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Potenziale und Chancen des Nichtmotorisierten Verkehrs

Erstellt am: 05.06.2003 | Stand des Wissens: 10.08.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Die Verkehrsarten des Nichtmotorisierte Individualverkehrs (NMIV) verfügen über das Potenzial, zahlreiche positive Wirkungen im Verkehrssystem zu erzeugen. Diese gewinnen angesichts der Forderung nach einer umweltverträglichen Abwicklung des Verkehrs zunehmend an Gewicht. Aber auch unter anderen Blickwinkeln ist es förderlich, das Zufußgehen und das Radfahren wieder mehr in den Fokus der Verkehrsplanung zu rücken. Die im Folgenden genannten Vorzüge des Nichtmotorisierten Individualverkehrs verdeutlichen sein Potential.
Beim Nichtmotorisierten Individualverkehr handelt es sich um die umweltverträglichsten Fortbewegungsarten, da bei der Nutzung kein Kohlenstoffdioxid (CO2) ausgestoßen wird, kaum Lärm entsteht, keine Belastung durch Feinstaub verursacht wird und weniger Verkehrsfläche als beim Motorisierten Individualverkehr (MIV) benötigt wird. Somit wirkt der Nichtmotorisierte Individualverkehr der Lärmbelastung, dem Flächenverbrauch sowie der Flächenversiegelung entgegen und trägt aktiv zum Umwelt- und Klimaschutz bei [AGFS07, S. 26; Reut11; Mesch08].
Der Nichtmotorisierte Individualverkehr fördert auch die Gesundheit. Dieser Effekt erreicht eine gesamtgesellschaftliche Dimension dadurch, dass die Herz-Kreislauf-Erkrankungen - die die häufigste Todesursache darstellen [Stat16k] - nachweislich verringert und das Immunsystem gestärkt werden. Regelmäßiges Gehen fördert beispielsweise die Zellneuentstehung im Körper als auch die Neubildung von Nervenzellen im Gehirn und trägt damit körperlich sowie geistig zur Verlangsamung der Alterung bei [AGFS07, S. 27; Mesch08].
Attraktive Angebote für den Fußgänger- und Radverkehr tragen zudem zur Verbesserung des Wohnumfeldes bei [BMVBW02c]: Durch die bereits genannten positiven Aspekte des Nichtmotorisierten Verkehrs wird das Wohnumfeld sicherer, ruhiger und qualitativ hochwertiger. Durch eine gezielte Ansiedlung und gute Erreichbarkeit von Einrichtungen der Nahversorgung im Wohnumfeld kann das Potenzial zur nichtmotorisierten Nahmobilität gesteigert werden. Attraktive Aufenthaltsräume fördern zudem die Naherholung der Bewohner [AGFS07, S. 20 f.]. Hierzu trägt auch eine maßvolle Anordnung von Pkw-Stellplätzen bei, sodass genügend freie Flächen mit Aufenthaltsqualität verfügbar bleiben.
Auch die Ansiedlung von Fachkräften kann durch ein attraktives Rad- und Fußwegenetz motiviert werden, da bei Wohnortentscheidungen zunehmend auch Aspekte eine Rolle spielen, die mit dem Nichtmotorisierten Individualverkehr in Verbindung stehen (unter anderem Qualität des Umfelds, Kinder- und Familienfreundlichkeit ) [AGFS07, S. 28 ff.].
Der Nichtmotorisierte Individualverkehr erlangt auch als Wirtschaftsfaktor zunehmende Bedeutung. Hiervon profitieren zunächst der Einzelhandel, gastronomische Einrichtungen und der Tourismus. Die Tendenz, statt eines einmaligen Jahresurlaubs mehrere Kurzurlaube zu bevorzugen, verstärkt die Umsätze des Rad-, Wander- und Städtetourismus, sofern attraktive Gehwege und Radverkehrsanklagen angeboten werden. Die Entwicklung, Herstellung und der Verkauf sowie die Reparatur eines immer differenzierteren Angebots an Fahrrädern steigert das entsprechende Auftragsvolumen der Industrie sowie des Handels- und Dienstleistungssektors [BMVBW02c].
Außerdem stellt der Nichtmotorisierte Individualverkehr und die Förderung dessen eine Chance im Streben nach sozialer Gerechtigkeit dar. Im Gegensatz zu dem Motorisierten Individualverkehr ist der Zugang in der Regel einfacher und kostengünstiger. Die spezifischen Umweltkosten des Autoverkehrs werden zu einem erheblichen Teil nicht von den Verursachenden getragen, sondern auf die Gesellschaft übertragen. Menschen mit niedrigem Einkommen sind tendenziell stärker von den negativen verkehrsbedingten Umweltwirkungen wie Luftschadstoffen und Lärm betroffen. Personen, für die Fußverkehr eine wichtige Rolle spielt, wie zum Beispiel Frauen, Kinder und ältere Menschen, sind durch die autogerechten Städte benachteiligt [UBA20ak].
