenüber [ScBe03, S. 41 f.]. Mit dem Fahrplanwechsel 2012/2013 wurde das lärmabhängige Trassenpreissystem (laTPS) als ökonomisches Anreizsystem eingeführt, das den Wagenhaltern einerseits einen laufleistungsabhängigen Bonus aus Bundesmitteln auszahlt und andererseits den Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) einen ebenso hohen Bonus gewährt, wenn sie lärmarme Güterwagen einsetzen. Dabei wird Letzterer durch einen Zuschlag des Trassenpreises finanziert, den die EVU bei Verwendung lauter Güterwagen zu entrichten haben. [BMVI19as, S. 43 f.] Das laTPS soll einen Umrüstanreiz geben und die Migration lärmarmer Fahrzeugtechnologien beschleunigen. Die Umsetzung wird jedoch in Deutschland vielfach kritisiert. [DVZ12; Hein12a]

Ein wichtiges politisches Instrument zur Lärmminderung sind Grenzwerte in Form von Emissions- und Immissionsvorschriften. Bislang existieren in Deutschland jedoch keine national verbindlichen Geräuschemissionsgrenzwerte für Schienenfahrzeuge, die im Straßen- und Luftverkehr bereits seit geraumer Zeit eine lärmsenkende Wirkung entfalten. Entsprechende gesetzliche Regelungen besitzen gegenwärtig nur auf europäischer Ebene Gültigkeit, wobei hier lediglich Verkehre des transeuropäischen Schienennetzes betroffen sind und sich die betreffenden Richtlinien ausschließlich auf neu zugelassene, erneuerte sowie umgerüstete Fahrzeuge beziehen [2011/229/EU; 2008/232/EG].

Die nationalen Immissionsgrenzwerte gelten nur auf Neubaustrecken und Strecken, an denen wesentliche Veränderungen vorgenommen wurden. Für das übrige deutsche Schienennetz finden sie aufgrund von Bestandsschutzbestimmungen keine Anwendung [Reis02, S. 126; Heim98a, S. 437]. Trotz fehlenden Rechtsanspruchs werden seit dem Haushaltsjahr 1999 im Rahmen des BMVBS-Programms "Maßnahmen zur Lärmsanierung an bestehenden Schienenwegen des Bundes" umfangreiche Lärmsanierungsmaßnahmen an vorhandenen, baulich nicht veränderbaren Eisenbahnstrecken durchgeführt. Aktuell stehen für diese Aktivitäten Finanzmittel in Höhe von 100 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung [DBAG12h; KrLe11; BMVBS09l, S. 8 ff.; DBAG09d, S. 18; BMVBW05a].
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Lärmemissionen des Schienenverkehrs (Stand des Wissens: 27.02.2019)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?312886
Literatur
[BMVBS09l] o.A. Nationales Verkehrslärmschutzpaket II - "Lärm vermeiden - vor Lärm schützen", Bonn, 2009/08/27
[BMVBW05a] o.A. Maßnahmen zur Lärmsanierung an bestehenden Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes - Gesamtkonzept der Lärmsanierung, 2005/02/11
[BMVI19as] Bundesministerium für Digitales und Verkehr Lärmschutz im Schienenverkehr, BMVI, Berlin, 2019/05/20
[Brei02a] Breimeier, Rudolf, Dr.-Ing. Halbierung des Güterzuglärms möglich, veröffentlicht in Eisenbahn-Revue International, Ausgabe/Auflage 7, MINIREX AG CH-6002 Luzern, 2002, ISBN/ISSN 1421-2811
[DBAG02e] o.A. Umweltbericht der Deutsche Bahn AG 2002, 2003
[DBAG09d] o. A. Schallschutz - eine Investition in die Zukunft der Bahn [2009], Berlin, 2009/12
