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Herausforderungen für ein effizientes Angebot digitaler Dienste und Infrastrukturen

Erstellt am: 25.06.2015 | Stand des Wissens: 23.04.2020
Ansprechpartner
Bauhaus-Universität Weimar, Professur Verkehrssystemplanung, Prof. Dr.-Ing. Plank-Wiedenbeck

Unter "Herausforderungen für ein effizientes Angebot" werden hier Aspekte verstanden, die das Erreichen gesellschaftlicher und politischer Ziele beim Angebot digitaler Dienste und Infrastrukturen erschweren können.
Grundsätzliche Herausforderungen bei komplexen technischen Systemen können sich zum einen aus den spezifischen technischen Eigenschaften eines Sektors ergeben. Diese technischen Eigenschaften können beispielweise die Komplexität und den Umfang eines digitalen Systems betreffen. Ein "großes" System geht in der Regel mit einer großen Anzahl an Entscheidungen einher, die im Rahmen eines Angebots geeignet aufeinander abzustimmen sind. Neben der sachlichen Abstimmung dieser Entscheidungen kann auch der zeitlichen Abstimmung eine große Bedeutung zukommen, zum Beispiel im Hinblick auf die Auf- und Abwärtskompatibilität einzelner Komponenten. Auch die Kostenstrukturen (unter anderem Anteil der Fixkosten und der variablen Kosten) für die Erstellung einer Leistung sind technisch determiniert, da sie sich aus den eingesetzten Produktionstechnologien ergeben. Die technischen Eigenschaften sind unverrückbar mit der gewählten Ausgestaltung der Güter (unter anderem Infrastrukturen für die Datenübertragung, Arten von Diensten) verknüpft und wären daher im Allgemeinen nur durch einen Wechsel der Technologie veränderbar, was im Allgemein jedoch keine gangbare Lösung ist.
Herausforderungen ergeben sich zum anderen aus der Ausgestaltung des Organisationsmodells für das Angebot, die Bereitstellung und Finanzierung, also aus den Eigenschaften der einzelnen Anbieter, aus der Anbieterstruktur sowie aus den auf sie einwirkenden gesetzlichen Regelungen. Das Organisationsmodell wirkt über die Anreize, denen die beteiligten Akteure ausgesetzt sind, auf die Entscheidungen, die durch diese Anbieter beispielsweise im Hinblick auf Investitionen, Bepreisung und Qualitätswahl getroffen werden. Bestimmte Organisationsmodelle können daher mit einer unzureichenden Zielerreichung einhergehen. Insbesondere können folgende Eigenschaften eines Organisationsmodells eine unerwünschte Wirkung auf das Angebot haben:
  • Ein Akteur, der bei einem Gut als (Quasi-)Monopolist tätig ist (vgl. Abbildung 1), könnte aufgrund seiner mächtigen Verhandlungsposition zu einem "Systemführer" werden und in dieser Eigenschaft in unerwünschter Weise auch auf das Angebot von komplementären Gütern einwirken.
  • Ein Monopol oder Quasimonopol für einzelne Güter kann mit Machtproblemen einhergehen, die in Verbindung mit der Verfolgung einzelwirtschaftlicher Ziele durch private Unternehmen zum Beispiel zu überhöhten Preisen für Vorleistungen oder Endprodukten oder zu einer unzureichenden räumlichen Abdeckungen führen können.
  • Ein integriertes Angebot, also das Angebot mehrerer komplementärer Güter durch denselben Anbieter, kann im Falle hoher Wechselkosten zu einer unerwünschten Lock-In-Situation seitens der Nachfrager führen.
  • Ein desintegriertes Angebot, also das Angebot mehrerer komplementärer Güter durch unterschiedliche Anbieter, kann mit umfangreichen Koordinationsproblemen einhergehen, zum Beispiel im Hinblick auf die Bepreisung oder auf die dynamische Anpassung von Schnittstellenstandards.

