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Emissionshandel im Luftverkehr

Erstellt am: 06.02.2018 | Stand des Wissens: 12.07.2023
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Der Anteil des Luftverkehrs an den totalen globalen CO2-Emissionen beträgt zurzeit ungefähr 3 Prozent. Dabei gilt der flugverkehrsbedingte Kohlenstoffdioxid-(CO2-)Ausstoß in höheren Luftschichten als doppelt so klimaschädlich wie auf dem Boden emittiertes CO2 [IPCC07a]. Die Europäischen Union (EU) hat sich dazu bekannt, ihre Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050 um 80 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu senken [EuKom11l]. Ein EU-Emissionshandelssystem (EU-ETS), das viele Wirtschaftsbranchen mit einbezieht, soll als Instrument helfen, dieses Ziel zu erreichen. Mit der Verabschiedung der Richtlinie 2008/101 der Europäischen Kommission (EC) zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EC ist auch der Luftfahrtsektor ab dem Jahr 2012 in den europäischen Emissionshandel einbezogen worden. Demnach dürfen Fluggesellschaften grundsätzlich nur noch so viel CO2 emittieren, wie sie äquivalente Rechte beziehungsweise Zertifikate dafür besitzen.
Gleichzeitig wurde die gesamte Menge der ETS-Zertifikate entsprechend erhöht, indem den Luftfahrzeugbetreibern Zertifikate in Höhe von 97 Prozent der historischen Luftverkehrsemissionen kostenfrei zugeteilt wurden. Je nachdem, wie das Umweltziel der EU hinsichtlich aller CO2-Emissionen aus den ETS-einbezogenen und nicht einbezogenen Wirtschaftszweigen beschaffen ist, könnte dies eine Aufweichung des Umweltziels impliziert haben oder auch nicht.
Die Funktionsweise des EU-ETS als cap and trade System lässt sich wie folgt skizzieren: Die Gesamtmenge der CO2-Zertifikate ist EU-weit beschränkt, und dies begrenzt automatisch die Menge der CO2-Emissionen aller zertifikatspflichtigen Branchen in der EU (cap). Mit der Einbeziehung des Luftverkehrssektors wurden im Rahmen der dritten Handelsperiode 2013 die zuvor ausschließlich nationalen caps, erstmals auf europäischer Basis gemeinsam festgelegt.
Die Zertifikate werden entweder umsonst zugeteilt oder versteigert (zukünftig sollen sie alle versteigert werden). Sie können dann gehandelt werden (trade). Auf diese Weise werden diejenigen Unternehmen, die hohe CO2-Vermeidungskosten haben, Zertifikate erwerben, während diejenigen mit geringen Vermeidungskosten Zertifikate verkaufen und Emissionen vermeiden. Dies ist volkswirtschaftlich effizient. Die Einbeziehung des Luftverkehrssektors kann also auch dann ökologisch und ökonomisch sinnvoll sein, wenn der Luftverkehr seine Emissionen gar nicht absenkt, da dann andere Sektoren verstärkte Anstrengungen unternehmen und vom Luftverkehrssektor dafür teilweise bezahlt werden.
Gemäß Richtlinie 2003/87/EG sollte sich der Anwendungsbereich des EU-ETS ab 2012 grundsätzlich auf die gesamte Strecke aller Flüge zwischen zwei Flughäfen in der EU sowie zwischen einem EU-Flughafen und einem Drittland-Flughafen erstrecken [2003/87/EG]. Die erforderliche Zertifikatmenge orientierte sich am Durchschnitt der Emissionen des Luftverkehrs in einem Referenzzeitraum (zunächst die Jahre 2004 bis 2006). Die Zertifikate sollten zu 15 Prozent durch Auktion sowie zu 85 Prozent kostenlos (Artikel 3d Absatz 1 und 2, Artikel 3f Absatz 8) zugeteilt werden. Anschließend sollten die Zertifikate zwischen den Unternehmen frei gehandelt werden können (Artikel 12 Absatz 1). Falls eine Fluggesellschaft nicht über die nötigen Zertifikate verfügte, um den verursachten CO2-Verbrauch abzudecken, wurde eine Sanktion in Höhe von 100,- Euro je ausgestoßener Tonne CO2 vorgesehen (Artikel 16 Absatz 3).
Die Einbeziehung des internationalen Luftverkehrs in das EU-ETS stieß auf politischen Widerstand der USA, Russlands, Chinas, Indiens und anderer Staaten. Dies veranlasste die EU, durch den sogenannten Stop-the-Clock-Beschluss Nummer 377/2013/EU alle interkontinentalen Flüge auszuklammern. Das EU-ETS wird somit nur auf Flüge zwischen Flughäfen der EU angewendet. Es betrifft damit rund 40 Prozent aller in der EU startenden oder landenden Flüge.
