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Akteure im Umfeld des automatisierten Fahrens

Erstellt am: 09.06.2017 | Stand des Wissens: 28.12.2023
Synthesebericht gehört zu:

Die Entwicklungen im Zusammenhang mit der zunehmenden Automatisierung von Verkehrsdienstleistungen und Fahrzeugen werden von unterschiedlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Akteuren vorangetrieben und bestimmt. Um eine effektive Zusammenarbeit zu ermöglichen und die Potenziale des automatisierten Fahrens wirtschaftlich und gesellschaftlich zu heben, ist es erforderlich, die verschiedenen Zielstellungen und Aufgaben zu kennen und miteinander abzustimmen.
Die traditionellen Fahrzeughersteller und ihre Zulieferer stehen vor der Herausforderung, Fahrzeuge herzustellen, die automatisiertes Fahren bis hin zu autonomem Fahren schrittweise technologisch mit höchster Sicherheit im Verkehrsgeschehen ermöglichen. Dabei spielt die Entwicklung von Sensoren und Aktuatoren (Gegenstück der Sensoren, die elektrische Signale in mechanische Bewegungen umsetzen), von digitaler Bilderkennung und Verkehrssituationsanalyse eine besondere Rolle. Für automatisiert beziehungsweise autonom fahrende Fahrzeuge ist es essenziell, dass eine Vielzahl unterschiedlichster digitaler Daten erhoben wird und diese in komplexe Softwarealgorithmen einfließen. Diese sollen die Umwelt so modellieren, dass es unter Anwendung entsprechender Strategie- und Planungsalgorithmen selbständig "richtige Entscheidungen" trifft und sichere Wege im Verkehrsnetz findet [Beck16].
Damit rücken die Fahrzeughersteller und deren Zulieferer einerseits immer näher an die Informations- und Kommunikationsbranche, da leistungsfähige Prozessoren und Betriebssysteme, aber auch Kommunikationsnetze mit hohen und sicheren Übertragungsraten benötigt werden. Andererseits können diese ursprünglich branchenfremden Technologieunternehmen zum direkten Wettbewerber bei digitalen Dienstleistungsangeboten werden und selbst Kundenbeziehungen im Mobilitätsmarkt aufbauen. Fahrzeughersteller stehen damit vor der Herausforderung mit innovativen Produktbündeln Kunden zu begeistern und an sich zu binden, zum Beispiel im Zusammenhang mit digitalen Unterhaltungsangeboten oder durch "individuell zugeschnittene Wartungspakete, die das Fahrzeug in herstellereigene Werkstätten lotsen" [McK15].
Agieren Fahrzeuge völlig autonom und stehen Nachfragenden jederzeit an jedem Ort zur Nutzung zur Verfügung, besteht die Möglichkeit, dass der private Fahrzeugbesitz auf gesellschaftlicher Ebene nicht mehr oberste Priorität hat, sondern die Fahrzeugnutzung entsprechend des Fahrzwecks im Vordergrund steht. Hersteller stehen damit vor der Herausforderung, dass weniger universell nutzbare, sondern stärker spezialisiertere Fahrzeuge insbesondere durch Flottenbetreiber nachgefragt werden, um sie am Mobilitätsmarkt anzubieten. Das bedeutet für Automobilhersteller zum einen veränderte Vertriebs- und Servicestrukturen, da das Privatkundengeschäft sich hin zu einem Großkundengeschäft entwickeln könnte, und zum anderen, dass die Hersteller selbst zum Flottenanbieter beziehungsweise Dienstleister im integrierten Mobilitätsmarkt werden [ScRo16].
Um das Zusammenwirken, die Wiederverwendung und Austauschbarkeit von Softwarekomponenten zwischen Automobilherstellern und Zuliefern zu beherrschen, wurde bereits 2003 die AUTOSAR (AUTOmotive Open System ARchitecture) Partnerschaft gegründet. Die Spezifikation des AUTOSAR-Standards gilt als der "weltweite Standard für Softwareinfrastruktur, Systembeschreibung mit einem durchgängigen Entwurfsprozess und standardisierten Austauschformaten zwischen allen beteiligten Entwicklungspartnern (Stand Oktober 2014: über 180 Firmen, Stand Dezember 2023: 366 Firmen) [FüBu15; AUTO23]. Dabei arbeitet das Konsortium nach dem Prinzip, kooperativ Standards zu setzen, diese jedoch wettbewerblich in Systeme zu implementieren.