Die Vorteile und Chancen des Nichtmotorisierten Verkehrs sowie dessen Förderung lassen sich auch in Form eines individuellen und eines gesellschaftlichen Nutzens differenzieren [BMVBW98h; BMVBW02c; UBA20ak]:
Individueller Nutzen:
  • einkommens- und altersunabhängige Mobilität,
  • jederzeitige Verfügbarkeit,
  • kurze Wegezeiten,
  • kostengünstig sowie
  • positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Gesundheit.
Gesellschaftlicher Nutzen:
  • mögliche Kostensenkung für kommunale Verkehrsinfrastrukturen,
  • Senkung der Krankheitskosten und Entlastung der Sozialversicherungssysteme,
  • Steigerung stadt- und straßenräumlicher Qualitäten,
  • Verbesserung der Mobilität von Personen (insbesondere von Personen ohne Pkw-Verfügbarkeit),
  • umweltfreundlich in Bezug auf Schadstoff- und Treibhausgasemissionen und Lärm,
  • bessere Erreichbarkeit von Einzelhandelsläden und gastronomischen Einrichtungen.
Letztlich steigert der Nichtmotorisierte Individualverkehr durch die Vielzahl an Potenzialen und Chancen die Lebensqualität. Insbesondere für Städte können sich daraus deutliche Standortvorteile ergeben.
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Potenziale des Nichtmotorisierten Verkehrs (Stand des Wissens: 06.02.2021)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?493248
Literatur
[AGFS07] Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundliche Städte, Gemeinden und Kreise in Nordrhein Westfalen e.V. (AGFS) Nahmobilität im Lebensraum Stadt, Ausgabe/Auflage 1. Auflage, 2007/05
[BMVBW02c] Bundesministerium für Digitales und Verkehr Nationaler Radverkehrsplan 2002-2012, 2002/04
[BMVBW98h] o.A. Erster Bericht der Bundesregierung über die Situation des Fahrradverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 1998/03
[Mesch08] Meschik, M. Planungshanduch Radverkehr, Springer-Verlag/Wien., 2008
[Reut11] Reutter, Oscar Kopf an: Motor aus. Für null CO2 auf Kurzstrecken - Ergebnisse der Kampagne 2009, 2011
[Stat16k] Gestorbene nach Todesursachen, 2016
[UBA20ak] Umweltbundesamt (Hrsg.) Verkehrswende für ALLE. So erreichen wir eine sozial gerechtere und umweltverträglichere Mobilität, 2020/08
Weiterführende Literatur
[BASt12a] BSV Büro für Stadt- und Verkehrsplanung Dr.-Ing. Reinhold Baier GmbH, IVU Umwelt GmbH, Baier, R., Schuckließ, W., Jachtmann, Y., Diegmann, V., Mahlau, A., Gässler, G. Einsparpotenziale des Stadtverkehrs, 2012/06
[BMVBS12q] Bundesministerium für Digitales und Verkehr Nationaler Radverkehrsplan 2020, Berlin, 2012/10
[UBA13] TU Dresden, Lehrstuhl Verkehrs- und Infrastrukturplanung, Prof. Dr.-Ing. G.-A. Ahrens, Ahrens, Gerd-Axel, Becker, Udo, Böhmer, Thomas, Richter, Falk, Wittwer, Rico Potenziale des Radverkehrs für den Klimaschutz, veröffentlicht in TEXTE, Ausgabe/Auflage 19/2013, Dessau-Roßlau, 2013/03, ISBN/ISSN 1862-4804
Glossar
Motorisierter Individualverkehr Als motorisierter Individualverkehr (MIV) wird die Nutzung von Pkw und Krafträdern im Personenverkehr bezeichnet. Der MIV, als eine Art des Individualverkehrs (IV), eignet sich besonders für größere Distanzen und alle Arten von Quelle-Ziel-Beziehungen, da dieser zeitlich als auch räumlich eine hohe Verfügbarkeit aufweist. Verkehrsmittel des MIV werden von einer einzelnen Person oder einem beschränkten Personenkreis eingesetzt. Der Nutzer ist bezüglich der Bestimmung von Fahrweg, Ziel und Zeit frei (örtliche, zeitliche Ungebundenheit des MIV).
CO
= Kohlenstoffmonoxid. CO ist eine chemische Verbindung aus Kohlenstoff und Sauerstoff und gehört damit neben Kohlenstoffdioxid zur Gruppe der Kohlenstoffoxide. Es ist ein farb-, geruch- und geschmackloses Gas. Kohlenstoffmonoxid beeinträchtigt die Sauerstoffaufnahme von Menschen und Tieren. Schon kleine Mengen dieses Atemgiftes haben Auswirkungen auf das Zentralnervensystem.
Es entsteht bei der unvollständigen Oxidation von kohlenstoffhaltigen Substanzen. Dies erfolgt zum Beispiel beim Verbrennen dieser Stoffe, wenn nicht genügend Sauerstoff zur Verfügung steht oder die Verbrennung bei hohen Temperaturen stattfindet. Kohlenstoffmonoxid selbst ist brennbar und verbrennt mit Sauerstoff zu Kohlenstoffdioxid. Hauptquelle für die CO-Belastung der Luft ist der Kfz-Verkehr.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?47234

Gedruckt am Freitag, 19. April 2024 09:14:59