Der Stop-the-Clock-Beschluss erging auch infolge einer Zusage der ICAO, die globalen CO2-Emissionen des internationalen Luftverkehrs auf dem Niveau von 2020 zu stabilisieren und bis 2016 dafür ein globales marktbasiertes Klimaschutzinstrument auszuarbeiten, welches ab 2020 gelten soll (ICAO-Resolutionen A38-17/2 und A38-18). Auf der 39. ICAO-Versammlung im Oktober 2016 wurde als Klimaschutzinstrument (ICAO-System: CORSIA) ein ab 2021 freiwillig und ab 2026 dann bindendes sog. Offsetting-System festgelegt [ICAO16c]. CO2-Emissionen aus dem internationalen Luftverkehr dürfen demnach nur dann zunehmen, wenn die Fluggesellschaften an der Börse gehandelte Zertifikate für Projekte (auch außerhalb des Luftverkehrs) zur CO2-Reduzierung in mindestens gleichem Umfang finanzieren. 70 Staaten haben bereits ihre freiwillige Teilnahme zugesagt; sie generieren 85 Prozent des weltweiten Luftverkehrsaufkommens. Ob und wie CORSIA mit dem EU-ETS integriert werden kann, ist derzeit noch unklar.
Der Marktpreis für die CO2-Zertifikate des EU-ETS lag bis 2011 bei ungefähr 15 Euro und war dann aufgrund eines Überangebots auf ungefähr 5 Euro gefallen. Bemühungen der EU-Mitgliedsstaaten den Zertifikatspreis zu stabilisieren, um die Wirksamkeit des EU-ETS zu erhöhen, führen seit Ende des Jahres 2017 zu einer stetigen Steigerung des Preises, der im August 2018 bei 20 Euro lag [UBA18p]. Ab dem Jahr 2019 soll das Überangebot durch die sogenannte Marktstabilitätsreserve schrittweise weiter abgebaut werden, und spätestens im Jahr 2021, mit Beginn der bis 2030 laufenden vierten Handelsperiode, werden strengere Zielsetzungen erwartet.
Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Luftverkehrspolitik (Stand des Wissens: 12.07.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?184144
Literatur
[EuKom11l] Europäische Kommission KOM/2011/0112, Fahrplan für den Übergang zu einer wettbewerbsfähigen C02-armen Wirtschaft bis 2050, 2011/03/11
[ICAO16c] Internationale Zivilluftfahrtorganisation (International Civil Aviation Organization-ICAO) Consolidated statement of continuing ICAO policies and practices related to environmental protection - Global Market-based Measure (MBM) scheme, 2016
[IPCC07a] Solomon, S., , D. Qin, M. Manning, , R.B. Alley, , T. Berntsen, , N.L. Bindoff, , Z. Chen, , A. Chidthaisong, , J.M. Gregory, , G.C. Hegerl, , M. Heimann, , B. Hewitson, , B.J. Hoskins, , F. Joos, , J. Jouzel, , V. Kattsov, , U. Lohmann, , T. Matsuno, , M. Molina, , N. Nic Technical Summary. In: Climate Change 2007: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Fourth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change, 2007
[UBA18p] Umweltbundesamt Treibhausgasemissionen 2017, 2018/03
Rechtsvorschriften
[2003/87/EG] EU-Richtlinie 2003/87/EG über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten
Glossar
EU-Emissionshandelssystem Das EU-Emissionshandelssystem (EU ETS) ist ein 2003 vom Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament beschlossenes marktwirtschaftliches Instrument, die im Kyoto-Protokoll gesetzten Klimaschutzziele zu erreichen. Anlagenbetreiber (zur Zeit sind etwa 11.000 Fabriken und Kraftwerke erfasst) müssen bei Überschreiten der ihnen fest vorgegebenen Emissionsberechtigungen Strafen bezahlen (100 Euro pro Tonne CO2), sofern keine Zertifikate zur Tilgung vorgelegt werden können. Diese Zertifikate vergeben solche Betreiber, die die o.g. Grenzwerte unterschritten haben. Die Nachweispflicht liegt in jedem Fall bei dem Anlagenbetreiber.
ICAO
Die International Civil Aviation Organization (ICAO) ist die Internationale Zivilluftfahrtorganisation zur Vereinheitlichung und Regelung der Zivilluftfahrt durch Veröffentlichungen von Richtlinien und Empfehlungen.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?478890

Gedruckt am Freitag, 29. März 2024 13:28:47