[DBAG11l] Bundesministerium für Digitales und Verkehr Lärmsanierung an bestehenden Schienenwegen des Bundes, 2011/02
[DBAG12h] o. A. Lärmsanierung bei der Deutschen Bahn, 2012/07/19
[DBAG12x] Deutsche Bahn AG Konzern, Degen, K. G., Asmussen, B. Innovative Maßnahmen zum Lärm- und Erschütterungsschutz am Fahrweg - Schlussbericht, 2012/06/15
[DVZ12] o.A. Anreiz zur Umrüstung auf leise Bremse zu niedrig, veröffentlicht in Deutsche Verkehrszeitung - DVZ, Ausgabe/Auflage 43/44, Deutscher Verkehrs-Verlag GmbH, Hamburg, 2012, ISBN/ISSN 0342-166X
[Heim98a] Heimerl, G., Hennige, K., Hugo, K., Mather, M. Klassische Schallschutzmaßnahmen versus Low - Noise - Technologie , veröffentlicht in Eisenbahntechnische Rundschau, Hestra-Verlag Darmstadt, 1998/07, ISBN/ISSN 0013 - 2845
[Hein12a] Heinrici, T. Viel gewollt, wenig erreicht, veröffentlicht in DVZ, Ausgabe/Auflage 126, DVV Media Group GmbH, Hamburg, 2012
[HeOt04] Othman, Dipl.-Ing. Yacin Ben, Hecht, Markus, Prof. Dr.-Ing. Kostenmindernde Einbindung der Betreiber durch lärmbasiertes Trassenpreiskonzept, veröffentlicht in Eisenbahn-Revue International, Ausgabe/Auflage 05, 2004, ISBN/ISSN 1421-2811
[HeRu00] Henninge, K., Dipl.-Ing., Dobeschinsky, Harry, Dr.-Ing., Heimerl, Gerhard, em. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h., Rückert, Ulrich, Dipl.-Ing. Wirtschaftliche Beurteilung von LNT-Schallschutzkombinationsmaßnahmen an Fahrzeug und Fahrweg für das Netz der DB AG, 2000
[Hübn11] Hübner, Peter, Dipl.-Ing. Lärmabhängige Trassenbenutzungsgebühren, veröffentlicht in Eisenbahntechnische Rundschau, Ausgabe/Auflage 01/2011, DVV Media Group GmbH / Hamburg , 2011/01, ISBN/ISSN 0013-2845
[KrLe11] Kraft, Oliver, Dipl.-Ing. Inf., LeDosquet, Gerd, Dipl.-Ing. Innovative noise abatement along the permanent way, veröffentlicht in Railway Technical Review, Ausgabe/Auflage 01/2011, DVV Media Group GmbH / Hamburg , 2011/01, ISBN/ISSN 0079-9548
[OsHi10] Ostermann, Norbert, Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn., Hierzer, Ruth, Dr. Lärmreduktion im Schienenverkehr - ein systematischer Ansatz, veröffentlicht in Eisenbahntechnische Rundschau, Ausgabe/Auflage 06/2010, DVV Media Group GmbH / Hamburg , 2010/06, ISBN/ISSN 0013-2845
[Reis02] Reiss, Gerhard, Dipl.-Ing. Methoden zur akustischen Optimierung von Schienenfahrzeugen, veröffentlicht in ZEVrail Glasers Annalen, Ausgabe/Auflage 11, Georg Siemens Verlag Berlin, 2002, ISBN/ISSN 1618-8330
[ScBe03] Beier, Manfred, Dr. rer. nat., Grütz, Hans-Peter, Dipl.-Ing., Jäger, Klaus, Dipl.-Ing., Kock, Gerdy, Dipl.-Ing., Onnich, Johannes, Dipl.-Ing., Schulte-Werning, Burkhard, Dr.-Ing., Strube, Roger, Dipl.-Ing. Auf dem Weg zur leisen Bahn: Das DB-Innovationsprogramm zur Lärmminderung im Schienenverkehr, veröffentlicht in Eisenbahntechnische Rundschau, Ausgabe/Auflage 1/2, 2003, ISBN/ISSN 0013-2845
Weiterführende Literatur
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[UBA99c] Müller-BBM Geräuschemissionen von Schienenfahrzeugen - Ermittlung und Fortentwicklung des Lärmminderungspotentials beim Schienenverkehr und seine Umsetzung in Geräuschvorschriften, 1999/03/31