Die Internationale Standardisierungsorganisation hat mit der ISO 26262 [ISO26262] im November 2011 eine Systemnorm für den automobilen Bereich veröffentlicht, die die technischen Anforderungen und Prozesse "an die Entwicklung sicherheitskritischer Komponenten und Systeme von Straßenfahrzeugen" definiert, indem Richtlinien, Entwicklungs- und Kontrollmethoden zu funktionalen Sicherheit von elektrischen und elektronischen (E/E)-Komponenten festgelegt werden. Die Aufgabe der Standardisierung wird in diesem Umfeld in der Festlegung von Entwicklungszielen gesehen jedoch nicht von Lösungen, um Potenziale ausschöpfen und Innovationen ermöglichen zu können. Fahrzeughersteller erstellen darauf aufbauend Lastenhefte mit funktionalen Sicherheitsanforderungen, die durch die Systemanbieter im Sicherheitskonzept spezifiziert und umgesetzt werden [WEW15].
Da die Thematik des automatisierten beziehungsweise autonomen Fahrens, das traditionelle Führen eines Fahrzeuges und damit das Fahren und Fahrerlebnis grundlegend ändert, sind auf Seiten der Rechtsprechung und deren gesetzlichen Grundlagen neue Reglungen notwendig. Hierbei stehen die gesetzgebenden Institutionen in der Verantwortung. Dabei sind sowohl nationale als auch internationale rechtliche Rahmenbedingen anzupassen, aufeinander abzustimmen und möglichst zu vereinheitlichen, um automatisiertes sowie autonomes Fahren zuzulassen [VDA15a; ScRo16]. So sind unter anderem die erforderlichen Voraussetzungen im Hinblick der Zulassungsbedingungen von Fahrzeugen und Fahrzeugverantwortlichen zu schaffen sowie für die Veränderungen im Straßenverkehrs- und Haftungsrecht vor dem Hintergrund der Fahrer- beziehungsweise Herstellerhaftung und unter Berücksichtigung von Fragen der Verantwortlichkeit und Akzeptanz. Zunehmend werden Fragen der Datensicherheit und des Datenschutzes bezüglich des Umgangs mit individuell erhobenen Mobilitätsdaten und deren zum Teil kollektiven Nutzung Berücksichtigung in rechtlichen Reglungen finden müssen [BeSa16].
Aufgabe der öffentlichen Hand mit ihren unterschiedlichen Körperschaften ist es im Bereich des automatisierten Fahrens Rahmenbedingungen zu schaffen und den Ausbau der Infrastruktur entsprechend der Erfordernisse für sichere Verkehrskonzepte zu gewährleisten. Das Bundesverkehrsministerium entwickelt hierzu langfristige Strategien, die es in Kooperation mit den anderen Akteuren umzusetzen gilt. Vier Ziele stehen dabei im Mittelpunkt [BMVI15r]:
  • Optimierung der Verkehrseffizienz
  • Reduktion von Verkehrsrisiken
  • Reduktion von Umweltbelastungen
  • Sicherung der Position Deutschlands als führender Marktanbieter.
Da automatisiertes Fahren neben einer physisch baulichen und der verkehrstechnischen Infrastruktur eine sichere digitale informationstechnische Infrastruktur mit High-Speed Übertragungsraten benötigt, sind diese entsprechend vorzuhalten, aus- und auch aufzubauen. Aufgabe der öffentlichen Hand ist es in diesem Zusammenhang Standards für die Digitalisierung der Verkehrsinfrastruktur zu entwickeln sowie wirtschaftliche, verkehrsrechtliche und -organisatorische sowie auf das Verkehrsmanagement bezogene Rahmenbedingungen zu schaffen.
Infrastrukturseitig sind darüber hinaus Sensoren in Bauwerken und Signalanlagen für die Erhebung von Daten zur Erfassung der Verkehrssituation und zur Steuerung des Verkehrsflusses zu implementieren und Verkehrsflächen entsprechend zu markieren, denn vor allem teilautomatisierte Technologien erfordern eine gut erkennbare standardisierte und harmonisierte Infrastruktur [BFU16a].
Forschungseinrichtungen unterstützen mit ihren Kompetenzen zur Lösung der vielfältigen Fragestellungen sowohl die Automobilindustrie als auch wirtschaftliche und politische Entscheidungstragende mit ihrer wissenschaftlichen Forschung [BMVI15r]. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) hat außerdem im Jahre 2019 gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie dem Ministerium für Wirtschaft und Klimapolitik einen Aktionsplan für künftige Forschung im Bereich des autonomen Fahrens ausgearbeitet. Die Leitlinien, an denen die unterstützten Forschungsaktivitäten ausgerichtet werden, sind:
  • Das autonome Fahren muss sicher sein,