452557_Suchmaschinen_2020-04-23.pngAbb. 1: Marktanteile der führenden Suchmaschinenanbieter Anfang 2020 [eigene Darstellung nach Stat20d]
Spezielle Herausforderungen mit Bezug zu digitalen Diensten und digitalen Infrastrukturen können sich im Kontext der spezifischen technischen Eigenschaften sowie bei bestimmten Organisationsmodellen ergeben. Beim Angebot von Infrastrukturen für die Datenübertragung können beispielsweise folgende Herausforderungen bestehen:
  • Es können Probleme aufgrund von Marktmacht auftreten, wenn das Angebot, gestützt durch die zugrunde liegenden Kostenstrukturen, durch einen (unregulierten) privaten Monopolisten erfolgt (zum Beispiel Bepreisung, räumliche Abdeckung). Das Angebot naher Substitute kann diese Marktmacht abschwächen (zum Beispiel alternative Technologien auf der "letzten Meile").
  • Die Regulierung eines privaten Anbieters, der über Marktmacht verfügt, geht in der Regel mit umfangreichen Anforderungen an das Wissen des Regulierers einher (vor allem in dynamischen Märkten wie der Informations- und Kommunikationstechnik) und wird von hohen Transaktionskosten für das Monitoring der Vorgaben begleitet [BBL14].
  • Ein flächendeckendes Angebot kann eine Koordination zum einen zwischen verschiedenen föderalen Ebenen (Kommunen, Länder, Bund, Europa) erforderlich machen. Zum anderen kann eine Koordination zwischen den Anbietern auf benachbarten Gebieten erforderlich sein. Diese Koordinationserfordernisse können ebenfalls mit erheblichen Transaktionskosten einhergehen.
  • Aus Kostengründen kann sich beim Bau von Übertragungsinfrastrukturen eine Mitverlegung anbieten, also eine gleichzeitige Verlegung von Leerrohren im Zuge der Sanierung oder des Aus- und Neubaus von Verkehrsinfrastrukturen (Autobahnen, Straßen, Geh- und Fahrradwege). In diesem Kontext fallen Transaktionskosten unter anderem für die Beschaffung von Informationen über solche Maßnahmen sowie gegebenenfalls für die Verhandlung einer Kostenaufteilung an.
Die Herausforderungen beim Angebot digitaler Dienste sind von der Art des Dienstes abhängig. Herausforderungen können unter anderem bestehen, wenn die Nutzung des Dienstes durch direkte Netzwerkeffekte gekennzeichnet ist. Sofern ein Anbieter ein sehr großes und dominierendes Netzwerk aufgebaut hat, was insbesondere im Kontext werbebasierter, zweiseitiger Plattformen möglich ist, kann er diese Stellung zum Beispiel nutzen, um überhöhte Preise von den Werbenden zu verlangen oder um Nutzerdaten auszuwerten und diese in verschiedenen anderen Kontexten zu verwerten. Zudem wird er versuchen die Bindung der Nutzenden an sein Angebot zu erhöhen, indem er die Kosten für den Wechsel der Nachfrager zu einem alternativen Netzwerk durch technische oder vertragliche Vorkehrungen erhöht, also ein Lock-In erzeugt. Der (potentielle) Wechsel des Anbieters kann auch bereits ohne solche absichtlich erzeugten Wechselbarrieren unrealistisch sein, da es im Falle starker direkter Netzwerkeffekte erforderlich wäre, dass sich sehr viele Nutzende im Hinblick auf ihre Wechselentscheidung koordinieren, um bei einem anderen Anbieter eine ähnliche Qualität des Dienstes (Netzwerkgröße) nutzen zu können.
Ein integriertes Angebot verschiedener Komponenten kann zum Beispiel in folgenden Fällen mit Herausforderungen einhergehen:
Eine dominierende Stellung beim Angebot von Betriebssystemen kann dazu genutzt werden, das Angebot von komplementären Gütern (wie Applikationen/Anwendungssoftware) zu beeinflussen und gegebenenfalls eigene Angebote oder Bündelangebote zu bevorteilen. Ein solches Verhalten wurde sowohl beim Angebot des Betriebssystems Windows für persönliche Computer [KOM13] als auch beim Angebot des Smartphone-Betriebssystem Android [KOM15b] nachgewiesen beziehungsweise vermutet. Außerdem kann das Angebot von Applikationen für Smartphones auch über eine Kontrolle der "App Stores" eingeschränkt werden (wie zum Beispiel bei Apple).
Eine (quasi-)monopolistische Stellung bei allgemeinen Suchdiensten kann bei einer Integration mit im Wettbewerb stehenden anderen digitalen Diensten, die Gegenstand von allgemeinen Suchanfragen sein können, zu einer Bevorteilung des eigenen Diensteangebots führen (zum Beispiel Preisvergleichsdienst von Google [KOM15a]).