[UBA20m] Umweltbundesamt (Hrsg.) Gute Praxisbeispiele kompakter und zugleich lärmarmer städtischer Quartiere, veröffentlicht in Texte | 195/2020, 2020/11, ISBN/ISSN 1862-4804
[EUKom08] PriceWaterhouse Coopers Impact assessment study on rail noise abatement measures addressing existing fleets , Brüssel, 2007/12/10
[BMBF05b] Fiseni, Felix, Meuresch, Dr. Siegfried , Isensee, Steffen, Dipl.-Ing. Innovation für die Schiene, Bahnforschungsprojekte des BMBF, 2005
[WiPi05] Dipl.-Ing. Nicolas Wille,, Matthias Pippert,, Dipl.-Ing. Christian Reuter Potenziale und Maßnahmen der Eisenbahnverkehrsunternehmen für einen ökologisch optimierten Schienenverkehr, veröffentlicht in Eisenbahntechnische Rundschau, Eurailpress Tetzlaff-Hestra GmbH & Co. KG, Hamburg, 2005/10, ISBN/ISSN 0013 - 2845
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[Krüg05] Krüger, Friedrich, Dr.-Ing. Schallemissionen im Schienenverkehr - ein Rückblick auf 25 Jahre Forschung bei der STUVA, veröffentlicht in Verkehr und Technik, Ausgabe/Auflage 03, Erich Schmidt Verlag, 2005, ISBN/ISSN 0340-4536
[Krüg05a] Krüger, Friedrich, Dr.-Ing. Schallemissionen im Schienenverkehr - ein Rückblick auf 25 Jahre Forschung bei der STUVA - Teil 2, veröffentlicht in Verkehr und Technik, Ausgabe/Auflage 04, 2005, ISBN/ISSN 0340-4536
[2006/66/EG] Technische Spezifikation für die Interoperabilität (TSI) zum Teilsystem "Fahrzeuge - Lärm" des konventionellen transeuropäischen Bahnsystems
[2008/232/EG] Technischen Spezifikation für die Interoperabilität Teilsystem "Fahrzeuge" des transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsbahnsystems
[2011/229/EU] Technische Spezifikationen für die Interoperabilität in Bezug auf das Teilsystem "Fahrzeuge - Lärm" des konventionellen transeuropäischen Bahnsystems
Glossar
Neubaustrecke Als Neubaustrecken bezeichnet man gänzlich neu errichtete Verkehrswege, die einem bestehenden Netz hinzugefügt werden. Im Eisenbahnwesen findet der Begriff zumeist auf für den Hochgeschwindigkeitsverkehr gebaute Strecken Anwendung, wobei diese entweder exklusiv durch Personenbeförderungsangebote oder gemeinsam mit dem Güterverkehr genutzt werden. Das konstruktive Anforderungsniveau von Neubaustrecken reicht dabei gemeinhin über die für Ausbaustrecken (ABS) geltende Anforderungen hinaus.
BMDV
Bundesministerium für Digitales und Verkehr (bis 10/2005 BMVBW, bis 12/2013 BMVBS und bis 11/2021 BMVI)
EVU Eisenbahnverkehrsunternehmen
Eisenbahnverkehrsunternehmen Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) sind öffentliche Einrichtungen oder privatrechtlich organisierte Unternehmen, die Eisenbahnverkehrsleistungen erbringen. "Eisenbahnverkehrsunternehmen" stellt einen europarechtlichen Begriff dar, welcher durch nationales Recht in Form von § 2 (1) des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) konkretisiert wird.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?49251

Gedruckt am Donnerstag, 28. März 2024 16:48:38