  • Das autonome Fahren muss effizient, nachhaltig, barrierefrei, bezahlbar und bestmöglich am Bedarf der Bürgerinnen und Bürger ausgerichtet sein,
  • Die Technologieführerschaft des Automobilstandorts Deutschland soll auch beim autonomen Fahren langfristig gesichert werden. [Bund19a]
Anhand dieser Leitbilder ergeben sich verschiedene Forschungsthemen. Neben den rein technischen Problemstellungen, die zur Sicherheit des autonomen Fahrens beitragen, muss die IT-Sicherheit des Fahrzeuges gewährleistet werden. Außerdem ergeben sich Fragestellungen an der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Es gilt zu klären, wie eine Übergabe der Fahraufgabe Automatisierungsstufe 3 und niedriger - stattfinden kann, ohne dass zusätzliche Risiken entstehen.
Zusätzlich können Forschungseinrichtungen dazu beitragen, Akzeptanzaspekte zu untersuchen oder gesammelte Daten im Kontext von Nachhaltigkeitszielen auszuwerten. Dabei gilt es, die unterschiedlichen Aspekte des automatisierten Fahrens mit wissenschaftlichen Fragestellungen im Gesamtkontext als auch in Detailfragen zu analysieren und Handlungsoptionen aufzuzeigen. Der technische Fortschritt im Dienste der Sicherheit, Nachhaltigkeit und Nutzerfreundlichkeit darf nicht im Widerspruch zur Bezahlbarkeit, Verfügbarkeit und gesellschaftlicher Akzeptanz stehen [Bund19a].
Um die Technologieführerschaft des Automobilstandorts Deutschland zu sichern [] ist es notwendig, neue Technologien im Bereich der Elektronik und Sensorik, der Software und der KI auf der Basis relevanter Forschungsergebnisse zu entwickeln [Bund19a].
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Zuverlässigkeit und Sicherheit des automatisierten Straßenverkehrs (Stand des Wissens: 06.10.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?471810
Literatur
[AGFo] Runder Tisch Automatisiertes Fahren Bericht zum Forschungsbedarf
Runder Tisch Automatisiertes Fahren, 2015/07/31
[AUTO23] News AUTOSAR, 2023/12/21
[Beck16] Thomas Beck Brauchen wir autonomes Fahren?, veröffentlicht in Elektronik automotive 1.2016, 2016
[BeSa16] Klaus J. Beckmann, Gerd Sammer Autonomes Fahren im Stadt und Regionalverkehr, 2016/10/25, Online-Referenz doi:DOI:10.13140/RG.2.2.21205.42721
[BFU16a] Andrea Uhr Automatisiertes Fahren - Herausforderungen für die Verkehrssicherheit, bfu - Beratungsstelle für Unfallverhütung, Bern, 2016, Online-Referenz doi:10.13100/BFU.2.285.01
[BMVI15r] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Strategie automatisiertes und vernetztes Fahren -
Leitanbieter bleiben, Leitmarkt werden, Regelbetrieb einleiten, 2015/09
[Bund19a] Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), , Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), , Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) (Hrsg.) Aktionsplan Forschung für autonomes Fahren, 2019/07
[FüBu15] Simon Fürst, Stefan Bunzel AUTOSAR, veröffentlicht in Handbuch Fahrerassistenzsysteme - Grundlagen, Komponenten und Systeme für aktive Sicherheit und Komfort, Ausgabe/Auflage 3, Springer Vieweg, 2015, ISBN/ISSN 978-3-658-05733-6
[McK15] McKinsey (Hrsg.) Autonomes Fahren verändert Autoindustrie und Städte, 2015/03/03
[ScRo16] Thomas Schiller, Katharine Rothmann, Kristian Götze Atonomes Fahren in Deutschland - wie Kunden überzeugt werden, Deloitte GmbH, 2016/09
[VDA15a] Automatisierung - Von Fahrerassistenzsystemen zum automatisierten Fahren, veröffentlicht in VDA Magazin, 2015/09
[WEW15] Ulf Wilhelm, Susanne Ebel, Alexander Weitzel Funktionale Sicherheit und ISO 26262, veröffentlicht in Handbuch Fahrerassistenzsysteme - Grundlagen, Komponenten und Systeme für aktive Sicherheit und Komfort, Ausgabe/Auflage 3, 2015, ISBN/ISSN 978-3-658-05733-6
Rechtsvorschriften
[ISO26262] ISO 26262 - Straßenfahrzeuge - Funktionale Sicherheit
Glossar
BMDV
Bundesministerium für Digitales und Verkehr (bis 10/2005 BMVBW, bis 12/2013 BMVBS und bis 11/2021 BMVI)
BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung
Verkehrseffizienz
Beurteilungskriterium, welches beschreibt, inwieweit verkehrliche Maßnahmen, wie beispielsweise Ersparnisse in Fahrzeit, Spritverbrauch und Abgasausstoß, dass vorgegebene Ziel in einer bestimmten Art und Weise erfüllen

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?471409

Gedruckt am Donnerstag, 18. April 2024 17:18:43