Bei einer Integration einer digitalen Karte und digitalen Diensten könnten eigene Dienste gegenüber Diensten von Wettbewerbern, die ebenfalls auf einer digitalen Karte aufsetzen sollen (zum Beispiel Navigationsdienste), bevorteilt werden. Gleiches gilt für die Integration von einer digitalen Karte und Endgeräten [KOM08], [KOM08a].
Ansprechpartner
Bauhaus-Universität Weimar, Professur Verkehrssystemplanung, Prof. Dr.-Ing. Plank-Wiedenbeck
Literatur
[BBL14] Beckers, T., Bieschke, N., Lenz, A.-K., Heurich, J., Kühling, J., Hertel, W., Schäfer, D. Alternative Modelle für die Organisation und die Finanzierung des Ausbaus der Stromübertragungsnetze in Deutschland, 2014
[KOM08] Eu-Kommission (Hrsg.) Case No COMP/M.4854 - TomTom/Teleatlas
Regulation (EC) No 139/2004
Merger Procedure, 2008/05
[KOM08a] EU-Kommission (Hrsg.) Sache COMP/M.4942 - Nokia/ Navteq
Verordnung (EG) Nr. 139/2004
Fusionskontrollverfahren, 2008/07/02
[KOM13] EU-Kommission (Hrsg.) Kartellrecht: Kommission belegt Microsoft mit Geldbuße wegen Nichteinhaltung seiner Verpflichtung zur Gewährleistung einer freien Browserwahl, 2013/03/06
[KOM15a] EU-Kommission (Hrsg.) Kartellrecht: Kommission übermittelt Google Mitteilung der Beschwerdepunkte zu seinem Preisvergleichsdienst, 2015/04/24
[KOM15b] EU-Kommission (Hrsg.) Kartellrecht: Kommission leitet förmliche Untersuchung zum mobilen Betriebssystem Android gegen Google ein, 2015/04/15
[Stat20d] Statista, Inc. (Hrsg.) Worldwide desktop market share of leading search engines from January 2010 to January 2020, 2020/03/25
Weiterführende Literatur
[MoKo15] Monopolkommission Sondergutachten 68: Wettbewerbspolitik: Herausforderung digitale Märkte, 2015
[OECD14a] Organisation for Economic Cooperation and Development, Koske, Isabell , Bitetti, Rosamaria, Wanner, Isabelle , Sutherland, Ewan The Internet Economy - Regulatory Challenges and Practices, veröffentlicht in OECD Economics Department Working Papers, Ausgabe/Auflage No. 1171, 2014/11/12, Online-Referenz doi:10.1787/18151973, ISBN/ISSN 1815-1973
Glossar
Lock-In-Situation
Eine Lock-In-Situation liegt vor, wenn eine Änderung der aktuellen Situation aufgrund hoher Wechselkosten unwirtschaftlich ist.
Quasimonopol Ein Quasimonopol liegt vor, wenn es auf einem Markt mindestens zwei Anbieter gibt, von denen jedoch einer eine marktbeherrschende Stellung hat. Quasimonopole sind häufig in der Informationstechnologie zu finden.
App
Ist eine Abkürzung für den Fachbegriff Applikation (App) und bezeichnet eine Anwendungssoftware, die für mobile Endgeräte, wie Smartphone oder Tablet-PC entwickelt wurde. Apps können als Zusatzsoftware auf mobilen Endgeräten installiert werden und erweitern dadurch deren Funktionsumfang. Je nach Betriebssystem kann der Nutzer auf eine Vielzahl von mobilen Applikationen auf dem vom Betriebssystem bereitgestellten Marktplatz kostenpflichtig oder kostenlos zugreifen.
Letzte Meile
Im Bereich der Telekommunikation bezeichnet die "letzte Meile", auch Teilnehmeranschlussleitung genannt, die Netzstrecke zwischen dem lokalen Verteilerkasten des entsprechenden Kommunikations-Unternehmens und dem Hausanschluss des Endkunden.
In der Logistik steht der Begriff für die Belieferung des Endkunden im Liefer- und Abholverkehr, also dem letzten notwendigen Transportvorgang.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?452557

Gedruckt am Mittwoch, 24. April 2024 04:02:12